»Thurnus ist es!« rief ich. »Thurnus aus Tabukfurt! Aber ich bitte dich, verschenk mich nicht wieder an ihn!«
»Keine Sorge«, antwortete Clitus Vitellius. Er sprang auf und ging Thurnus entgegen. Die beiden umarmten sich.
Kurze Zeit später saßen sie an unserem Tisch. Ich fand es seltsam, daß sich Thurnus in Ar aufhielt; wahrscheinlich hatte er Geschäfte hier zu tätigen. »Sei gegrüßt, Dina!« rief er beschwingt.
»Sei gegrüßt, Herr.«
Er sah kräftig aus wie eh und je und schien sehr zufrieden mit sich zu sein. Die lange Dürre war endlich vorbei. Offenbar stand es um die Ernte gut.
Ich bemerkte, daß Bran Loort vorsichtig durch die Küchentür blickte, aber sofort wieder verschwand. Er wagte es nicht, sich hier vor Thurnus zu zeigen, der ihn aus Tabukfurt vertrieben hatte.
Ich blickte zu Sklavenperle hinüber. Sie war damit beschäftigt, Thandar aus Ti von der Salerischen Konföderation zu bedienen, der mit vier Begleitern gekommen war. Er schien den ›Glockenkragen‹ öfter zu besuchen, wenn er sich zu Wirtschaftsverhandlungen zwischen Ar und der Konföderation in der Stadt aufhielt. Möglicherweise lag dies an einem ganz bestimmten Mädchen, Sklavenperle genannt...
»Sul-Paga!« brüllte Thurnus in diesem Augenblick und hieb mit seinem großen Bauernstab auf den kleinen Tisch.
»Ruhe!« rief ein Mann von einem benachbarten Tisch. In seiner Begleitung befanden sich fünf Männer.
»Sul-Paga!« wiederholte Thurnus lautstark.
»Schrei nicht so!« forderte ein Mann an einem anderen Tisch.
Busebius hastete herbei. »Herr«, sagte er. »Wir haben viele Pagas. Pagas aus Ar und Tyros und Ko-ro-ba und Helmutsport, Anango und Tharna!«
»Ich will Sul-Paga haben!« forderte Thurnus. Mehrere andere Gäste drehten sich aufgebracht nach ihm um.
Die von Busebius angebotenen Getränke waren natürlich alle aus Sa-Tarna gemacht, während Thurnus nach dem ungemein kräftigeren Sul-Paga verlangte, der aber nur in ländlichen Gegenden zu finden war.
»Bitte, Herr, wir haben diesen Paga hier nicht.«
Thurnus sprang auf; in seinem Gesicht mischten sich Unglauben und Zorn. »Kein Sul-Paga?« fragte er erregt.
»Werft ihn raus!« brüllte jemand.
»Nein, Herr«, sagte Busebius verzagt.
»Dann werde ich singen!« verkündete Thurnus aus Tabukfurt.
Und er richtete sich auf und begann stürmisch zu singen. Einer der Gäste konnte seine Wut nicht mehr bezwingen, sprang Thurnus an und begann auf ihn einzuschlagen. Mehrere andere taten es ihm nach. Clitus Vitellius hielt sich zu meiner Überraschung abseits. Ich kroch zwischen den Beinen der Kämpfenden hindurch. Thurnus hatte zwei Männer emporgerissen und hieb sie mit den Köpfen zusammen. Im nächsten Augenblick ging der Mann aus Tabukfurt unter einer ganzen Gruppe von Angreifern unter. Ich hob die Hände schützend über den Kopf und brachte mich in Sicherheit. Da sah ich Bran Loort einen Angreifer am Kragen packen und an mir vorbeischleudern. »Keine Angst, Kastenführer!« rief er dabei. Er schleuderte einen anderen Burschen beiseite, der mit dem Kopf zuerst gegen eine Mauer knallte. Die nächsten beiden packte er am Kragen und drosch sie mit den Köpfen zusammen. Thurnus hatte sich inzwischen aus eigener Kraft aus dem Wust von Kämpfern befreit und griff gelassen nach einem Pagakelch.
»Er kämpft gut«, sagte er zu Clitus Vitellius, der nur nickte. Dann stand Bran Loort mit dem Rücken an der Wand, umgeben von etwa zwanzig zornigen Männern. Er sah sich verzweifelt um. Plötzlich fiel sein Blick auf Thurnus.
»Es sind doch nur zwanzig!« rief dieser. »Und du bist ein Bauer!« Er warf Bran Loort seinen Stab zu, der die lange Waffe auffing und sofort damit zuschlug. Ein Mann schrie auf. Unverzüglich schwang das Holz herum; der Gegner versuchte dem Hieb auszuweichen. Der Stock wirbelte und richtete schrecklichen Schaden an. Mehr als ein Mann mußte sich mit gebrochenem Bein aus dem Kampf zurückziehen, der Stab brachte Prellungen bei, verursachte blutende Kopfwunden, knackste Rippen an. Männer versuchten den jungen Bauern zu umgehen, doch Thurnus griff ein und verhinderte das.
Busebius hatte zu jammern begonnen. »Halt, halt, ihr Herren!« rief er verzweifelt. Jetzt kämpften Thurnus und Bran Loort Rücken an Rücken. Bran Loort hielt den Stab, Thurnus hatte sich mit einem Tisch bewaffnet.
Plötzlich hörte ich ein Schwert aus der Scheide fahren. Andere taten es dem Manne nach.
»Nein«, sagte Thandar von Ti, der auf einen Tisch gesprungen war. Er und seine vier Begleiter hatten ebenfalls blank gezogen. Sie standen zwischen den beiden Kämpfern und ihren Gegnern.
»Es ist nicht recht, mit Stahl zu kämpfen gegen Männer, die sich nur mit Holz verteidigen.«
Die anderen wichen zurück.
»Freier Paga für alle!« setzte Thandar aus Ti hinzu.
»Und ich«, rief Clitus Vitellius, »zahle die zweite Runde!«
»Ein Hoch auf die Bauern!« rief ein Mann, obwohl ihm das Blut übers Gesicht lief.
»Ein Hoch auf die Bauern!« riefen alle und umringten Thurnus und Bran Loort und klopften den beiden auf die Schultern.
»Und was hast du hier zu suchen, elender Bran Loort?« fragte Thurnus.
Bran Loort ließ den Kopf hängen. »Ich arbeite in die ser Taverne. Es beschämt mich, daß du mich hier so vor dir siehst.«
»Und aus gutem Grund!« brüllte Thurnus.
»Was machst du hier?« fragte Bran Loort.« Ist jetzt nicht die Zeit, das Sa-Tarna zu ernten?«
»Ich dachte schon, das hättest du vergessen. Es ist je denfalls eine große Überraschung für mich, dich hier anzutreffen. Aber wie es sich gezeigt hat, war es ein glücklicher Zufall.« Grinsend blinzelte er Clitus Vitellius zu.
»Es freut mich, wenn ich dir helfen konnte«, sagte Bran Loort. »Aber was tust du nun wirklich in Ar?«
»Ich suche Männer für die Ernte.«
»Ich bin stark«, sagte Bran Loort.
»Gut«, antwortete Thurnus. Bran Loort umarmte ihn weinend. »Trink einen Schluck Paga«, fuhr Thurnus fort. »Dann müssen wir gehen. Das Sa-Tarna wird langsam ungeduldig.«
Bran Loort stieß einen Freudenschrei aus und drehte sich mit erhobenen Armen wie ein Kind, das in der Sonne herumtanzt. Einer vorbeigehenden Sklavin entriß er einen Becher Paga und leerte ihn in einem Zug.
»Er hat noch viel zu lernen«, sagte Thurnus, »aber es wird der Tag kommen, da er Kastenführer ist. Und er wird seinen eigenen Heimstein besitzen.«
»Es freut mich, daß ich dir helfen konnte«, sagte Clitus Vitellius.
Thurnus ergriff seine Hand. »Vielen Dank, Krieger«, sagte er. Clitus Vitellius saß mit Thandar aus Ti und seinen vier Männern am Tisch. Sie wurden von Sklavenperle bedient.
»Die Salerische Konföderation«, sagte Clitus Vitellius gerade, »stellt eine Bedrohung für die Sicherheit Ars dar.«
»Richtig«, sagte Thandar aus Ti.
»Du scheinst nicht ganz bei der Sache zu sein«, bemerkte Clitus Vitellius, der offenbar über Politik diskutieren wollte.
Thandar aus Ti beobachtete Sklavenperle, die ihm mit gesenktem Kopf ein Getränk reichte.
»Eine hübsche Sklavin«, sagte Clitus Vitellius. »Ja«, erwiderte Thandar aus Ti, hob die Hand und berührte Sklavenperle am Hals. »Meinst du, ich sollte sie kaufen?« Sklavenperle wagte nicht, den Kopf zu heben.
»Sie ist eine Schönheit. Wenn es dir gefällt, kannst du Busebius ja ein Angebot machen.«
»Busebius!« rief Thandar. »Ich habe diese kleine Sklavendirne in mein Herz geschlossen«, sagte er zu dem herbeieile nden Wirt. »Ich gebe dir einen Silbertarsk für sie.«
»Der Herr ist sehr großzügig«, sagte Busebius.
»Dann bist du also einverstanden?«
»Fünf Tarsks«, forderte der Wirt.
»Schurke!« sagte Thandar aus Ti. »Ich gebe dir zwei!«
»Einverstanden!« lachte Busebius. Er freute sich über seinen Gewinn mit Sklavenperle, die er vermutlich für weniger als einen Silbertarsk erstanden hatte. Außerdem war es ihm gelungen, einen geschätzten Gast bei Laune zu halten.
Sklavenperle sank bewußtlos zu Boden. Sie war noch nicht wieder zu sich gekommen, als Busebius ihr Glocken und Kragen abnahm und Thandar aus Ti seine Sklavenfessel zuschnappen ließ. Als sie dann doch wieder bei Bewußtsein war, richtete sie sich zögernd auf. »Gehöre ich jetzt dir, Herr?« fragte sie.