Die beiden Männer starrten sich an und begannen zu kämpfen.
Erst in diesem Augenblick ging mir auf, mit welcher Geschicklichkeit der Fremde kämpfte. Keinen Augenblick lang ließ er seinen Gegner merken, wie gut er wirklich war – der Bärtige lief ihm immer wieder in die Falle. Viermal unterlief der Fremde die Abwehr des anderen und richtete seine Klinge auf Brust oder Hals, verzichtete aber auf den tödlichen Hieb oder Stich. Er drängte den Bärtigen zurück, bis dieser den liegenden Schild hinter den Füßen spürte, stolperte und dann hilflos vor dem Angreifer im Gras lag. Verächtlich trat der Mann zurück, und der Bärtige rappelte sich wieder auf.
Schließlich nahm er seine Klinge und stach sie tief ins Gras. Dann betrachtete er den Fremden.
Dieser ließ das Schwert in die Scheide gleiten. Der Bärtige lockerte seinen Gürtel und ließ ihn samt Dolch ins Gras fallen. Dann ging er langsam zu seinem Begleiter und entwaffnete ihn ebenfalls. Der Mann preßte seine blutige Tunika auf die Wunde. Der Bärtige zerrte den anderen hoch, stützte ihn und entfernte sich langsam vom Ort des Geschehens.
Der Fremde blickte den beiden nach, bis sie in der Ferne verschwanden.
Nach einiger Zeit machte er sich daran, seinen Speer von dem durchstoßenen Schild zu lösen; schließlich preßte er ihn wie eine Standarte mit dem Heft voran in die Erde und lehnte seinen Schild daran.
Dann erst wandte er sich zu mir um.
Langsam kam er auf mich zu. Angst stieg in mir auf. Er mußte doch mein Entsetzen spüren! Wurde es nicht sichtbar in meinem gefesselten Körper, in meiner Verwundbarkeit? Ich wartete darauf, daß er ein freundliches Wort sagte, irgend etwas, das mich beruhigen konnte, das meine Befürchtungen eindämmte. Doch er schwieg.
Ich wagte den Kopf nicht zu heben. Warum sagte er nichts zu mir? Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, daß er den Helm abnahm und ins Gras fallen ließ.
Dann spürte ich seine Hand im Haar, nicht grausam, sondern fest und gleichgültig, als betastete er die Mähne eines Pferdes. Er zerrte meinen Kopf zurück, bis ich rückwärts geneigt vor ihm hockte, erschreckt in den Himmel blickend. Er betrachtete mich, dann warf er mich auf die Seite und streckte mich aus. Er ging um mich herum und betrachtete mich. Er trat gegen meine Zehen, bis sie nach unten zeigten. Er hockte sich neben mich, rieb mit der Hand über die Abschürfungen an meinem Hals. Er befühlte meine Oberarme und meine Finger. Seine Hände strichen mit fester Bewegung über meinen Körper, als wollte er meinen Atem erspüren. Er bewegte meine Beine.
Noch nie hatte mich ein Mann so schamlos berührt, kein Mann von der Erde hätte es gewagt, so mit einer Frau umzugehen. Er untersuchte sogar meine Zähne! Mich entsetzte die Rücksichtslosigkeit, mit der er mich befühlte. Hielt er mich denn für ein Tier? Für ein bloßes Besitzstück?
Schließlich stand er über mir und betrachtete mich.
Ich überlegte mir, wie ich für ihn wohl aussehen mochte. Während der Untersuchung hatte ich seine unglaubliche Männlichkeit gespürt, sein tierisches Mannsein, so anders als die entartete, verkrüppelte Sexualität, wie sie bei den Männern der Erde zu finden ist. Zum erstenmal in meinem Leben glaubte ich zu verstehen, was das Wort ›Mann‹ bedeutete – und stellte mir gleich darauf die beunruhigende Frage, wie es dann wohl mit dem Begriff ›Frau‹ stand.
Er sagte etwas zu mir. Ich spürte seinen Atem im Gesicht und begann zu zittern. »Bitte«, sagte ich. »Ich spreche Ihre Sprache nicht. Bitte lösen Sie meine Fesseln.«
Schließlich zerrte er mich an den Armen hoch und blickte mir in die Augen. Ich reichte ihm nur bis zur Brust, deren Umfang mich faszinierte. Wieder fragte er etwas, und ich stammelte: »Ich verstehe Sie nicht.« Plötzlich begann er mic h zu schütteln. Ich hatte das Gefühl, der Kopf würde mir abgerissen. Dann ließ er mich los. Da ich an Füßen und Händen gefesselt war, sank ich hilflos zu Boden. Schluchzend blickte ich zu ihm empor.
Im nächsten Augenblick zog er das Schwert aus der Scheide.
»Töten Sie mich nicht!« flehte ich. »Bitte töten Sie mich nicht!«
Die Klinge näherte sich. Mühelos durchtrennte die scharfe Kante meine Fußfesseln.
Dann wandte er sich ab, holte Beutel und Wassersack und befestigte beides an seinem Gürtel. Er ergriff seinen Helm, ging zu dem Speer, machte Helm und Schild daran fest und legte sich diese Last über die Schulter. Ohne mich anzusehen setzte er sich in Marsch. Ich blickte ihm nach. Dann rappelte ich mich auf, was mit gefesselten Händen gar nicht so einfach war. Ich sah mich am Ort des Geschehens um, ich betrachtete die zurückgebliebenen Schilde, die herumliegenden Waffen. Der Mann war bereits ein gutes Stück entfernt. »Verlassen Sie mich nicht!« rief ich. »Lassen Sie mich nicht allein!«
Ich verließ den Kreis, in dem ich mich aufgehalten hatte, und rannte ihm nach. »Bleiben Sie doch stehen!« rief ich. »Warten Sie! Bitte warten Sie doch!«
Keuchend eilte ich hinter ihm her, stolpernd, immer wieder fallend. »Bitte warten Sie!« rief ich.
Atemlos, stolpernd, mich aufraffend, so folgte ich ihm.
Einmal drehte er sich um und beobachtete mich. Schweratmend blieb ich stehen. Er wandte mir wieder den Rücken zu und ging weiter. Als ich nur noch zwanzig Meter von ihm entfernt war, drehte er sich wieder um. Sein Blick führte dazu, daß ich unwillkürlich den Kopf senkte. Er ging weiter, und kurz darauf hatte ich ihn eingeholt. Ich hielt mich etwa drei Meter hinter ihm. Als er sich das nächstemal umdrehte, kam er auf mich zu und blieb etwa einen Meter vor mir stehen. Ich stand starr, ohne den Blick zu heben. Das Bewußtsein seiner Nähe und meiner Nacktheit war überwältigend. Er legte mir einen Finger unter das Kinn und hob meinen Kopf. Als ich in seine Augen sah, wandte ich hastig den Blick ab. Zu meinem Entsetzen wollte ich, daß er mich reizvoll fand. Er betrachtete mich eine Minute lang, dann nahm er Schild und Helm und Beutel und Wassersack und band sie mir um den Hals. Ich drohte das Gleichgewicht zu verlieren, so schwer waren die Lasten. Dann marschierte er weiter. Schwerbeladen folgte ich ihm.
Ich wußte nicht, was mit mir geschah. Ich war angekettet und nackt auf einer fremden Welt erwacht. Männer, die den Schlüssel zu meinem Metallkragen besaßen, waren gekommen und wollten mich offenbar abholen. Aber wer hatte mich vorher dort abgesetzt? Was wollten sie von mir? Sie hatten mich ausgefragt und geschlagen. Ihre Forderungen kreisten um das oft gesprochene Wort ›Bina‹, das ich nicht kannte. Was bedeutete dieses Wort? Offenbar hatten die Männer erwartet, daß ich etwas bei mir hatte, etwas, das nun nicht mehr zu finden war. Vielleicht war ein wichtiger Plan durcheinandergebracht worden oder fehlgeschla gen. Ich wußte es nicht. Ich verstand überhaupt nichts. Es konnte genauso gut sein, daß noch alles nach Plan verlief. Vielleicht trug ich noch in diesem Augenblick ein Geheimnis bei mir, das die beiden Männer nicht kannten. Vielleicht waren sie von unvollständigen oder unrichtigen Informationen ausgegangen. Ich ahnte, daß ich eine wesentliche Rolle bei etwas spielte, von dem ich ansonsten nichts wußte. Weshalb sollte ich sonst auf diese Welt gebracht worden sein? Wenn ich lediglich als Frau hier abgesetzt worden war, zur Freude von Männern, ergab das gründliche Verhör der Männer keinen Sinn. Warum hätten sie dann Anstalten machen sollen, mich umzubringen?
Schließlich war der Fremde gekommen und hatte mich befreit.
Ich blickte zu den drei Monden empor. Ich folgte diesem Mann im hellen Schein der herrlichen Monde, ich trug seinen Schild, seine Vorräte, ich folgte ihm wie ein Lasttier, wie eine Gefangene, nackt und gefesselt – trotz allem erfüllte mich ein phantastisches Gefühl der Freiheit, der psychischen Erleichterung. Ich wäre am liebsten zu ihm gelaufen und hätte den Kopf an seine Schulter gelegt. Stundenlang marschierten wir durch das Grasland.