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Norten seufzte tief und wollte antworten, wartete dann aber, denn im selben Moment trat der Wirt an den Tisch und servierte ihm das bestellte Getränk. Erst als der Mann wieder außer Hörweite war, seufzte er abermals und schüttelte den Kopf.»Es sieht so aus, als wäre José noch nicht hier«, sagte er.»Anscheinend waren wir schneller als er.«

«Oder er und seine Begleiter gehen direkt zum Tempel«, murmelte Indiana.

Norten zuckte mit den Achseln und kippte den Inhalt seines Glases in einem Zug hinunter.»Das ist möglich«, sagte er.»Aber ich glaube es nicht. Seine Kanus werden kaum schneller gewesen sein als unser Flugzeug.«

«Und woher kommt diese Niedergeschlagenheit?«erkundigte sich Bentley.

Norten maß ihn mit einem fast zornigen Blick.»Ich habe versucht, einen Lastwagen auf zutreiben«, antwortete er.

«Versucht?«

«Keine Chance«, sagte Norten.»Es gibt nur zwei Wagen im ganzen Ort. Ich habe am Schluß genug geboten, um die beiden Schrotthaufen zu kaufen. Es war sinnlos.«

«Dann beschlagnahmen wir sie«, schlug Bentley vor.

Norten antwortete gar nicht darauf, während Indiana nur leise und humorlos lachte.»Wir sind hier in Mexiko, Commander«, sagte er ruhig.»Sie können hier nichts beschlagnahmen.«

«Wenn Ihnen das Wort ›stehlen‹ lieber ist — bitte«, erwiderte Bentley achselzuckend. Er warf den beiden Marinesoldaten einen fragenden Blick zu.»Sehen Sie darin irgendwelche Probleme?«

Die beiden schüttelten fast in einer Bewegung den Kopf.»Keine Probleme, Sir.«

«Sehen Sie, Dr. Jones«, grinste Bentley.»Die Transportfrage wäre also geklärt. Ich schlage allerdings vor, daß wir bis nach dem Dunkelwerden warten, ehe wir die beiden Wagen requirieren.«

«Und so etwas aus dem Mund eines amerikanischen Offiziers?«fragte Indiana spöttisch.

Bentleys Gesicht verdüsterte sich.»Ich glaube, es geht hier um mehr als um zwei altersschwache Lastwagen, Dr. Jones.«

Indiana wollte antworten, aber in diesem Moment fiel ihm eine Bewegung draußen auf der Straße auf, und er stockte.

Vor der offenstehenden Tür der Cantina stand ein alter Mann. Im grellen Gegenlicht der Sonne war er fast nur ein Schatten, flach und schwarz und mit einem Gesicht, dessen Züge mehr zu erahnen als wirklich zu erkennen waren. Und trotzdem hatte Indiana das Gefühl, ihn kennen zu müssen. Zwar …

Der Mann drehte sich um und schlurfte mit kleinen, mühsamen Schritten und weit vorgebeugten Schultern davon, und im gleichen Augenblick entglitt Indiana der Gedanke; so abrupt, als hindere ihn etwas daran, ihn zu Ende zu denken.

«Was haben Sie?«fragte Norten alarmiert. Auch er blickte auf die Straße hinaus, aber der alte Mann war mittlerweile schon verschwunden, so daß er nichts als die staubige Hauptstraße von Piedras Negras sehen konnte, die in der Mittagsglut stöhnte.

«Nichts«, antwortete Indiana verstört.»Ich dachte, ich hätte … etwas gesehen.«

«Was gesehen?«hakte Bentley nach. Einer der beiden Soldaten stand auf und warf ihm einen fragenden Blick zu, aber Bentley hob beruhigend die Hand, als Indiana abermals den Kopf schüttelte.

«Nichts«, sagte Indiana noch einmal.»Ich sagte doch: Ich habe mich geirrt.«

Norten musterte ihn noch eine Sekunde lang sehr mißtrauisch, aber dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich wieder an Bentley.»Wir sollten uns um Zimmer kümmern«, sagte er.»Bis heute abend können wir ohnehin nichts unternehmen. Ein paar Stunden Schlaf tun uns sicher allen gut — wer weiß, ob wir heute nacht welchen bekommen.«

«Das ist schon erledigt«, antwortete Bentley mit einer Kopfbewegung auf den Mann hinter der Theke.»Er hat ein paar Zimmer, gleich hier im Haus.«

Norten seufzte, fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht und stand mit einer müden Bewegung auf. Auch Bentley, der Offizier und die beiden Soldaten erhoben sich. Nur Indiana blieb sitzen.

«Worauf warten Sie, Dr. Jones?«fragte Norten.

«Ich … bin nicht müde«, antwortete Indiana zögernd.»Aber ich würde hier gerne noch etwas sitzen und trinken — wenn Sie nichts dagegen haben.«

Ein fast mitleidiges Lächeln huschte über Nortens Züge.»Ich habe sehr wohl etwas dagegen, Dr. Jones«, antwortete er.

«So?«

«Ja«, bestätigte Norten.»Ich möchte nämlich sicher sein, daß Wir alle zusammen heute abend die Stadt verlassen und versuchen, den Tempel zu finden.«

Indiana ersparte sich jeden Protest. Norten lächelte zwar weiter, und auch Bentleys Gesicht blieb unbewegt, aber einer der beiden Soldaten war hinter seinen Stuhl getreten. Und er sah nicht nur so aus, als wäre er kräftig genug, Indiana mit einer Hand zu packen und die Treppe hinaufzuschleifen, sondern auch durchaus willens, dies zu tun, wenn ihm Bentley oder der Professor den entsprechenden Befehl erteilten.

«Einen Versuch war es wert, oder?«fragte Indiana seufzend, während er seinen Stuhl zurückschob und aufstand.

«Sicher«, erklärte Norten ungerührt.»Und damit Sie nicht auf die Idee kommen, noch weitere Versuche in dieser Richtung zu unternehmen, wird einer dieser beiden Herren vor Ihrer Tür Wache halten, bis wir aufbrechen.«

Ohne ein weiteres Wort wandte sich Indiana um und ging die Treppe ins erste Stockwerk hinauf.

Die drei Zimmer, die Bentley angemietet hatte, lagen nebeneinander und waren winzig. Indianas Kammer bot kaum genug Platz für das wackelige Bett und den nicht minder wackeligen Stuhl, der daneben stand. Ein Luxus wie einen Tisch oder gar einen Schrank gab es nicht.

Norten trat hinter ihm ein, machte einen Schritt an ihm vorbei zum Fenster und öffnete es. Ein Schwall stickiger, warmer Luft drang von draußen herein und machte das Atmen noch schwieriger. Norten blinzelte eine Sekunde lang in das grelle Sonnenlicht, dann deutete er mit einer Handbewegung auf die Straße hinab.»Eine hübsche Aussicht, nicht?«

Indiana zögerte einen Moment, aber dann tat er ihm den Gefallen, neben ihn zu treten und aus dem Fenster zu sehen.

Die Straße lag wie ausgestorben in der Mittagsglut da. Die Luft flimmerte vor Hitze, und das Sonnenlicht war so intensiv, daß es ihm Tränen in die Augen trieb. Trotzdem konnte er die Gestalt, die auf der anderen Straßenseite an einer Mauer lehnte und rauchte, deutlich erkennen. Sie war sehr groß, dunkelhaarig, trug einen mit dunklen Schweißflecken übersäten weißen Leinenanzug und hatte vor zwei Minuten noch neben ihm unten am Tisch gesessen. So viel zu seinem Gedanken, zu warten, bis Norten und die anderen eingeschlafen waren, und dann aus dem Fenster zu steigen.

Mit einem Ruck wandte er sich vom Fenster ab, ließ sich auf das Bett fallen und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Nor-ten sah ihn noch einen Moment lang an, als erwarte er, daß er etwas sagen wolle, aber dann zuckte er nur mit den Achseln und wollte zur Tür gehen.

Als er die Hand nach der Klinke ausstreckte, rief Indiana ihn noch einmal zurück.»Norten?«

«Ja?«

«Nur eine Frage«, sagte Indiana, ohne den Professor anzusehen.»Und ich hätte gerne eine ehrliche Antwort darauf.«

Norten schwieg.

«Waren Sie wirklich mit Greg befreundet?«fragte Indiana, noch immer, ohne den grauhaarigen Archäologen anzusehen.»Oder haben Sie es ihm nur vorgespielt, weil Sie ihn brauchten — so wie mich?«

«Freunde …«Norten betonte das Wort, als müsse er erst über seine wirkliche Bedeutung nachdenken. Dann zuckte er mit den Schultern.»Ich weiß es nicht«, gestand er.»Das ist ein großes Wort, Dr. Jones. Swanson war mein Schüler, wenn Sie das meinen, und einer meiner besten Schüler, möchte ich hinzufügen. Ich … mochte ihn.«

Er überlegte einen Moment.»Ich glaube, ja. Es muß wohl so etwas wie Freundschaft gewesen sein, was ich für ihn empfand. Warum fragen Sie?«

«Wenn das wirklich die Wahrheit ist«, antwortete Indiana,»dann müßte Ihnen das Mädchen doch auch etwas bedeuten.«

«Joana?«Norten nickte.»Sicher. Ich mag sie. Und Sie …«