Indiana funkelte ihn an.»Sie wissen genau, was ich meine!«
Ganty seufzte.»Ich hatte keine andere Wahl, Dr. Jones«, sagte er.»Nach dem, was Sie gesehen haben, konnte ich Sie nicht einfach zurücklassen. Und es mußte für Ihren Freund überzeugend aussehen.«
«Hätte es nicht gereicht, mir einfach eins über den Schädel zu ziehen?«maulte Indiana.
«Ich fürchte, nein«, antwortete Ganty betrübt.»Sehen Sie, wenn Ihre Freunde denken, Sie wären tot, dann wird man vielleicht ein paar Wochen nach Ihrem Mörder suchen, und das nicht einmal besonders intensiv. Danach kräht kein Hahn mehr nach Ihnen. Andererseits … wenn der berühmte Dr. Indiana Jones entführt worden ist, dann könnte es hier unter Umständen in ein paar Tagen von Schiffen und Flugzeugen nur so wim meln.«
«Der berühmte Dr. Indiana Jones?«wiederholte Indy.
Ganty lachte.»Ich weiß genau, wer Sie sind, Dr. Jones. Ich
71
bin nicht der Dummkopf, für den mich alle halten.«
«Das habe ich Ihnen auch keine Sekunde lang abgekauft«, antwortete Indiana.»Darf ich aus Ihren Worten schließen, daß meine Hinrichtung nur aufgeschoben ist?«
«Darüber habe ich nicht zu entscheiden«, antwortete Ganty.
«Aber ich glaube nicht, daß sie Sie töten werden.«
«Sie?«
Ganty lächelte und schwieg.
Indiana versuchte, die Beine von der Pritsche zu schwingen, stellte den Versuch aber sofort wieder ein, als Ganty eine drohende Bewegung mit seiner Pistole machte.»Wer sind Sie, Ganty?«fragte er.»Wer sind Sie wirklich?«
«Nur ein alter Mann«, antwortete Ganty,»der zufällig hinter eines der letzten Geheimnisse dieser Welt gekommen ist und nicht möchte, daß es zerstört wird. «Er lachte leise.»Vor zwanzig Jahren hätte ich mich selbst als ihr Wächter bezeich net, aber ich glaube, dieses Wort wäre ein wenig zu schwül stig.«
«Dann hatte ich recht«, sagte Indiana.»Es gibt einen anderen Ort, an dem die Osterinsel-Kultur existierte. Und Sie wissen, wo das ist.«
«Ihre Vermutung ist richtig, Dr. Jones«, antwortete Ganty.
«Nur die Grammatik stimmt nicht.«
«Wie?«
«Sie benutzen die Vergangenheitsform«, sagte Ganty.
Es dauerte einen Moment, bis Indiana wirklich begriff, was sein Gegenüber meinte. Aber dann sperrte er ungläubig Mund und Augen auf.»Sie … Sie wollen behaupten, sie existiert noch?«keuchte er.
Ganty nickte.»Unverändert und unberührt wie am ersten Tag. Und das wird auch so bleiben.«
«Und Sie wissen, wo diese Insel liegt?«fuhr Indiana aufge regt fort.»Wir sind auf dem Weg dorthin«, sagte Ganty.»Wenn das Wetter sich hält, werden wir sie morgen früh erreichen.«
«Aber das ist ja … phantastisch!«sagte Indiana. Er war so aufgeregt, daß er sich nun doch aufsetzte und dabei den Schmerz in seinen geprellten Rippen kaum noch spürte. Den in seinem Hinterkopf schon, als er zum zweiten Mal gegen die Kante der oberen Pritsche knallte.
«Bitte freuen Sie sich nicht zu früh, Dr. Jones«, sagte Ganty, während Indiana sich mit der linken Hand die Rippen und mit der rechten den dröhnenden Schädel rieb.»Ich glaube, ich kann für Ihr Leben garantieren. Aber nicht dafür, daß man Sie wieder weglassen wird.«
Es dauerte noch mehrere Stunden, bis Indiana sich wieder so weit bei Kräften fühlte, daß er die Kajüte verlassen und an Deck des Schiffes hinaufgehen konnte. Sie fuhren in westlicher Richtung. Vor ihnen und zu beiden Seiten war der Himmel leer, und die See lag glatt wie ein Spiegel da, aber allerhöch stem eine Meile hinter der Yacht türmten sich schwere, schwarze Wolken wie finstere Märchenburgen auf, und das Meer war unter einer dichten Nebelbank verborgen. Indiana hoffte, daß das Schiff schnell genug war, dem Sturm davonzu laufen. Er konnte sich angenehmere Dinge vorstellen, als in dieser Nußschale einen Orkan mitzuerleben.
Ganty stand hinter dem Ruder, aber seine Hände ruhten nur darauf, sie hielten es nicht wirklich fest. Er mußte Indianas Schritte gehört haben, denn der gab sich nicht die mindeste Mühe, leise zu sein, aber er drehte sich nicht einmal zu ihm herum. Indiana trat neben ihn, blickte eine ganze Weile schweigend an ihm vorbei nach Westen und fragte dann unvermittelt:»Wieso vertrauen Sie mir, Ganty?«
«Sollte ich nicht?«Ganty sah ihn nicht an.
«Das ist keine Antwort«, sagte Indiana.»Sie haben Ihr Ge heimnis zwanzig Jahre lang gehütet.«
«Leider nicht gut genug«, gestand Ganty.»Früher, als ich jünger war, habe ich manchmal mehr geredet, als gut war.«
«Daher die Gerüchte?«
«Ja. Leider. Um ein Haar hätte ich alles verdorben. Aber dann ist mir gerade noch rechtzeitig klar geworden, welches Schick sal ihnen blüht, wenn die Welt von ihrer Existenz erfährt. «Er lachte. Es klang sehr bitter.»Also habe ich versucht, den Schaden wiedergutzumachen. Wer glaubt schon einem ver rückten, alten Säufer?«
«Und nach all diesen Jahren vertrauen Sie sich ausgerechnet mir an?«fragte Indiana.
Ganty löste seinen Blick nun doch vom Horizont und sah ihn an.»Wüßten Sie einen Besseren, Dr. Jones?«
Indiana wurde verlegen.»Nun, ich — «
«Ich weiß, wer Sie sind, Dr. Jones«, erinnerte ihn Ganty.»Zugegeben, wir leben hier fast am Ende der Welt, aber das eine oder andere hört man doch. Und es gibt Dinge, auf die ich ganz besonders achte. Ich habe noch immer gewisse Verbin dungen von früher.«
Indiana blickte ihn fragend an, und Ganty lächelte ganz leise.
«Ich war einmal Professor für Archäologie, Dr. Jones. Genau wie Sie. Aber das ist lange her.«
«Sie?!«fragte Indiana ungläubig. Gleich darauf tat ihm der Tonfall, in dem er die Frage gestellt hatte, selber leid, und er entschuldigte sich.
Ganty winkte ab.»Sie müssen sich nicht entschuldigen, Dr. Jones. Ich habe genau den Ruf, den ich haben wollte. Aber ich weiß noch, wie ich in Ihrem Alter war. Und deshalb glaube ich, Ihnen vertrauen zu können. Sie sind nicht so wie die meisten meiner sogenannten Kollegen, die an nichts anderes als an ihren persönlichen Erfolg und Ruhm denken können. Ich war auch einmal so. Aber dann habe ich irgendwann begriffen, daß es Dinge gibt, die man versteckt halten muß, um sie zu bewah ren. Und ich glaube, Sie wissen das auch.«
Indiana sagte nichts. Gantys Worte hatten ihn verlegen ge macht, aber er spürte auch, daß sie ehrlich gemeint waren.
Nur um von dem Thema abzulenken, deutete er nach Osten.
Die graue Wand war nicht näher gekommen, aber ihr Abstand zu der Schlechtwetterfront hatte sich auch nicht sichtbar vergrößert.»Glauben Sie, daß der Sturm uns einholt?«fragte er.
«Oder daß Ihr Schiff ihn aushält?«
In Gantys Augen glitzerte es spöttisch.»Die Antwort auf beide Fragen ist nein«, sagte er.»Dieses Schiff ist beinahe so alt wie ich. Und ich fürchte, es ist auch in keinem wesentlich besseren Zustand. «Er weidete sich einige Sekunden lang sichtlich an Indianas unübersehbarem Schrecken, dann fuhr er fort:»Aber er wird uns nicht einholen.«
«Sind Sie sicher?«fragte Indiana zweifelnd. Er verstand nicht annähernd soviel von der Seefahrt wie Ganty, aber er wußte, wie unberechenbar das Wetter gerade in diesem Teil der Welt sein konnte.»Absolut«, antwortete Ganty.»Das ist nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme. Für den Fall, daß Ihr Freund Delano auf die Idee kommen sollte, uns zu folgen.«
«Wie bitte?«fragte Indiana verwirrt.
«Wußten Sie nicht, daß Ihnen ein Schiff nach Pau-Pau gefolgt ist?«fragte Ganty.»Sie sollten bei der Auswahl Ihrer Freunde etwas sorgfältiger sein.«
«Das habe ich nicht gemeint«, sagte Indiana. Er deutete auf die graue Wand aus Nebel und Wolken, die der Yacht tatsäch lich im Abstand von einer guten Seemeile zu folgen schien.
«Was soll das heißen: eine reine Vorsichtsmaßnahme?«
«Können Sie sich ein Schiff vorstellen, daß uns in diesem Wetter noch folgen könnte?«fragte Ganty.»Oder ein Flug zeug?«