»Sie ist eine Verräterin«, sagte Clitus Vitellius.
»Du wirst sie sicher dafür strafen«, meinte der andere und griff nach meinem Schiffskragen. Mit dem Daumen entfernte er das Salz von der Plakette.
»Ich war unterwegs zu Lady Elicias aus Ar, meiner Herrin.«
»Du solltest einem Mann gehören«, sagte der Fremde.
»Ja, Herr.«
»Du scheinst dich für die Sklavin zu interessieren«, sagte Clitus Vitellius erstaunt.
»Du kommst von der Erde?« fragte mich der Fremde.
»Ja, Herr.«
»Du wurdest auf Cos in eine Pagataverne geschickt, die ›Chatka und Curla‹ heißt?«
»Ja, Herr.«
Ich spürte seine Hände auf meinen Armen. »Ausgezeichnet«, sagte er. Entsetzen erfüllte mich. »Ich werde dir nun eine einfache Frage stellen«, fuhr er fort, »und erwarte eine sofortige und wahrheitsgemäße Antwort – sonst stirbst du auf der Stelle.«
Zwei Seeleute packten Clitus Vitellius, der sich vergeblich wehrte, und hielten ihn fest.
»Kennst du einen Mann namens Belisarius?« fragte der Mann.
»Ja, Herr«, flüsterte ich. »Ich habe ihm eine Nachricht gebracht.«
»Was für eine Nachricht?«
»Das weiß ich nicht!«
»Diese Nachricht werden wir uns beschaffen.«
»Ich kenne sie nicht!« rief ich.
»Laßt mich los!« verlangte Clitus Vitellius.
»Thurnock«, sagte der Mann. »Bring die Sklavin nach unten. Kette sie im Laderaum an.«
Ein kräftiger, blonder Mann hob mich auf seine Schulter.
Der Mann aus Port Kar wandte sich an meinen Herrn.« Ich möchte auf dem Oberdeck mit dir sprechen, und zwar allein.«
»Ich verstehe nicht, was das alles soll«, sagte Clitus Vitellius.
»Laßt ihn los«, befahl der Fremde und machte kehrt. Der Laderaum war so niedrig, daß der Mann sich bücken und mich auf den Armen tragen mußte. Überall sah ich Vorräte und Waffen und Schätze. Offenbar war der Konvoi zersprengt worden. Viele Schiffe hatten den Angriff nicht überlebt. Wertvoll war die gewonnene Beute. Dieses Schiff allein, so schätzte ich, hatte Lösegeld für ein Dutzend Ubars an Bord. Der Mann setzte mich ab und kettete mich neben fünf Mädchen an, die im Schein einer winzigen Lampe hockten. Wortlos entfernte er sich.
»Die Männer«, sagte eine der Frauen, »wurden aus dem Boot geholt, in Ketten gelegt und an Bord eines Rundschiffes gebracht.«
»Welche Männer?« fragte ich verwirrt.
»Na, die Männer, die bei mir im Beiboot waren, auf der Luciana aus Telnus!« sagte sie.
»Ach, du bist die freie Frau!« rief ich.
Sie lachte sarkastisch und hob den Arm, von dem eine schwere Kette herabhing. Dann deutete sie auf die anderen Mädchen.« Wir waren alle frei«, sagte sie.
»Freut euch, daß die Männer Interesse an euch haben!«
Die Mädchen schauderten zusammen.
»Man wird uns nach Port Kar bringen und verkaufen«, sagte eine.
»Wie ist es denn so als Sklavin?« wollte eine andere wissen.
Ich betrachtete ihr hübsches Gesicht und lachte. »Das wirst du bald genug herausfinden.«
Sie wimmerte.
»Wie heißt dieses Schiff?« fragte ich.
»Dorna«, antwortete eines der Mädchen.
»Und wer ist Kapitän?«
»Bosk aus Port Kar.«
Der Mann machte mir Angst. Ich war in seiner Gewalt, und er hatte angekündigt, er wolle mir die Nachricht entlocken, die ich aber nicht mehr kannte. Ich wußte nicht, was er mit mir tun würde, wenn er merkte, daß ich ihm nicht helfen konnte.
Ich sah mich im Kreis der anderen Mädchen um. Wie sehr ich sie beneidete! Man würde ihnen ein Zeichen einbrennen – dann brauchten sie nur noch zu gehorchen.
Unter mir bewegten sich die rauhen Planken. Meine Ketten wogen schwer. Ich hatte scheußliche Angst.
24
Ich hielt die aufgereihten Perlen in die Höhe und reichte sie dem Mann mit dem kantigen Kinn und dem kurzgeschnittenen weißen Haar. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt, und in jedem Ohr schimmerte ein kleiner goldener Ring. Links von ihm saß mit untergeschlagenen Beinen Bosk aus Port Kar. Clitus Vitellius hielt sich wachsam im Hintergrund. Hinter dem Mann mit dem kurzen weißen Haar, bei dem es sich um Samos aus Port Kar, den Führer im Kapitänsrat dieser Stadt handelte, stand ein schlanker grauäugiger Mann in der grünen Tunika der Ärzte. Er hie ß Iskander.
Ich kniete vor diesen Männern. Zwei Sklavinnen hielten sich abseits bereit, Getränke und Früchte zu reichen.
Samos legte die Halskette vor sich auf einen winzigen Tisch und betrachtete sie ratlos.
»Das ist alles?« fragte er.
»Ja, Herr«, antwortete ich.
Iskander, der Arzt, hatte mir ein seltsames Getränk eingeflößt. »Es wird dich entspannen«, hatte er gesagt, »und dir ein eigentümliches Gefühl vermitteln. Wenn ich zu dir spreche, wird dein Gedächtnis unnatürlich klar sein. Du wirst dich mit aller Genauigkeit auch an die unwichtigsten Details erinnern. Außerdem wirst du auf meine Vorschläge eingehen.«
Ich kenne die Droge nicht, die er mir einflößte; je denfalls zeigte sie Wirkung. Unter ihrem Einfluß und im Banne der beruhigenden, doch befehlsgewohnten Stimme Iskanders ging ich auf seine Vorschläge und Befehle ein und begann vom Haus des Belisarius zu erzählen und von den Dingen, die ich darin erlebt hatte. Gewiß hätte ich mich auch ohne das Mittel erinnert – doch nun erfüllte mich eine Kla rheit des Geistes, die mir auch das unwichtigste, nebensächlichste Detail in aller Deutlichkeit vor Augen führte. Eine dünne blonde Sklavin namens Luma schrieb meine Worte mit. Ihre kurze blaue Tunika ließ erkennen, daß sie früher einmal der Kaste der Schriftgelehrten angehört haben mußte. Sie kniete dicht neben Bosk aus Port Kar.
»Was kommt es darauf an«, hatte Samos gefragt, »ob ein Wort eher gesprochen wird als ein anderes?«
»So etwas kann sogar von großer Bedeutung sein«, antwortete Iskander. »Man muß das so sehen wie den Mechanismus einer Armbrust oder den Schlüssel zu einem Schloß. Alles muß stimmen, jedes Element muß an seinem Platz sein, sonst fliegt der Pfeil nicht los, sonst öffnet sich das Schloß nicht.«
»Seltsam«, sagte Samos.
»Es kommt dir seltsam vor, weil du mit solchen Dingen nicht vertraut bist«, meinte Iskander, »doch für sich gesehen ist es nicht seltsamer als die Mechanismen von Armbrust und Schloß. Was wir hier nachvollziehen müssen, ist eben dieser Mechanismus, in unserem Falle eine verbale Struktur, ein Dialog, der das gewünschte Verhalten auslöst.«
»Könnte man ihr nicht einfach befehlen, die Reihenfolge der Farben aufzusagen?« wollte Bosk aus Port Kar wissen.
Ich wußte sofort, daß ich das nicht konnte.
»Nein«, antwortete Iskander. »Das vermag sie nicht oder nur unvollkommen.«
»Warum?« fragte Samos. »Wirkt das Mittel denn nicht?«
»Das Mädchen ist sorgfältig vorbereitet worden«, sagte Iskander. »Sie unterliegt einem mächtigen Gegeneinfluß. Mit der Zeit können wir diese Barrie re vielleicht durchbrechen, doch wir wüßten nicht, ob wir nicht etwa eine falsche Erinnerung anzapfen, die ihr eingepflanzt worden ist, um uns zu täuschen. Meiner Ansicht nach würden wir auf überlappende Erinnerungen stoßen, eine Vermengung von Wahrheit und Fälschung. Die beste Aussicht auf Erfolg scheint mir der Versuch zu haben, die Sequenz, die zur Auslösung des gewünschten Verhaltens nötig ist, wiederzuerschaffen.«
»Du meinst also«, fragte Bosk, »daß sie mehrere Farbfolgen im Kopf hat?«
»Ja«, sagte Iskander, »von denen jede wohl eine andere Botschaft ergäbe.«
»Auf diese Weise wüßten wir nicht, welche Nachricht die richtige wäre«, warf Bosk aus Port Kar ein.
»Genau«, meinte Iskander. »Aber wir wissen, daß der richtige Dialog die entscheidende Nachricht auslöst.«
»Sonst würde ja der vorgesehene Empfänger auch nicht wissen, welche Nachricht nun wirklich den entscheidenden Gehalt besitzt.«
»Richtig«, stellte Iskander fest.
»Dann mach weiter«, entschied Samos, und Iskander setzte sein Verhör fort. Ich hielt dem Mann mit dem klobigen Kinn und dem kurzgeschnittenen weißen Haar die Perlenkette hin. Samos legte mein Werk auf den kleinen Tisch vor sich.