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Das rote Licht wurde intensiver, als er den Windungen des Treppenschachtes in die Tiefe folgte. Gleichzeitig wurde es wärmer. Der Geruch nach heißem Stein wurde so intensiv, daß ihm das Atmen immer schwerer fiel, und er war am ganzen Leib in Schweiß gebadet.

Um nicht völlig die Orientierung zu verlieren, zählte er die Stufen, die er hinabschritt, gab es aber bei zweihundertfünfzig wieder auf. Er mußte sich längst tief, tief unter der Pyramide und der Höhle befinden; auf halbem Weg zum lodernden Herzen des Vulkans; vielleicht auf halbem Weg zur Hölle.

Schließlich endete die Treppe — und diesmal gelang es Indiana nicht mehr, einen überraschten Aufschrei zu unterdrücken, der ihn nur deshalb nicht verriet, weil er im monotonen Singsang Hunderter und Aberhunderter Stimmen unterging.

Vor ihm lag eine weitere, kreisrunde Höhle, deren Decke sich zwanzig oder dreißig Yard über ihm zu einem spitzen, von nadelscharfen Stacheln und Speeren aus Lava gespicktem Dom wölbte. Wie tief ihr Boden unter ihm lag, konnte er nicht sagen — und es spielte auch keine Rolle, denn der Boden war kein Boden, sondern ein See aus kochendem, rotflüssigem Gestein, in dem es immer wieder aufblitzte und zuckte, aus dem zischende Blasen aufstiegen und Flammen züngelten. Es gab nur einen schmalen Felsring entlang der Wand, der den Lavasee umlief und auf den der Gang mündete.

Und trotzdem war er im Herzen des Tempels angelangt.

Direkt über dem See aus kochendem Stein, wie das Netz einer phantastischen Alptraumspinne, hing eine Plattform aus schwarzem Obsidian, die von einem Gewirr lächerlich dünner Felsstränge und Pfeiler gehalten wurde. Manche von ihnen waren kaum dicker als ein Finger, andere so breit, daß er bequem darauf hätte gehen können, und sie alle wuchsen völlig waagerecht aus den Wänden der Höhle, sämtlichen Naturgesetzen und allen Regeln der Logik ins Gesicht lachend, um die steinerne Plattform zu halten. Goldene Schmuckstücke, Waffen und rituelle Gegenstände von unvorstellbarem Wert waren überall an den Wänden der Höhle aufgehängt, und als Indiana einen weiteren Schritt machte, prallte er erschrocken zurück, denn er sah sich unversehens zwei Wächtern gegenüber, die Federmantel und — krone eines Maya-Königs trugen.

Die beiden Krieger rührten sich nicht. Und das konnten sie auch nicht, denn sie waren keine lebenden Menschen, sondern Statuen aus schwarzer Lava, lebensecht und so kunstvoll gearbeitet, daß Indiana verblüfft die Hand hob und über das Gesicht des einen strich, um sich von dem zu überzeugen, was seine Augen ihm sagten. Der Stein war warm. Alles hier war warm. Der Stein unter seinen Füßen war sogar heiß, und die Luft hatte mittlerweile eine solche Temperatur erreicht, daß er bei jedem Atemzug das Gefühl hatte, gemahlenes Glas einzuatmen. Glühendes gemahlenes Glas.

Nur mühsam riß er sich vom Anblick der beiden steinernen Wächter neben dem Eingang los und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem steinernen Spinnennetz über dem Krater zu. Der logische Teil seines Denkens schlug Purzelbäume bei diesem Anblick. Aber da war noch etwas anderes in ihm, etwas viel, viel Älteres, und dieses andere wußte genau, was er da vor sich hatte, und es spürte die uralten, bösen Mächte, die diesem Ort innewohnten, und schrie ihm zu, herumzufahren und zu fliehen, solange er es noch konnte.

Statt auf seine innere Stimme zu hören, schlich Indiana geduckt weiter, bis er eine Stelle an der Wand entdeckte, an der er ein Stück hinaufsteigen konnte, um einen besseren Blick auf die Plattform zu haben.

Auf dem schwarzen Rund aus schimmerndem Lavagestein standen Hunderte und Aberhunderte von Mayas, nackt bis auf den Lendenschurz und den Federkopfschmuck ihres Volkes, aber jeder einzelne bewaffnet und manche mit grellen Erdfarben bemalt. Die Mayas bildeten einen weiten, — zigfach gestaffelten Halbkreis, in dessen Zentrum sich der quadratische schwarze Block eines Altars befand.

Vor dem Altar stand José.

Indiana war viel zu weit von ihm entfernt, um sein Gesicht erkennen zu können, aber er trug den gleichen, grünen Zeremonienmantel, in dem er ihn an Bord der SARATOGA erblickt hatte, allerdings einen Kopfschmuck von anderer Farbe. Er stand reglos da, wie erstarrt, und hatte beide Arme in einer beschwörenden Geste erhoben. Nur seine Finger bewegten sich, und obwohl Indiana so weit von ihm entfernt war, daß er die Bewegung mehr ahnte als wirklich sah, ließ sie ihn doch schaudern. Sie bestimmte den Takt des unheimlichen Singsangs, in den die Maya-Krieger eingestimmt hatten, aber sie hatten gleichzeitig auch etwas Schlängelndes, Unheimliches, das Indianas kreatürliche Furcht vor diesem Ort noch verstärkte.

Und plötzlich sah er, daß es nicht nur Josés Finger waren, die sich bewegten.

Der Boden, auf dem er stand, zuckte. Glitzernde Schatten huschten hierhin und dorthin, schuppige schlanke Körper glitten über- und nebeneinander, strichen um Josés Füße und wanden sich an seinen Beinen empor.

Schlangen!

José stand inmitten eines lebenden Teppichs aus kriechenden, zitternden Schlangen.

Ein eisiger Schauer lief über Indianas Rücken. Schlangen! Warum mußten es ausgerechnet Schlangen sein, die einzigen Tiere auf der Welt, vor denen er wirklich Angst hatte?

Indiana schüttelte den Gedanken an diese widerwärtigen Kreaturen ab und versuchte, sich statt dessen auf die Gestalt im grünen Federmantel zu konzentrieren, — doch das fiel ihm nun immer schwerer, denn seine überreizte Phantasie gaukelte ihm plötzlich in jedem Schatten huschende Bewegung vor, in jedem Laut das helle Scharren harter Schuppen auf dem Fels und in jedem Lichtreflex das Blinzeln starrer Reptilienaugen.

José stand noch immer mit erhobenen Armen und bis auf die Bewegungen seiner Hände reglos da, aber in seine Krieger war Bewegung gekommen. Die meisten Mayas hockten noch immer auf den Knien, mit gesenkten Häuptern, die Oberkörper im Takt des unheimlichen Singsangs hin- und herwiegend, aber in ihrer Mitte war eine schmale Gasse entstanden, und Indiana fuhr erschrocken zusammen, als er sah, wie zwei der Maya-Krieger auf ihren Priester zutraten, wobei sie eine dritte, kleinere Gestalt in einem knöchellangen, weißen Gewand zwischen sich führten.

Es war Joana.

Indiana konnte den Ausdruck auf ihrem Gesicht noch nicht erkennen, aber sie bewegte sich langsam, mit den eckigen Schritten eines Menschen, der nicht mehr Herr seines Willens ist. Indianas Gesicht verdüsterte sich bei dem Gedanken, was José getan haben mochte, um sie in diesen Zustand zu versetzen.

Sein Blick tastete durch das weite Rund der Kraterhöhle. Er mußte näher an José und den Altar herankommen, wenn er Joana helfen wollte — aber wie? Zwar gab es sicherlich ein Dutzend steinerne Stränge, die breit genug waren, um über sie zu der Felsplattform in der Mitte des Kraters zu gelangen, aber sie boten nicht die mindeste Deckung, und er hatte sein Glück bisher schon genug strapaziert. Für einen Moment tastete sein Blick sogar über die Decke, und für einen noch kürzeren Moment spielte er ernsthaft mit dem Gedanken, sich an den Graten dort oben entlangzu-hangeln, verwarf ihn aber rasch wieder. Es hätte schon der Geschicklichkeit — und der Anzahl von Beinen — einer Spinne bedurft, um sich dort oben festhalten zu können. So tat er das einzige, was ihm übrigblieb — er sah weiter zu, was vor ihm geschah.

Die beiden Mayas hatten den Altar erreicht und Joana losgelassen. Sie war sehr bleich, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht war der von Leere, zugleich aber auch von tiefer Qual, die Indiana erschütterte. Der weiße Verband um ihre Stirn schien im blutroten Licht der Kraterhöhle unheimlich zu leuchten.

Langsam wandte sich José um und trat auf das Mädchen zu, dann streckte er die Hand aus.

«Gib mir das Amulett«, befahl er.

Joana begann zu zittern. Ihre Lippen bewegten sich, als wolle sie etwas sagen, doch kein Laut war zu hören. Langsam, als kämpfe sie mit aller Macht gegen die Bewegung an, hob sie die Arme, stockte, hob sie noch ein Stückchen weiter — und ließ sie wieder fallen.