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«Sie brauchen dieses Zimmer nicht zu durchsuchen«, sagte sie.

Der Soldat blinzelte. Für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelte sich sein Gesicht vor Zorn — und dann geschah etwas Seltsames. Irgend etwas in seinen Augen erlosch, seine Züge erschlafften, und Indiana konnte regelrecht sehen, wie jedes bißchen Energie aus seinem Körper wich.

Langsam wandte er den Kopf und sah auf den Flur zurück.»Wir brauchen dieses Zimmer nicht zu durchsuchen«, sagte er.

«Dr. Jones ist nicht hier«, sagte Anita.

«Dr. Jones ist nicht hier«, wiederholte der Mann, so gehorsam wie ein Automat, der auf Knopfdruck einen bestimmten Satz wiedergibt. Dann drehte er sich mit langsamen, sonderbar mechanischen Bewegungen um und zog die Tür wieder hinter sich zu.

Anita trat mit einem erleichterten Aufatmen zurück, während Indiana verblüfft die Bratpfanne sinken ließ und abwechselnd sie und die geschlossene Tür anstarrte.»Wie … wie haben Sie das gemacht?«

Anita hob den Kopf und blickte ihn an. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß. Was immer sie getan hatte, schien all ihre Kraft aufgezehrt zu haben.

«Das erkläre ich Ihnen später«, murmelte sie.»Lassen Sie uns von hier verschwinden, Dr. Jones. Ich glaube nicht, daß ich sie lange täuschen kann. «Sie deutete auf das Fenster.»Kommen Sie.«

Die drei Menschen am Tisch rührten sich noch immer nicht, als Indiana und Anita sich an ihnen vorbeischoben und das Fenster öffneten. Indiana musterte ihre Gesichter mit einer Mischung aus Furcht und tiefster Verwirrung. Er wußte nicht, was ihn mehr erschreckte — der unheimliche Zustand dieses Mannes, seiner Frau und des Kindes oder das, was Anita mit dem Soldaten gemacht hatte.

Anita beugte sich vor, warf einen raschen Blick nach rechts und links auf die Straße hinab und sah dann nach oben.»Helfen Sie mir«, sagte sie.

Auch Indiana lehnte sich aus dem Fenster. Die Straße lag noch immer wie ausgestorben drei Meter unter ihnen, aber Anita hatte nicht vor, dort hinab zu steigen. Ganz im Gegenteil kletterte sie geschickt auf das Fensterbrett, suchte mit der linken Hand an seiner Schulter Halt und streckte die andere nach oben aus. Mit erstaunlicher Kraft klammerte sie sich an die Kante des flachen Daches, die sich nicht weit über dem Fenster befand, stieß sich ab und schwang sich mit einer eleganten Bewegung nach oben. Einen Herzschlag später erschienen ihr Gesicht und ihre hektisch winkende Hand wieder über der Kante.»Schnell«, sagte sie.»Sie kommen!«

Indiana verschwendete keine Zeit mehr damit, sich zu fragen, woher Anita das wußte, sondern streckte die Hand nach der Kante aus und folgte ihr auf das Dach. Beinahe im gleichen Augenblick hörte er, wie die Tür in dem Zimmer unter ihnen zum zweiten Mal aufgerissen wurde und schwere Schritte durch den Raum polterten.

Anita deutete heftig gestikulierend zur anderen Seite des Gebäudes. Über der jenseitigen Kante des Daches war das Ende einer Leiter zu erkennen. So schnell sie konnten, überquerten sie das flache, geteerte Dach. Anita schwang sich ohne zu zögern auf die Leiter und begann rasch in die Tiefe zu steigen. Und Indiana folgte ihr, zögerte aber im letzten Augenblick noch einmal und sah zurück — gerade noch rechtzeitig, um eine große Hand zu erkennen, die sich nach der Dachkante ausstreckte und sich daran festklammerte.

Der Anblick zerstreute auch seine letzten Zweifel, ob Anita wirklich wußte, wovon sie sprach. So schnell er konnte, kletterte er hinter ihr die Leiter hinab, die unter dem Gewicht der beiden Menschen bedrohlich zu ächzen und zittern begann.

Als sie den Boden erreicht hatten, wandte sich Anita wahllos nach links und stürmte los. Indiana folgte ihr. Josés Frau bog in eine weitere, kaum einen Meter breite Gasse ein, lief bis zu ihrem Ende und wandte sich dann nach links, in der nächsten nach rechts und dann wieder nach links.

Gute fünf Minuten lang rannten sie durch das Gewirr schmaler, verwinkelter Gäßchen und Lücken, das sich wie ein minoisches Labyrinth zwischen den kleinen weißen Häusern Piedras Negras erstreckte, bis Indiana sowohl völlig die Orientierung verloren hatte als auch sicher war, daß ihre Verfolger sie hier nicht mehr aufspüren konnten.

Und ganz davon abgesehen, war Anita so schnell gelaufen, daß Indiana einfach nicht mehr weiterkonnte.

Seine Lungen brannten, und seine Knie zitterten. Keuchend ließ er sich gegen die Wand sinken, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht und versuchte wenigstens genug Luft für eine Frage zu sammeln.

Es blieb bei dem Versuch und einem hilflosen Keuchen.

Auch Anita war stehengeblieben. Trotz des mörderischen Tempos, das sie vorgelegt hatte, ging ihr Atem nicht einmal schneller, und auch der Ausdruck von Erschöpfung war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie wirkte nur noch angespannt.

«Ich glaube, wir haben sie abgehängt«, sagte sie, nachdem sie einen langen, prüfenden Blick in die Gasse hinter Indiana geworfen hatte.

«Wer zum Teufel sind Sie?«murmelte Indiana erschöpft.»Und wie kommen Sie hierher?«

Anita lächelte amüsiert.»Sie wissen doch, wer ich bin, Dr. Jones«, antwortete sie.

«Ja«, murmelte Indiana. Seine Lungen brannten noch immer wie Feuer, und sein Herz hämmerte, als wollte es zerspringen.»Sie haben mir nur nicht erzählt, daß Sie ganz nebenbei Weltmeisterin im Marathonlauf sind.«

Anitas Lächeln wurde noch etwas spöttischer.»Ich verwende viel Zeit darauf, mich in Form zu halten«, antwortete sie.»Das sollten Sie auch tun, Dr. Jones. Wie Sie gerade erlebt haben, hat es gewisse Vorteile.«

Indiana blickte sie ärgerlich an und machte eine entsprechende Handbewegung.»Sie wissen genau, was ich meine«, antwortete er.»Wie kommen Sie hierher?«

Anita schwieg einen Moment.»Das Wie ist nicht so wichtig, Dr. Jones«, antwortete sie ernst.»Wichtiger ist, warum ich hier bin.«

Indiana verdrehte seufzend die Augen, fügte sich aber in sein Schicksal. Jetzt war weder die Zeit noch der passende Ort, Spielchen mit Anita zu spielen.

«Wir müssen José aufhalten«, fuhr Anita fort.

«Wissen Sie denn, wo er ist?«

Anita nickte.»Im Tempel, Dr. Jones. Ich kenne den Weg. Aber ich fürchte, ich kann ihn nicht allein aufhalten. Ich brauche Ihre Hilfe.«

«Wobei?«

«Er will die Beschwörung durchführen«, antwortete Anita.»Heute abend, sobald der Mond hoch am Himmel steht. Wir müssen ihn daran hindern.«

«Ach?«fragte Indiana böse,»müssen wir das, so?«Er machte eine zornige Handbewegung, als Anita antworten wollte.»Wissen Sie, Schätzchen, ich bin es allmählich leid, daß mir jedermann sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Von mir aus kann sich Ihr José selbst in die Hölle zaubern und seine sauberen Freunde gleich dazu. Das ist mir völlig egal. Das einzige, was ich will, ist Joana.«

«Aber es geht doch auch um sie«, antwortete Anita ernst.»Glauben Sie mir, Dr. Jones — wenn wir ihn nicht aufhalten, dann wird Joana sterben. Und nicht nur sie, sondern viele andere.«

Indiana blickte sie weiter voll brodelndem Zorn an, aber er sagte nichts mehr. Und er wußte im Grunde auch selbst, daß Anita recht hatte. Ebenso wie seine Worte nicht wirklich das wiedergaben, was er empfand. Es war ihm nicht egal, was passierte, nicht einmal mit José. Er war einfach nur wütend, und ein guter Teil dieses Zornes galt niemand anderem als ihm selbst. Er kam sich vor, als wäre er plötzlich blind und taub. Was mußte noch passieren, bis er endlich begriff, was hier wirklich vorging? Wo war seine Fähigkeit geblieben, logisch zu denken und verborgene Zusammenhänge zu erkennen?

«Also gut«, sagte er resignierend.»Ich helfe Ihnen — unter einer Bedingung.«

«Ja?«

«Sie erzählen mir, was hier eigentlich vorgeht«, antwortete Indiana.»Die ganze Geschichte. Ich will alles wissen.«

«Dazu ist jetzt keine Zeit …«, begann Anita, aber Indiana unterbrach sie sofort wieder.