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Er ging zurück zum Durchlaß in die große Höhle, suchte mit der Hand nach festem Halt an der Wand und beugte sich vor, so weit er es wagen konnte. Der Anblick ließ ihn schwindeln. Unter ihm stürzte die Wand aus schwarzer Lava sicherlich dreißig, wenn nicht vierzig oder mehr Meter senkrecht in die Tiefe, ehe sie in etwas endete, das aus der Höhe betrachtet wie ein Nadelkissen aus winzigen Spitzen und Graten aussah, in Wirklichkeit jedoch ein Gewirr aus mannshohen Lavaspeeren und rasiermesserscharfen Kanten war. Und die Wand darüber war so glatt, als wäre sie sorgfältig poliert worden. Nur hier und da bemerkte Indiana einen Riß, einen Spalt, in dem die Finger eines geschickten Kletterers Halt finden mochten. Aber er fühlte sich im Moment nicht wie ein geschickter Kletterer.

«Gibt es keinen anderen Weg hinunter?«fragte er leise.

Er mußte sich nicht einmal zu Anita umdrehen, um ihr Kopfschütteln zu spüren.

Indiana seufzte ergeben, ließ sich auf Hände und Knie hinab und schob die Beine über den Rand des Felsens. Seine Stiefelspitzen fuhren scharrend über die glasharte Wand und fanden Halt in einem winzigen Riß. Mit klopfendem Herzen und schweißnassen Händen kletterte er Zentimeter für Zentimeter weiter in die Tiefe.

Es war ein Alptraum. Die Wand war so glatt wie Glas, und seine Hände waren feucht und rutschten immer wieder ab. Zweimal erreichte er eine Stelle, an der es einfach nicht weiterging, so daß er ein gutes Stück weit wieder in die Höhe steigen mußte, um einen anderen Weg zu suchen. Seine Muskeln waren bald hart und verkrampft und schmerzten unerträglich, und aus seinen aufgerissenen Fingerspitzen quoll Blut und machte den Felsen noch schlüpfriger. Daß er nicht schon nach Minuten aufgab und wieder zurückkletterte, lag wahrscheinlich einzig und allein daran, daß er das gar nicht mehr gekonnt hätte.

Als er endlich am Fuß der Wand angelangt war, war er so erschöpft, daß er mit einem Keuchen zusammenbrach und minutenlang schweratmend und mit rasendem Herzen dalag, ehe er wieder weit genug bei Kräften war, um wenigstens die Augen öffnen zu können.

Als er die Lider hob, stand Anita vor ihm. Auch sie wirkte erschöpft, aber längst nicht so sehr wie er. Ihre Hände waren nicht blutig, nicht einmal ihre Kleidung war in Unordnung.

«Wie sind Sie denn hierhergekommen?«flüsterte er erschöpft.»Geflogen?«

Anita schüttelte den Kopf.»Es gibt Wege, die nur ich gehen kann«, antwortete sie geheimnisvoll.

Mit einem unwilligen Knurren richtete sich Indiana halb auf und blickte auf seine zerschundenen Hände.»Wenn das alles hier vorbei ist«, sagte er,»dann werden Sie mir eine Menge Fragen beantworten müssen.«

«Das werde ich, Dr. Jones«, antwortete Anita sehr ernst.

Die Worte — und vor allem ihre Betonung — erinnerten ihn wieder daran, warum er diese lebensgefährliche Kletterei überhaupt gewagt hatte. Er stand vollends auf, sah sich sichernd nach allen Seiten um und huschte dann zwischen den bizarren Skulpturen aus Lava hindurch auf die Pyramide zu.

Der unheimliche Gesang wurde lauter, je weiter sie sich der Pyramide näherten. Und Indiana sah auch, daß der unheimliche rote Schein, der die Höhle erfüllte, nicht nur von den Fackeln und Feuerschalen herrührte — der Boden, über den sie gingen, war warm, an manchen Stellen sogar heiß, und hier und da drang düsterrote Glut aus Rissen und Spalten im Boden. Je mehr sie sich der Pyramide näherten, desto intensiver wurde der Geruch nach Feuer und heißem Stein, und ein paarmal drang dunkles Grollen aus dem Boden. Die Höhle mußte direkt über einem noch aktiven Teil des Vulkans liegen.

Schließlich waren sie dicht an das gewaltige Bauwerk herangekommen, und Anita deutete auf ein von rotem Licht erfülltes Tor. Das an- und abschwellende Summen des unheimlichen Gesangs war so laut geworden, daß sie in normaler Lautstärke miteinander reden konnten, ohne daß die Gefahr bestand, daß man sie hörte. Trotzdem ertappte sich Indiana dabei, seine Stimme zu einem fast angstvollen Flüstern zu senken, als er sich an Anita wandte:»Bleiben Sie hier. Ich gehe erst einmal vor und sehe nach, ob die Luft rein ist.«

Anita schüttelte heftig den Kopf, aber Indiana ließ sie gar nicht zu Wort kommen.»Ich brauche jemanden, der mir den Rücken frei hält«, fuhr er fort.»Also seien Sie ein braves Mädchen, und warten Sie hier.«

Rasch und ehe Anita Gelegenheit fand, zu antworten oder ihn zurückzuhalten, stand er auf und huschte geduckt die letzten Meter zur Pyramide hinüber. Er war ganz und gar nicht sicher, daß sie ihm nicht trotzdem folgen würde; aber als er sich unter dem Tor noch einmal umdrehte und zu ihr zurücksah, da entdeckte er den weißen Schimmer ihres Kleides zwischen den Lavapfeilern. Es war ein bizarrer Anblick; sie sah klein und verletzlich aus, wie eine Fee, die sich in einem versteinerten Wald verirrt hat und den Rückweg nicht mehr findet.

Indiana verscheuchte den verrückten Gedanken und konzentrierte sich wieder auf das, was vor ihm lag.

Sein Herz klopfte, als er durch das gewaltige Tor in der Flanke der Lavapyramide trat. Er stellte fest, daß sein erster Eindruck nicht getrogen hatte — die Pyramide war nicht aus aufeinanderge-schichteten Blöcken errichtet, sondern aus der Lava des Berges herausgemeißelt worden. Allein bei der Vorstellung, welch ungeheuerliche Anstrengung dies bedeutet hatte, schauderte Indiana. Mit welchen Mächten hatte er sich da eingelassen?

Langsam ging er weiter. Vor ihm lag ein gewaltiger Tunnel von quadratischem Querschnitt, dessen Wände mit Relief arbeiten und gemeißelten Bildern übersät waren, die die alten Maya-Gottheiten, aber auch Szenen aus dem täglichen Leben dieses untergegangenen Volkes zeigten. Roter Lichtschein und das an-und abschwellende, monotone Geräusch des Gesanges schlugen ihm entgegen, und in einiger Entfernung konnte er die Stufen einer Treppe erkennen, die sich in engen Windungen tiefer ins Herz des Berges hinabwand. Allein bei der Vorstellung, dort hinunter zu gehen, sträubte sich alles in ihm. Aber er hatte keine andere Wahl, wenn er Joana retten wollte. Und davon abgesehen — Indiana hatte das sichere Gefühl, daß er jetzt gar nicht mehr zurück gekonnt hätte; selbst, wenn er wollte. So ging er langsam weiter, wobei sein Blick über die in den Stein gemeißelten Bilder und Dämonengestalten glitt.

Die meisten davon kannte er — die Maya waren ein Volk von erstaunlich weit entwickelter Kultur gewesen, trotz der zum Teil barbarischen Riten, die zu ihrer Religion gehört hatten. Aber sie waren auch ein Volk zahlreicher Götter gewesen, und während er sich langsam den obersten Stufen der Treppe näherte, begann er zu begreifen, daß sie noch sehr viel mehr Götter gehabt und angebetet hatten, als die moderne Archäologie bisher annahm. Er sah Quetzalcoatl, die Gefiederte Schlange, in hundert verschiedenen Gestalten, aber er sah auch … Dinge. Zuckende schwarze Wesen, deren Anblick ihm fast körperliches Unbehagen bereitete, gewaltige Scheußlichkeiten mit glotzenden Augen und schrecklichen Schnäbeln, die Menschen verschlangen, während andere Menschen sie anbeteten, geflügelte Kolosse, die über das Land glitten und alles verwüsteten, was Menschen dem steinigen Boden mühsam abgerungen hatten. Und — es war verrückt, aber trotzdem — für einen Moment fragte er sich allen Ernstes, ob all diese Dinge wirklich nur Ausgeburten der Phantasie waren oder ob es sie vielleicht gegeben hatte, keine eingebildeten Götter, die nur in den Köpfen derer lebten, die sie verehrten, sondern lebende Dämonen, die töteten und verwüsteten und von den Gebeten und der Angst derer lebten, über die sie herrschten. Vielleicht, dachte er schaudernd, irrte sich Bentley. Vielleicht war es das, was José in dieser Nacht wiederzuerwecken versuchte, und wenn es so war, dann würden dem Commander all seine Kanonen und Kriegsschiffe nichts mehr nutzen, denn das waren Gewalten, gegen die von Menschen erschaffene Waffen nutzlos waren.

Er streifte auch diese Vorstellung ab und versuchte sie dorthin zu schieben, wo sie hingehörten — ins Reich des Lächerlichen — und setzte den Fuß auf die oberste Treppenstufe.