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Die Schlangen! Sie waren noch immer da, wie von einer unsichtbaren Mauer in einem Kreis zwei oder drei Meter rings um den Altar gehalten. Es waren Hunderte, wenn nicht Tausende dieser Reptilien, die einen lebenden Teppich auf dem Boden bildeten. In Indiana zog sich alles schmerzhaft zusammen bei der bloßen Vorstellung, die unsichtbare Grenze zu überschreiten und inmitten dieses wimmelnden, kriechenden Gewürms zu stehen.

Ein Lächeln verzog Josés Lippen, als er Indianas Zögern bemerkte.»Hast du deine Angst vor Schlangen noch immer nicht überwunden, Indy, mein Freund?«fragte er spöttisch.

«Nenn mich nicht so«, knurrte Indiana böse. Josés Lächeln wurde noch breiter. Indiana machte einen weiteren Schritt und blieb wieder stehen. Und wider besseren Wissens versuchte er ein letztes Mal, an Josés Vernunft zu appellieren:»Das kann nicht dein Ernst sein!«sagte er.»Hast du wirklich vor, dieses … dieses Ding zu erwecken?«

Es gelang ihm nicht, José zu erschüttern. Das Lächeln auf dem Gesicht des Südamerikaners blieb unbeweglich.»Du sprichst von Quetzalcoatl, unserem Herrn und Gott«, sagte er.

«Ich weiß nicht, was das ist!«erwiderte Indiana aufgebracht.»Aber du mußt es doch auch spüren. Du mußt doch fühlen, was hier geschieht.«

«Natürlich«, antwortete José ruhig.

«Dann bist du noch verrückter, als ich dachte«, erwiderte Indiana.»Spürst du es nicht? Was immer an diesem Ort gefangen ist, es ist böse. Es ist kein Gott, den du erwecken wirst!«

«Sicher keiner nach deiner Definition, Indiana«, antwortete Jo-sé ruhig.

«Es wird dir nicht gelingen«, sagte Indiana.»Du kannst die Beschwörung nicht durchführen ohne das richtige Amulett.«

«Vielleicht habe ich es ja«, sagte José.»Nur eines von dreizehn ist das richtige, aber zwölf davon befinden sich in meinem Besitz. Die Chancen stehen nicht schlecht.«

«Eins zu zwölf, daß du dich und uns alle hier umbringst, du Narr?«

«Quetzalcoatl wird mein Gebet erhören. Und es ist egal, ob das richtige Amulett dabei ist oder nicht. Blut wird ersetzen, was Metall nicht zu tun vermag. Und nun geh!«Die drei letzten Worte hatte er in herrischem, befehlendem Ton gesprochen, und als Indiana abermals zögerte weiterzugehen, traten zwei Maya-Krieger hinter ihn und versetzten ihm einen Stoß, der ihn an José vorüberstolpern ließ.

Ein Schuß krachte.

Der Maya links neben Indiana stolperte mit einem krächzenden Schrei nach vorn, brach auf die Knie und fiel dann vornüber in die Masse wimmelnder Schlangen. Genau zwischen seinen Schulterblättern war ein kleines, rundes Loch entstanden.

Eine halbe Sekunde lang schien jedermann vor Überraschung den Atem anzuhalten; und dann brach rings um Indiana ein heilloses Chaos aus. Ein zweiter, dritter, vierter und fünfter Schuß peitschte, und weitere Maya-Krieger stürzten getroffen zu Boden, aber Indiana achtete gar nicht darauf, sondern riß sich mit einem plötzlichen Ruck los, nahm einen Schritt Anlauf und sprang mit aller Kraft. Für einen entsetzlichen Moment hatte er das Gefühl, zu kurz gesprungen zu sein und inmitten der Menge aus glitzernden Schlangenleibern landen zu müssen, dann prallte er unsanft mit der Hüfte gegen die Kante des steinernen Altars, klammerte sich instinktiv fest und zog sich, den Schwung seiner eigenen Bewegung nutzend, auf die Oberseite des Felsblocks hinauf. Unsanft prallte er gegen Joana und brachte den Ring aus münzgroßen Anhängern durcheinander, in dessen Zentrum sie lag.

Noch immer fielen Schüsse, aber als Indiana sich aufrichtete, sah er, daß das gesamte gewaltige Maya-Heer ebenfalls zu den Waffen gegriffen hatte und mit Blasrohren, Pfeilen und Äxten auf eine Handvoll Gestalten zielte, die in dem Torbogen zu dem Tunnel erschienen war, durch den auch Indiana die Höhle betreten hatte.

Aber keiner der Mayas schoß, denn genau in diesem Moment krachten dicht hintereinander zwei weitere Schüsse, und unmittelbar vor Josés Füßen stoben Funken aus dem Fels, so dicht und so präzise nebeneinander, daß es kein Zufall sein konnte.

«Halt sie lieber zurück, mein Freund«, tönte eine Indiana wohlbekannte Stimme vom Rand des Kraters her.»Ich weiß, daß sie uns umbringen können — aber du stirbst gleichzeitig.«

José erstarrte. Indiana sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete, während er entsetzt auf die beiden Gewehrläufe blickte, die Bent-ley und einer seiner Matrosen auf ihn gerichtet hatten. Norten und die beiden anderen Männer standen neben dem Schiffskapitän und richteten drohend die Mündungen von zwei klobigen Maschinenpistolen auf das kampfbereite Maya-Heer. Und dann beobachtete Indiana ungläubig, wie zwei, drei, schließlich vier weitere Gestalten aus dem niedrigen Tunnel traten. Eine von ihnen war Anita, die sich heftig und vergebens gegen den Griff eines mehr als zwei Meter großen Riesen mit Hakennase und fliehender Stirn zu wehren versuchte. Diesen Riesen gab es gleich dreimal. Es waren die drei hünenhaften Maya-Krieger, mit denen Indiana schon mehrmals unliebsame Bekanntschaft geschlossen hatte!

«Das sieht ja so aus, als wäre ich gerade noch im richtigen Moment gekommen«, fuhr Norten mit einem meckernden Lachen fort.»Du wolltest doch nicht etwa dein Wort brechen und das Zeremoniell auf eigene Faust durchführen, alter Freund?«Er schüttelte tadelnd den Kopf.

«Was willst du?«fragte José ruhig.

Norten lachte. Als gäbe es die gut zwei- oder dreihundert Maya-Krieger gar nicht, die drohend ihre Waffen auf ihn richteten, bewegte er sich auf den Kraterrand zu und trat, ohne zu zögern, auf eines der schmalen Felsbänder hinaus.»Ruf deine Männer zurück«, sagte er.»Sie sollen die Waffen senken, oder ich schwöre dir, daß keiner von uns lebend hier herauskommt.«

José rührte sich nicht. Auch seine Krieger senkten ihre Blasrohre und Bögen keineswegs, aber sie zögerten doch, auf Norten zu feuern, obwohl er ein sicheres und wehrloses Ziel bot. Den Männern war offenbar klar, daß sie mit ihren Pfeilen gleichzeitig das Leben des Herrn verspielen würden, denn Bentley und die Soldaten hatten bewiesen, daß sie wahre Meisterschützen waren. Und Indiana war auf einmal auch nicht mehr so sicher, daß die Chancen wirklich so ungleich verteilt waren. Die beiden Soldaten mit den Maschinenpistolen standen ein Stück zu weit entfernt, um von den Blasrohren sicher getroffen zu werden; andererseits gab es auf dem kleinen Rund aus Felsen nichts, wohinter sich die Maya verstecken oder wohin sie fliehen konnten, so daß sie dem Feuer der Maschinenpistolen hilflos ausgeliefert sein würden.

Während Norten mit langsamen Schritten über den Felsen heranspaziert kam, beugte sich Indiana über Joana und rüttelte sie an der Schulter. Sie stöhnte leise, ihr Kopf rollte hin und her, und ihre Lider flatterten, aber sie wachte nicht auf. Er schüttelte sie noch heftiger, zog sie schließlich an den Schultern in die Höhe und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige — und das half. Verwirrt öffnete Joana die Augen, hob die Hand an die brennende Wange und blickte ihn mit einer Mischung aus Vorwurf und Überraschung an.»Was …?«

«Jetzt nicht«, unterbrach sie Indiana hastig.»Sag kein Wort bitte!«

Verzweifelt sah er sich um und suchte nach einem Ausweg. Aber es gab keinen. Ringsum drängte sich das Heer der Maya-Krieger, und auf der anderen Seite endete der Felsen in einem Abgrund, unter dem lodernde Lava kochte.

Ohne zu zögern und mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der sich seiner völligen Unverwundbarkeit bewußt ist, schritt Norten durch die Reihen der Maya-Krieger auf José zu und blieb zwei Schritte vor ihm stehen.»Überrascht, mich wiederzusehen, alter Freund?«fragte er lächelnd.

José starrte ihn mit unverhohlenem Haß an.»Was willst du?«fragte er.

Norten schüttelte spöttisch den Kopf.»Ich denke, wir müssen uns unterhalten, mein Freund«, sagte er.»Daß du das alles hier allein machst, war nicht verabredet — glaube ich.«

José schwieg. Hinter seiner Stirn arbeitete es, und es hätte Indiana nicht gewundert, hätte er trotz der drohend auf ihn gerichteten Gewehrläufe in diesem Moment das Zeichen zum Angriff gegeben. Auch Norten schien zu dem gleichen Schluß gekommen zu sein, denn er schüttelte abermals den Kopf und machte eine besänftigte, gleichzeitig aber auch drohende Handbewegung.