Seinem Gegenüber anscheinend etwas mehr als nur ein wenig.
Josés Augen hatten sich geweitet, auf seiner Stirn perlte Schweiß, und die Hände, mit denen er seine Karten hielt, zitterten. Es war nicht das erste Mal, daß Indiana sich mit José zu einer Pokerpartie traf, und bisher hatte er ihn für einen kühlen, überlegenen Spieler gehalten, den nichts aus der Ruhe bringen konnte. Aber auch er spielte selten um solche Beträge. Eigentlich hatte Indiana ihn niemals um mehr als zwei- oder dreihundert Dollar auf einmal spielen sehen. Und der Anblick dieses schon mehr als kleinen Vermögens, das sich zwischen ihnen häufte, hatte auch seine sprichwörtliche Ruhe erschüttert.
Dabei hatte eigentlich keiner von ihnen vorgehabt, so viel zu riskieren. Im Grunde hatte es wie bei früheren Treffen mehr als Geplänkel zwischen ihnen begonnen: Indiana hatte seine Karten bekommen und nur den Kopf geschüttelt, als ihn der Geber fragte, wieviel neue er wolle, und José, der Indiana eher als Gelegenheitsspieler denn als Profi kannte, hatte spöttisch die linke Augenbraue gehoben und ihm zugelächelt. Wahrscheinlich hatte er die zehn Einhundertdollarnoten, die er dann mit einer lässigen Geste auf den Tisch warf, einzig eingesetzt, um Indiana zu beweisen, was er von seinem vermeintlichen Bluff hielt. Und auch Indiana hatte eigentlich nur aus purer Schadenfreude bei dem Gedanken, welches Gesicht sein alter Studienfreund wohl machen würde, wenn er dieses Superblatt erst sähe, die gleiche Summe von dem Stapel Geldscheine vor sich abgezählt und da-zugelegt.
Und dann … Dann hatte es sie wohl beide erwischt, wie man so schön sagt.
Dieses eine Spiel dauerte nun schon fast eine halbe Stunde, und sie hatten sich unerbittlich gegenseitig hochgeschaukelt. Die anderen Spieler waren nach und nach ausgestiegen, obwohl auch einige von ihnen erhebliche Beträge eingesetzt hatten, und aus dem freundschaftlichen Zweikampf der beiden war ein erbittertes Ringen geworden. Seit Indiana die letzten beiden HundertdollarScheine, die noch vor ihm auf dem Tisch gelegen hatten, gesetzt hatte, um Josés Einsatz auszugleichen, waren gut fünf Minuten vergangen. Keiner von ihnen hatte in dieser Zeit ein Wort gesprochen, aber die Spannung war beinahe ins Unerträgliche gestiegen.
José legte die Karten aus der Hand und griff in die Brieftasche. Das hatte er während der letzten Viertelstunde mehrmals getan, und das Bündel Geldscheine darin war immer dünner geworden. Indiana betrachtete das nicht ohne Sorge. Er kannte José. Sie waren keine Freunde, aber doch gute Bekannte und Kollegen (wenigstens beinahe), und er wußte, daß der Mexikaner normalerweise auf die gleiche Art zu spielen pflegte wie er: mit einem relativ geringen Einsatz nämlich, den er entweder verspielte, worauf er dann nach Hause ging, oder verdoppelte oder verdreifachte, um dann den Gewinn auch wieder zu verspielen, oder — wenn auch äußerst selten — mit nach Hause zu nehmen. Aber jetzt wich José von dieser Gewohnheit ab. Er hatte sein Spielkapital ebenso aufgezehrt wie Indiana, und was in seiner Brieftasche war, das war wahrscheinlich sein letzter Monatslohn.
«Tu das lieber nicht«, sagte Indiana, als José zweihundert Dollar aus der Brieftasche nahm und sie auf den Tisch warf.»Wenn du das auch noch verlierst, dann muß ich dich den ganzen Monat durchfüttern und habe dich am Hals«, fügte er mit einem spöttischen Lächeln hinzu.
José blieb ernst.»Hältst du nun mit oder nicht?«fragte er. Seine Stimme klang gepreßt, und sein Blick flackerte.
Indiana war versucht, nein zu sagen. Der Tisch vor ihm war leer, alles, was er an diesem Abend gewonnen hatte, inklusive des Hunderters, mit dem er hierhergekommen war, lag jetzt im Pott. Seine Vernunft sagte ihm, daß er aufhören sollte. Wenn er verlor, dann hatte er genau einhundert Dollar verloren, nicht mehr und nicht weniger. Wenn José verlor, dann war er für die nächsten Monate ruiniert.
Auch sein Aussehen bereitete Indiana jetzt Sorge. Bis zu diesem Abend war José ein Gelegenheitsspieler gewesen, wie Indiana auch. Was er jetzt in seinen Augen sah, war das Flackern eines besessenen Spielers, der einfach nicht aufhören kann. Vielleicht würde ihm ein kleiner Dämpfer guttun. Indiana entschloß sich, ihm später zumindest einen Teil des Gewinns wiederzugeben, damit er in den nächsten Wochen über die Runden kommen könnte. Wahrscheinlich tat José ein kleiner, heilsamer Schock ganz gut.
Er legte ebenfalls sein Blatt aus der Hand, griff unter die Jacke und klappte die Brieftasche auf. Darin befanden sich drei Hunderter und ein Fünfzigdollarschein. Er nahm zweihundert Dollar heraus, legte sie auf den Tisch und sah José fragend an.»Du solltest aufhören«, sagte er noch einmal.
José schürzte trotzig die Lippen, griff abermals nach seiner Brieftasche und klappte sie auf. Indiana sah, daß darin noch genau dreihundert Dollar waren.
«Tu das nicht«, sagte er warnend.»Du ruinierst dich, mein Freund.«
José blickte ihn beinahe haßerfüllt an, nahm die drei Geldscheine und warf sie auf den Tisch.»Hältst du mit oder steigst du aus?«fragte er trotzig.
Indiana blickte in seine eigene Brieftasche. Er konnte nicht mithalten. Seine Barschaft reichte nicht aus.»Nimmst du einen Schuldschein von mir?«fragte er. Ohne Josés Antwort abzuwarten, zog er einen Bleistift hervor und suchte nach einem Stück Papier — aber José schüttelte den Kopf.
«He, he«, protestierte Indiana.»Ich bin dir doch wohl für fünfzig lausige Dollar gut, oder?«
«Kein Schuldschein«, sagte José knapp.»Leg das Geld auf den Tisch oder steig aus.«
«Das ist nicht fair«, protestierte Indiana.»Du versuchst, mich rauszudrängen.«
José zuckte gleichmütig mit den Achseln.»Wer hoch spielt, sollte genug Bargeld mithaben«, sagte er.»Hast du es?«
Allmählich wurde Indiana wirklich wütend.»Nein«, antwortete er gepreßt.»Aber wenn du mir eine Minute Zeit gibst, besorge ich es. «Er deutete mit einer ärgerlichen Kopfbewegung auf die Bar.»Ich denke, soviel Kredit habe ich sogar hier.«
Er wollte aufstehen, aber plötzlich hob José die Hand und winkte ab.»Spar dir die Mühe«, sagte er.
Indiana setzte sich wieder und sah ihn fragend an.
José wirkte ein bißchen verlegen. Offensichtlich taten ihm seine eigenen Worte bereits wieder leid.»Entschuldige«, sagte er.»Selbstverständlich bist du mir für fünfzig gut. Willst du mithalten?«
Indiana nickte.
José preßte die Lippen aufeinander, blickte die Rückseiten seiner Karten, die nebeneinander vor ihm auf dem Tisch lagen, sekundenlang durchdringend an und griff in die Jackentasche. Als er die Hand wieder hervorzog, hielt sie ein Bündel zerknitterter Dollarnoten. Er glättete sie sorgsam vor sich auf dem Tisch, zählte sie ab und warf sie dann oben auf den Haufen mit Geldscheinen.»Das sind jetzt noch einmal siebenundachtzig«, sagte er.
Indiana seufzte.»Du bist völlig wahnsinnig«, murmelte er.»Aber gut, wenn du es nicht anders willst — ich halte mit.«
José blickte ihn an.
«Das macht dann einhundertsiebenunddreißig, die ich dir schulde, wenn ich verliere«, sagte Indiana, schon wieder zornig.
«Würde es dir viel ausmachen, mir ein Pfand zu geben?«fragte José.
Indiana merkte, daß es ihm in der Tat viel ausmachte. Er fühlte sich gekränkt durch dieses völlig grundlose Mißtrauen. Immerhin war er kein Wildfremder, und wenn er auch einen etwas zweifelhaften Ruf genoß, so gehörte doch die Gewohnheit, seine Schulden nicht zu bezahlen, auf keinen Fall zu den Dingen, die man ihm nachsagen konnte. Wütend streifte er den Ärmel zurück, um seine Uhr abzuschnallen, aber José schüttelte den Kopf.