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Wieder blickte Indiana sekundenlang zu der gewaltigen Barriere aus Nebel und Wolken zurück.»Nein«, sagte er dann.

«Sehen Sie? Ich auch nicht«, antwortete Ganty lächelnd.

Und das war alles, was Indiana ihm über den Sinn seiner geheimnisvollen Bemerkung entlocken konnte.

Aber es war beinahe schon mehr, als er eigentlich hatte wissen wollen.

Die Insel der Langohren Am nächsten Morgen

Sie erreichten den Ort, über den Indiana bis zum Schluß nicht mehr als einige geheimnisvolle Andeutungen gehört hatte, fast auf die Minute genau zu dem Zeitpunkt, den Ganty vorherge sagt hatte, nämlich eine Stunde vor Sonnenaufgang. Es war nicht mehr völlig dunkel, aber auch noch nicht richtig hell, so daß Indiana kaum mehr als einen vagen Eindruck von der Insel erhielt, der sie sich näherten. Sie schien sehr groß zu sein, verglichen mit den zumeist winzigen Archipelen der polynesi-schen Inselwelt, aber auch sehr flach, kaum mehr als eine mit harten Strichen gemalte Linie auf dem Horizont, ohne nen nenswerte Erhöhungen oder Berge. Ganty manövrierte das Boot auf dem letzten Stück des Weges mit äußerster Behut samkeit, und Indiana erkannte auch bald den Grund dafür: ein Ring scharfkantiger Riffe und Korallenbänke umgab die Insel wie ein natürlicher Festungswall. Er verließ schließlich das Ruderhaus, um Ganty nicht in seiner Konzentration zu stören. Er hatte wenig Lust, das letzte Stück zum Ufer schwimmen zu müssen.

Die Schlechtwetterfront war ihnen tatsächlich den ganzen Tag und auch die Nacht über wie ein treuer Wachhund gefolgt, in der Dunkelheit sah sie tatsächlich aus wie eine Wand, hinter der der Rest der Welt verborgen lag, und zusätzlich kam mit dem Morgen nun auch noch leichter Nebel auf. Im Moment war es nur eine Art Dunst, der wie ein in zahllose Stücke zerrissener Schleier über dem Wasser hing, aber er würde bald stärker werden. Indiana war plötzlich sehr froh, daß Ganty seinen Zeitplan so präzise eingehalten hatte. In einer Stunde würde es wahrscheinlich unmöglich sein, die Riffe zu durchfahren.

Wie um ihn daran zu erinnern, daß es auch jetzt gefährlich war, schrammte etwas mit einem unangenehmen Quietschen am Bootsrumpf entlang, und Indiana spürte, wie die Planken unter seinen Füßen zu zittern begannen. Erschrocken drehte er sich zu Ganty um.

Der alte Mann lächelte entschuldigend.»Keine Sorge, Dr. Jones. Wir sind schon fast durch. «Er konzentrierte sich wieder auf das Wasser vor dem Bug der Yacht und sagte leiser, und eigentlich mehr zu sich selbst als zu Indiana gewandt:»Weiter im Norden gibt es eine breitere Passage. Ich sollte vielleicht allmählich anfangen, sie zu benutzen.«

Der Nebel nahm zu, aber sie hatten das gefährlichste Stück jetzt hinter sich. Das Boot glitt, nicht mehr viel schneller als ein Spaziergänger, auf den Strand zu und kam schließlich völlig zur Ruhe. Ganty schaltete den Motor aus, winkte Indiana fast aufgeregt, er solle ihm folgen, und sprang in das nur noch knietiefe Wasser hinab.

Eine wohlbekannte Erregung ergriff von Indiana Besitz, als sie nebeneinander die wenigen Schritte zum Strand hinaufwa teten. Wieder einmal war er dabei, einen vergessen geglaubten Teil der Welt zu entdecken. Es spielte keine Rolle, daß er nicht der erste war, der hierher kam. In diesem Punkt hatte Ganty ihn völlig richtig eingeschätzt. Indiana hatte schon vor langer Zeit begriffen, daß man nicht alles, was man entdeckte, auch der ganzen Welt mitteilen mußte. Wäre es ihm darum gegangen, dann hätte sein Name längst in allen Lehrbüchern noch vor denen eines Cook oder Livingstone gestanden. Aber es war nicht Ruhm, dem die ruhelose Suche galt, die Indiana Jones ganzes Leben beherrschte. Was er wollte, das war die Suche selbst, das prickelnde Gefühl des Entdeckens, das Wissen, etwas in Händen zu halten, was vor ihm noch niemand berührt, ein Stück Boden zu beschreiten, den seit tausend Jahren niemand mehr betreten hatte. Und tief in sich war er überzeugt davon, daß diese Einstellung auch der Grund war, aus dem man ihm all diese Geheimnisse zu entdecken gewährte. Er hatte wohl irgendwann einmal einen Pakt mit dem Schicksal geschlossen, der von seiner Seite Stillschweigen forderte. Die Vergangenheit gab ihre Geheimnisse niemandem preis, der sie herumerzählte.

Einen Meter aus dem Wasser heraus blieben sie stehen. Im ersten Moment nahm Indiana an, es sei, um kurz zu verschnau fen. Aber Ganty blieb auch weiter reglos stehen, nachdem mehr als eine Minute verstrichen war.

«Wie geht es weiter?«fragte Indiana schließlich.

«Wir warten«, antwortete Ganty.»Es ist besser, wenn wir hier warten. Es wird nicht lange dauern. Sie wissen, daß wir kommen. «Er hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, daß aber eher ehrfürchtig als ängstlich klang, und auch Indiana sagte nichts mehr. Sie wurden beobachtet, das fühlte er. Der Dschungel schob sich bis auf zwanzig Meter ans Wasser heran, und er war so dicht, daß vermutlich auch am Tage nichts anderes als eine grünschwarze Mauer zu erkennen war. Aber er konnte fühlen, wie unsichtbare Augen sie aus der Dunkelheit heraus anstarrten, wach, vorsichtig und voller Mißtrauen.

«Sie sind verwirrt, weil ich nicht allein komme«, sagte Ganty leise.»Aber sie vertrauen mir, keine Sorge.«

Indiana schwieg. Er hoffte inständig, daß Ganty recht hatte.

Aber ganz sicher war er plötzlich nicht mehr.

Ein mattes Schimmern dicht am Waldrand erregte Indianas Aufmerksamkeit. Fragend sah er Ganty an, bekam keine Antwort und ging los.

Ein paar Schritte vor dem Dschungel lag ein Stück Wellblech.

Ein Eimer Wasser, den man ohne Vorwarnung über ihm ausgoß, hätte Indiana nicht plötzlicher in die Wirklichkeit zurückreißen können. Es war nur ein kleiner Fetzen, kaum größer als eine Kinderhand, aber der war mehr als ein x-beliebiges Stück Metall. Das Stück stammte aus dem Rumpf des Flugzeuges, das vor Pau-Pau ins Meer gestürzt war, und sein Anblick führte ihm fast brutal vor Augen, warum er im Grunde hier war.

Aber er bedeutete auch noch mehr, und dieses Mehr hatte nichts mit deutschen Geheimwaffen, Agenten und versteckten U-Boot-Häfen zu tun. Er bedeutete das Ende einer Zeit, das Ende einer Epoche und wohl auch das Ende von Gantys Traum.

Vielleicht würde es noch eine Weile dauern, vielleicht noch Jahre, möglicherweise sogar noch einige Jahrzehnte, aber es würde eine Zeit kommen, in der es Orte wie diesen nicht mehr gab, in der alles entdeckt, jeder Platz erforscht und jeder Quadratmeter dieses Planeten kartografiert oder zumindest gesehen worden war. Die weißen Flecken auf dem Globus nahmen ab, und in nicht allzu ferner Zukunft würden sie verschwunden sein, geschmolzen wie Eis in der Sonne einer Zukunft, von der Indiana nicht sicher war, ob sie wirklich besser sein würde als die Gegenwart, denn mit ihnen würden vielleicht auch die letzten Geheimnisse dieser Welt verschwin den.

Er spürte erst nach einer Weile, daß er nicht mehr allein war.

Ganty stand neben ihm, und der Ausdruck auf seinem Gesicht bewies, daß sich seine Gedanken nicht so sehr von Indianas Empfindungen unterschieden. Plötzlich trat er einen Schritt nach vorn und stampfte das Blech zornig mit dem Absatz in den Sand. Es verschwand nicht völlig. Eine kleine, scharfe Kante war noch immer zu sehen, glitzernd wie eine Messer klinge, die nur hier war, um sie zu verspotten.

Indiana schwieg, und nach einer weiteren Sekunde wandte auch er sich ab. Er ahnte, was in dem alten Mann vorging, aber es gab nichts, was er hätte sagen können. Keiner von ihnen konnte die Zeit anhalten; oder gar zurückdrehen.

Aus einem plötzlichen Gefühl von Pietät heraus wandte sich Indiana ganz um und ging wieder ein Stück den Strand hinunter. Er hatte das Gefühl, daß es besser war, Ganty jetzt ein paar Minuten allein zu lassen.

Es war spürbar kühler geworden, seit sie an Land gegangen waren. Aus dem Dunst war mittlerweile richtiger Nebel geworden, der grau und schwer wie eine vom Himmel gefalle ne Wolke auf dem Wasser lag und alles mit Feuchtigkeit tränkte.