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Er steckte den abgebrochenen Pfeil in die rechte und das zusammengefaltete obere Blatt des Blocks in die linke Hand und kroch, noch immer auf Knien und Ellbogen, zur Tür. Und selbst dann richtete er sich nicht auf, sondern hob nur blitzschnell den Arm, drückte die Klinke herunter und kroch auf den Flur hinaus, ehe er es wagte, aufzustehen und hastig die Tür hinter sich zuzuziehen. Auf der anderen Seite fuhr etwas mit einem dumpfen Laut in die Tür, und er beglückwünschte sich innerlich für seine Vorsicht. Pech gehabt, mein Freund, dachte er.

Mit einem hörbar erleichterten Aufatmen drehte Indiana den Schlüssel herum, zog ihn ab und ließ ihn ebenfalls in der Tasche verschwinden.

Als er sich herumdrehte, bemerkte er, daß er nicht allein war. Ein älteres Ehepaar war aus einem der Zimmer auf den Flur herausgetreten und blickte ihn mit großen Augen an.

Indiana lächelte schief, tippte sich grüßend an den Hut und ging mit raschen Schritten zum Lift. Die beiden alten Leute sahen ihm verdattert nach, und er sagte lächelnd:»Es ist ein sehr kleines Zimmer, wissen Sie? Ich hatte darum gebeten, aber irgendwie müssen die das falsch verstanden haben.«

Die Augen des alten Mannes wurden so groß und rund vor Erstaunen, als würden sie jeden Moment aus den Höhlen quellen, und der Unterkiefer der Frau klappte herunter. Indiana lächelte noch einmal zum Abschied und beeilte sich, in die Liftkabine zu treten. Die beiden machten nicht einmal den Versuch, ihm zu folgen, obwohl sich die Tür nur sehr langsam schloß.

Indianas Lächeln erlosch wie abgeschnitten, kaum daß sich die Liftkabine in Bewegung gesetzt hatte. Es gehörte nicht allzuviel Phantasie dazu, sich auszumalen, wer diese Pfeile auf ihn abgeschossen hatte. Nachdenklich drehte er den abgebrochenen Pfeil in der Hand, den er aus der Wand des Hotelzimmers gezogen hatte.

Es war kein normaler Pfeil, sondern eines jener nadeldünnen, fast immer vergifteten Geschossen, wie es die südamerikanischen Indianer mit ihren Blasrohren verschossen.

Von südamerikanischen Indios genau wie dem, der ihm heute morgen in der Bank begegnet war. Demselben, der vor etwas mehr als zwei Stunden versucht hatte, ihm den Scheitel mit einer Machete geradezuziehen.

Indiana konnte sich zwar nicht erklären, warum es so war, aber es gab keinen Zweifeclass="underline" Irgend jemand trachtete ihm nach dem Leben. Und der war dabei nicht besonders wählerisch in der Wahl seiner Mittel. Dafür aber sehr phantasievoll …

Er trat aus der Liftkabine und ging mit raschen Schritten auf die Empfangstheke zu. Dabei schweifte sein Blick durch die Halle. Sie war nicht mehr so leer wie am Morgen. Zwei, drei Paare saßen an den kleinen Tischen und unterhielten sich leise; auf der Chaiselongue, auf der Anita am Morgen gesessen hatte, saß jetzt ein grauhaariger Mann und studierte aufmerksam seine Zeitung, und vor der Tür lümmelte ein abgerissener Bursche mit dem Gesicht eines Tagediebes herum, der vielleicht darauf wartete, daß jemand herauskam, dem er für einen Penny den Koffer zum Taxi tragen konnte. Oder auch stehlen, je nachdem.

«Alles in Ordnung, Dr. Jones?«fragte der Hotelportier, als er den Schlüssel auf den Tisch legte.

Indiana nickte.»Ja. Warum fragen Sie?«

Der Mann schien verlegen, er lächelte flüchtig und nicht besonders echt.»Sie sind ein wenig blaß«, sagte er.

«Das ist nur die Enttäuschung«, log Indiana.»Ich habe leider nichts gefunden. Mein Freund ist ein sehr ordentlicher Mensch, müssen Sie wissen.«

«Wenn Sie mir sagen, wonach Sie gesucht haben …«

Indiana zögerte. Der Mann war ihm ein bißchen zu neugierig für seinen Geschmack. Aber vielleicht begann er auch schon, Gespenster zu sehen. Nach allem, was passiert war.»Eigentlich nach nichts Besonderem«, gestand er.»Wie gesagt, ich muß Se-ñor Perez unbedingt sprechen. Ich dachte, er hätte irgendeinen Hinweis hinterlassen, aber das Zimmer ist völlig leer.«

Der Portier zögerte einen Moment, während sich ein nachdenklicher Ausdruck auf seinen Zügen breitmachte.»Vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit«, sagte er.

Indiana wurde hellhörig.»Ja?«

«Wie gesagt«, begann der Portier,»ich selbst war noch nicht im Dienst, aber ich weiß von meinem Kollegen, daß Señor Perez mit einem Taxi weggefahren ist. Und ich kenne eigentlich alle Fahrer, die hier auf der Straße ihren Standort haben. Ich könnte mich umhören.«

«Das wäre phantastisch«, sagte Indiana. Seine Hand kroch schon wieder in die Tasche, doch dann begriff er, daß er auf dem besten Wege war, die Preise zu verderben, und zog sie leer wieder heraus. Der Portier schien ein ganz kleines bißchen enttäuscht, ließ sich aber nichts anmerken.

«Vielleicht tun Sie das«, sagte Indiana.»Ich werde später noch einmal vorbeikommen und sehen, was Sie herausgefunden haben. Es wird nicht Ihr Schaden sein.«

Dann verließ er mit raschen Schritten das Hotel, überquerte die Straße und betrat das gegenüberliegende Haus; eben das Hotel, von dem aus der unbekannte Schütze auf ihn angelegt haben mußte. Es war ja nicht etwa so, daß er nachtragend war — aber er brannte doch darauf, dem Indio die eine oder andere Frage zu stellen. Zum Beispiel die, warum er immer wieder versuchte, ihn umzubringen …

Das Hotel war wesentlich größer und teurer als das, in dem Pe-rez gewohnt hatte. Hinter der Empfangstheke standen gleich drei Portiers, die in ihren goldbetreßten Phantasieuniformen einen sehr offiziellen Eindruck machten; und ganz und gar nicht den, daß sie Indiana bereitwillig oder für ein kleines Bakschisch jede Auskunft geben würden wie ihr Kollege von gegenüber.

Indiana ging zum Empfang, suchte sich den ältesten der drei Männer aus — eine hochgewachsene Gestalt mit grauen Schläfen und dem Gesicht einer schlechtgelaunten Bulldogge — und versuchte, so hilflos wie möglich auszusehen.

«Entschuldigung«, begann er.

Der Portier maß ihn mit einem kurzen, abschätzenden Blick, dessen Ergebnis nicht allzu positiv auszufallen schien, zauberte aber ein berufsmäßiges Lächeln auf sein Gesicht und kam näher.»Kann ich Ihnen helfen, mein Herr?«

«Ich hoffe, Sie können es«, antwortete Indiana.»Wissen Sie, ich habe ein kleines Problem.«

«Und das wäre?«

«Nun, es ist ein wenig delikat. «Indiana räusperte sich.»Ich kann mich doch auf Ihre Verschwiegenheit verlassen?«

Der Portier sah zugleich beleidigt wie auch geschmeichelt aus.»Selbstverständlich, mein Herr«, sagte er.

Indiana atmete sichtbar und übertrieben auf und senkte die Stimme zu einem halblauten Verschwörerflüstern.»Sehen Sie, es ist folgendes: Ich war gestern abend mit einigen Freunden in einem gewissen … Etablissement, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Er grinste verlegen, und der Portier beantwortete seine Worte mit einem pflichtschuldigen Lächeln und einem angedeuteten Nicken, während seine Augen Indiana mit eindeutiger Verachtung musterten.

«Nun ja«, fuhr der fort.»Und wie es nun einmal so ist, ich habe mich mit einigen der dortigen Damen amüsiert und wohl etwas über die Stränge geschlagen. Am Schluß blieb mir jedenfalls nicht genug Bargeld übrig, um die Rechnung in der Bar zu bezahlen.«

«Das war gewiß sehr unangenehm, mein Herr«, sagte der Portier, und sein Blick fügte lautlos hinzu: Und was zum Teufel geht mich das an?

«Nun, ich hatte Glück im Unglück«, fuhr Indiana fort.»Ein Fremder war so freundlich, mir mit einigen Dollars auszuhelfen. Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, stellen Sie sich das vor. Es gibt tatsächlich noch echte Hilfsbereitschaft unter den Menschen. Er hat mir seinen Namen genannt, aber leider habe ich ihn vergessen. «Er lächelte wieder, und diesmal mußte er sich nicht einmal anstrengen, um dabei verlegen auszusehen. Er war es mittlerweile wirklich. Die Geschichte, die er dem armen Burschen aufband, war tatsächlich haarsträubend. Aber er hatte die Erfahrung gemacht, daß man manchmal mit verrückten Geschichten sehr viel eher durchkam als mit solchen, die glaubhafter waren.