«Nein«, sagte er.
Indiana erstarrte mitten in der Bewegung und blickte José über den Tisch hinweg zornig an. Der Südamerikaner deutete auf die Kette, die unter Indianas Hemd sichtbar war.»Was ist das da?«fragte er.
Indiana zögerte. Einen Moment lang war er versucht, einfach aufzustehen und José samt seinem verdammten Geld sitzenzulassen, aber dann griff er doch unter sein Hemd und zog die Kette hervor, so daß José den kleinen Maya-Anhänger sehen konnte.
«Das ist Gold, nicht wahr?«fragte José.
Indiana nickte grimmig.»Ja, und das ist verdammt viel mehr wert als die lumpigen hundertsiebenunddreißig«, sagte er.
«Dann setze ich noch mal tausend«, sagte José und fügte mit einem dünnen, hämischen Lächeln hinzu:»Falls ich dir dafür gut bin, heißt das.«
«Aber natürlich«, antwortete Indiana gepreßt.»Du hast unbegrenzten Kredit bei mir, mein Freund.«
Mit einem Ruck zog er die Kette über den Kopf, warf sie auf den Tisch und starrte José an.»Dann zeig mal, was du hast.«
«Zuerst du«, sagte José.
Indiana zuckte mit den Achseln, deckte seine beiden Könige und die drei Asse auf und lehnte sich zurück. Eigentlich hatte er den Moment genießen und die Karten eine nach der anderen herumdrehen wollen, und zwar in einer Reihenfolge, die José bis zum letzten Moment im unklaren darüber gelassen hätte, was er wirklich hatte. Aber er hatte längst den Spaß an dieser Pokerpartie verloren. Es war ihm auch eigentlich gleichgültig, ob er gewann oder nicht. Das einzige, was er wollte, war, José eine Lektion zu erteilen.
Ein paar Sekunden später begriff er, daß er es war, der an diesem Abend eine Lektion bekam.
Josés Augen weiteten sich, als sie das Füll House von Indiana Jones sahen, aber es war kein Schrecken, der sich darin widerspiegelte, sondern ein wilder Triumph. Einen Moment lang lächelte er, dann begann er schallend zu lachen, griff nach seinen eigenen Karten und warf sie Indiana über den Tisch zu. Indiana fing sie auf, drehte sie herum und stieß enttäuscht die Luft zwischen den Zähnen aus, als er sah, welches Blatt José hatte.
Es war ein Straight bis zum As; dem letzten, das Indiana noch gefehlt hatte.
«Tja, Dr. Jones«, sagte José spöttisch.»Sieht so aus, als könnten Sie sogar von mir noch etwas lernen. «Grinsend beugte er sich über den Tisch und raffte den Einsatz an sich — weit mehr als zehntausend Dollar, schätzte Indiana. Mit ausdruckslosem Gesicht sah er zu, wie José das Geld vor sich zu kleinen, gleichmäßigen Stapeln sortierte, aber als der Mexikaner auch nach der Kette greifen wollte, hielt Indiana seine Hand zurück.»Das war nur ein Pfand«, erinnerte er ihn.
José nickte.»Ich weiß. Du bekommst es zurück — sobald du mir die elfhundertsiebenunddreißig Dollar bringst, die du mir schuldest.«
Indiana sparte sich eine Antwort. Das mit der Lektion hat ja prima geklappt, dachte er zornig. Nur dumm, daß er selbst es gewesen war, dem er sie erteilt hatte.
Er stand auf.»Morgen früh«, sagte er wütend.»Ich bringe dir das Geld ins Hotel. Wäre dir zehn Uhr recht?«
José schüttelte den Kopf.»Komm lieber um zwölf«, sagte er.»Ich habe das Gefühl, daß es heute nacht spät wird. Ich habe Grund zu feiern, weißt du?«
Indiana drehte sich so abrupt um, daß er in der Bewegung einen Stuhl umwarf, und stürmte davon. Es war fast Mitternacht, als er auf die Straße hinaustrat. Sein Kopf dröhnte, seine Augen brannten, und er hatte zuviel getrunken. Aber die klare, kalte Nachtluft half ihm. Er entfernte sich ein paar Schritte von dem Lokal, blieb stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen an eine Mauer, um einen Moment lang nichts anderes zu tun, als die frische Luft einzuatmen.
Und wieder zu sich selbst zu finden.
Er war zornig — und dieser Zorn galt sehr viel mehr ihm selbst als José. Dabei war es nicht einmal das verlorene Geld, das ihn so wütend machte. Er würde auch das überstehen, ohne ins Armenhaus gehen oder sich erschießen zu müssen. Was viel schlimmer war — er war von einem seiner eisernen Prinzipien abgewichen, nämlich dem, niemals mehr zu verspielen, als er bei sich hatte. Und was das Schlimmste war, er hatte etwas verspielt, was ihm nicht einmal gehörte.
Indiana hatte das Versprechen keineswegs vergessen, das er Swanson gegeben hatte. Er hatte den kleinen Anhänger die letzten drei Jahre ununterbrochen bei sich getragen, und er hatte intensiv nach Swansons Tochter gesucht, sie aber bisher nicht gefunden. Obwohl er die Stadt öfter besuchte, lag es diesmal zum größten Teil genau an diesem Anhänger, daß er in New Orleans war: Er war während der Semesterferien hierher gereist, weil ihm ein Kollege erzählt hatte, daß Swansons Tochter hier zu finden sei. Für den nächsten Tag hatte er eine Verabredung mit einem Rechtsanwalt, dem er schon vor drei Monaten schriftlich den Auftrag erteilt hatte, sie ausfindig zu machen.
Nun ja, bis dahin war Zeit genug, den Anhänger wieder auszulösen.
Er ging weiter. Es war sehr dunkel; am Himmel stand kein Mond, und während der Stunden, die er im PALLADIUM verbracht hatte, waren Wolken aufgezogen. Auf der anderen Seite des Hafens regnete es bereits, und die Luft, die ihm noch vor Augenblicken so erfrischend vorgekommen war, wurde nun bereits unangenehm kühl.
Indiana schlug den Jackenkragen hoch, rammte die Hände in die Taschen und ging mit gesenktem Kopf und schneller werdenden Schritten weiter. Er würde sich beeilen müssen, um rechtzeitig ins Hotel zu kommen und sich nicht nach der Pleite am Pokertisch auch noch eine kalte Dusche einzuhandeln.
Er überquerte die Straße, wandte sich nach rechts und blieb einen Moment unschlüssig stehen. Der Weg zum Hotel war nicht sehr weit, aber es wurde jetzt immer kälter, und der Wind wurde schneidender. Offensichtlich kam der Regen schneller heran, als er geglaubt hatte. Aber es gab eine Abkürzung. Nur wenige Schritte entfernt konnte er eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern erkennen — eigentlich kein richtiger Weg, sondern nur eine Lücke, die aus irgendeinem Grund nicht zugebaut worden war — und dahinter eine nicht einmal ganz zwei Meter hohe Ziegelsteinmauer. Auf der anderen Seite, das wußte er, lag die Straße, an der sein Hotel lag.
Er bog in die Gasse ein und näherte sich der Mauer, wobei er im Slalom gehen mußte, um überquellenden Mülltonnen und leeren Pappkartons auszuweichen. Sein Fuß stieß im Dunkeln gegen einen Mülltonnendeckel, der scheppernd davonflog. Einen Augenblick später ertönte aus dem hinteren Teil der Gasse ein wütendes Fauchen, und ein struppiger Schatten verschwand in der Dunkelheit.
Indiana erreichte die Mauer, streckte die Hände nach ihrer Krone aus — und drehte sich mit einem Ruck wieder herum.
Hinter ihm war etwas.
Er sah nichts. Er hörte nicht einmal etwas Verdächtiges, aber er spürte einfach, daß ihn jemand belauerte. Er war einfach ein paarmal zu oft verfolgt und gejagt worden, um nicht schon eine Art Instinkt für diese Art der Bedrohung entwickelt zu haben.
Sein Blick bohrte sich in die Dunkelheit. Dieser Schatten dort — war das wirklich eine Mülltonne oder eine zusammengekauerte Gestalt? Und die Bewegung gerade — er war jetzt nicht mehr sicher, daß das wirklich eine Katze gewesen war.
«Ist da jemand?«rief er in die Dunkelheit.
Keine Antwort.
«He — Freundchen!«rief Indiana.»Wenn du es auf meine Brieftasche abgesehen hast, spar dir die Mühe. Sie ist leer.«
Er bekam auch jetzt keine Antwort, aber das Gefühl, angestarrt zu werden, wurde immer intensiver.
Indianas Hand bewegte sich zur Jacke, die er hastig zurückschlug, dann kroch sie zum Gürtel. Seine Finger schlossen sich um den Griff der kurzstieligen, zusammengerollten Peitsche, die er fast immer dort trug, wenn er nicht gerade hinter seinem Pult an der Universität stand und Archäologie und Geschichte lehrte. Vor allem, wenn er Orte wie das PALLADIUM aufsuchte.
Und plötzlich ging alles rasend schnelclass="underline"