«Und Sie … Sie behaupten, nicht fliegen zu können?«murmelte sie.»Das … das war ein Looping!«
«Ich weiß«, antwortete Indiana gequält, während er vergeblich versuchte, das flaue Gefühl in seinem Magen niederzukämpfen.
«Großer Gott!«flüsterte Anita.»Ich habe noch nie gehört, daß man mit einem Wasserflugzeug einen Looping fliegen kann.«
«Ich auch nicht«, antwortete Indiana. Aber er tat es sehr leise. So leise, daß er fast sicher war, daß Josés Frau es nicht gehört hatte.
Und wenn doch, so zog sie es augenscheinlich vor, es zu ignorieren.
Seine Hände hatten fast ganz aufgehört zu zittern, als sie sich nach einer knappen halben Stunde dem Krater näherten. Allerdings hatte Indiana das Gefühl, daß sie sehr bald wieder damit beginnen würden. Er sah nämlich weit und breit nichts, worauf er das Flugzeug landen konnte.
Sie waren dem Verlauf des Flusses nur wenige Minuten lang gefolgt und dann in südlicher Richtung abgebogen. Eine Weile hatten sich noch Dschungel und scheinbar wahllos hineingerodete Felder unter ihnen abgewechselt, aber seit gut zehn Minuten erstreckte sich unter ihnen nichts als eine gewaltige, undurchdringliche grüne Decke. Indiana hatte Anita bisher nicht gefragt, wo er das Flugzeug landen solle. Er hatte das sichere Gefühl, daß ihm die Antwort, die sie ihm geben würde, ohnehin nicht gefallen würde.
Statt weiter an die Landung und damit ihren wahrscheinlichen Tod zu denken, hob er den Blick und sah zum Kegel des erloschenen Vulkans hinüber. Der Berg war in den letzten Minuten von einem verschwommenen Schatten am Horizont zu einem gewaltigen Kegel aus Granit und schwarz erstarrter Lava geworden, und in Indianas Angst hatte sich immer stärker ein Gefühl von Trauer und Verbitterung gemischt. Dies war der Ort, an dem Greg gestorben war. Er hatte geahnt, daß ihn die Erinnerungen einholen würden, sobald sie sich dem Berg näherten — aber er hatte nicht geglaubt, daß es so schlimm sein würde. Während der letzten Minuten hatte er geglaubt, jene schreckliche Stunde noch einmal zu durchleben. Er glaubte sogar Gregs Stimme noch einmal zu hören, die ihn anflehte, zu fliehen und sein eigenes Leben zu retten. Und für einen Moment mußte er sich mit aller Gewalt gegen das Bild von seinem verbrannten Gesicht wehren, das vor seinem geistigen Auge aufstieg, und den entsetzlichen Schmerz, den diese Gedanken mit sich brachten.
Mit aller Macht schob er die Erinnerung von sich und wandte sich an Anita.»Wo zum Teufel sollen wir landen?«fragte er.»Ich sehe hier nirgends einen Fluß oder einen See.«
Anita warf ihm einen flüchtigen Blick zu und konzentrierte sich dann wieder auf die grüne Dschungellandschaft, die eine halbe Meile unter dem Flugzeug dahinhuschte. Ohne ein Wort deutete sie auf den Berg.
Indiana blickte sie irritiert an, begriff aber bald, daß er keine andere Antwort erhalten würde, und ließ die Maschine gehorsam etwas höher steigen. Die schwarz glänzenden Flanken des Vulkans sackten unter ihnen hinweg — und dann sah er es blau und silbern am Grunde des gewaltigen Kratzers aufblitzen!
Ungläubig riß er die Augen auf.»Der Krater ist …«
«… voll Wasser gelaufen, ja«, führte Anita den Satz zu Ende, als er nicht weitersprach.»Das ist nicht ungewöhnlich, Dr. Jones.«
Indiana starrte abwechselnd sie und den kreisrunden See im Herzen des Vulkankraters fassungslos an.
«Sie … Sie glauben doch nicht … daß ich darauf landen kann?!«krächzte er.
«Es ist die einzige Möglichkeit«, antwortete Anita gleichmütig.
Indiana bewegte das Steuer und ließ die Maschine in einer langgezogenen Schleife ein zweites Mal über den Vulkan hinweggleiten.»Sie sind völlig verrückt«, flüsterte er.»Dieser See ist winzig!«
«Er mißt mindestens anderthalb Meilen«, korrigierte ihn Anita ruhig.
«Anderthalb Meilen!«, stöhnte Indiana.»Verdammt, ich bin kein Pilot! Ich wäre schon froh, wenn ich die Kiste auf dem Atlantischen Ozean aufsetzen könnte.«
«Das würde uns im Moment wenig nützen«, antwortete Anita lächelnd. Dann wurde sie übergangslos wieder ernst.»Bitte, Dr. Jones! Sie müssen es versuchen! Wir haben keine andere Wahl. Ich bin sicher, daß Sie es schaffen«, fügte sie mit einem aufmunternden, aber leicht verunglückten Lächeln hinzu.
Indiana blickte sie an, als zweifelte er ernsthaft an ihrem Verstand (was er in diesem Moment auch tat), dann schickte er ein letztes Stoßgebet zum Himmel, wendete das Flugzeug noch einmal und setzte zur Landung an.
Hinterher begriff er sehr wohl, daß es alles in allem nicht einmal fünf Minuten gedauert hatte. Aber während er zu landen versuchte, hatte er das Gefühl, die Zeit würde stehenbleiben. Die scharfkantigen Lavafelsen schienen nur Zentimeter unter den Kufen des Flugzeuges hinwegzuhuschen, während er versuchte, die Maschine in immer enger werdenden Spiralen und immer langsamer in den Vulkankrater hinab zu steuern. Einmal rammte er tatsächlich ein Hindernis, und die Cessna geriet ins Trudeln und näherte sich der Oberfläche des Sees sehr viel schneller, als Indiana beabsichtigt hatte. Aber er fand die Kontrolle über das Flugzeug auch diesmal wieder, und endlich setzte die Maschine in einer gewaltigen Gischtwolke auf dem Wasser auf, mit hoher Geschwindigkeit, viel zu hoch, als daß er sich wirklich einbilden konnte, sie noch vor dem jenseitigen Ufer zum Stehen zu bringen.
Irgendwie gelang es ihm trotzdem. Indiana wußte hinterher nicht mehr genau, was er getan hatte; er hämmerte einfach wild auf alles ein, was er auf dem Instrumentenpult fand und zerrte wie besessen am Steuer. Nicht einmal einen halben Meter vor dem mit scharfkantigen Lavaspeeren und — klingen übersäten Ufer des Kratersees kam die Cessna zum Stehen.
Indiana schaltete den Motor aus, starrte eine halbe Minute lang aus weit aufgerissenen Augen und ohne auch nur zu atmen auf das Gewirr tödlicher Felsen und Grate vor ihnen und sank dann mit einem krächzenden Laut über dem Steuer zusammen. Sein Herz begann zu rasen, als wolle es in seiner Brust auseinanderbrechen, und mit einem Male zitterte er am ganzen Leib.
«Sie haben es geschafft, Dr. Jones«, sagte Anita. Auch ihre Stimme zitterte, und als er nach einigen Sekunden mühsam den Kopf hob und sie ansah, bemerkte er, daß ihr Gesicht alle Farbe verloren hatte.»Sie … Sie haben es tatsächlich geschafft. Jetzt haben wir vielleicht noch eine Chance.«
Sie atmete tief und hörbar ein, deutete auf die Felsen am Ufer und sagte:»Der Eingang zum Tempel ist gleich in der Nähe, aber wir müssen vorsichtig sein, Dr. Jones. Ich fürchte, José ist bereits hier. Und wenn er unsere Ankunft bemerkt hat, dann könnte es gefährlich werden.«
«Gefährlich!« Indiana starrte sie fassungslos an. Plötzlich hatte er alle Mühe, nicht laut und hysterisch loszulachen.
Der Höhleneingang war so perfekt getarnt, daß Indiana wahrscheinlich glattweg daran vorbeigelaufen wäre, hätte Anita nicht plötzlich innegehalten und wortlos auf einen Schatten zwischen den kantigen Umrissen der Lavafelsen gedeutet. Indiana sah genauer und aufmerksamer hin, konnte aber immer noch nichts Bemerkenswertes erkennen. Schließlich begann Anita — sehr vorsichtig, um sich an den scharfkantigen Steinen und Lavaspitzen nicht zu verletzen — die steil ansteigende Innenwand des Kraters hinaufzuklettern. Und plötzlich war sie verschwunden.
Indiana starrte eine Sekunde lang verblüfft auf die Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, bis ihm klar wurde, daß der Schatten, der ihm aufgefallen war, gar kein Schatten war — sondern ein schwarzes Loch in dem schwarzen Felsen, in dem das Sonnenlicht verschwand. Sehr hastig und sehr viel weniger vorsichtig als Anita vor ihm — mit dem Ergebnis, daß er sich Hände und Knie an den scharfen Felsen blutig schrammte —, folgte er Josés Frau und fand sich nach Augenblicken im Inneren einer niedrigen, aber sehr großen Höhle wieder, die tief in den Berg hineinreichen mußte.