«Mein Name ist Barlowe«, antwortete der Mann. Er deutete auf den Bärtigen, der Indiana immer noch voll von unverhoh lenem Haß anstarrte.»Das ist van Lees, und der Mann, der Sie niedergeschlagen hat, ist Bell. Wir sind die letzten. «Eine dritte Gestalt trat in Indianas Blickfeld: ein alter, weißhaariger Mann, der seine liebe Mühe zu haben schien, das Gewicht des gewaltigen Knüppels zu bewältigen, den er in seinen Händen hielt.
Trotzdem konnte er offenbar ausgezeichnet damit umgehen, wie der dröhnende Schmerz in Indianas Schädel bewies.
«Die letzten wovon?«fragte Indiana.
«Die letzten, die sie noch nicht erwischt haben«, antwortete Barlowe.
«Sie waren also in dem Flugzeug«, überlegte Indiana.»In der
Maschine, die vor acht Monaten hier verschwand?«
«Acht Monate?«Barlowe erschrak sichtlich.»Großer Gott, ich wußte nicht, daß es schon so lange her ist!«
«Es wird noch viel länger dauern, wenn wir weiter hier herumstehen und quatschen«, sagte van Lees.»Einer von den Wilden ist abgehauen! Was redest du überhaupt mit dem Kerl? Wahrscheinlich steckt er mit ihnen unter einer Decke, genau wie der Alte!«
Indiana bemerkte erst jetzt, daß Ganty sich ebenfalls aufge setzt hatte und die drei zerlumpten Gestalten der Reihe nach anstarrte. Seine Hand bewegte sich unauffällig zu seiner Jackentasche.
«Wenn du das hier suchst, dann spar dir die Mühe. «Van Lees hielt grinsend Gantys Pistole in die Höhe.»Damit kann ich im Moment mehr anfangen. Jetzt können deine langohrigen Freunde kommen.«
«Freu dich nicht zu früh«, sagte Barlowe.»Jonas hatte auch eine Pistole. Sie hat ihm nicht sehr viel genutzt.«
«Jonas?«Indiana wurde hellhörig.»Ist er hier? Lebt er?«
«Die Wilden haben ihn«, antwortete Barlowe.»Ich habe keine Ahnung, ob er noch am Leben ist. Sie haben ihn ver schleppt, genau wie Mrs. Sandstein, van Lees’ Bruder und den Holländer. — Und meine Frau«, fügte er nach einer deutlichen Pause sehr leise hinzu. Ein bitterer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Aber nur für einen kleinen Moment, dann hatte er sich wieder in der Gewalt.
«Wieso fragen Sie nach Jonas? Kennen Sie ihn?«
«Nicht persönlich«, gestand Indiana.»Aber er ist der Grund, aus dem ich hier bin. Ich suche ihn.«
Ganty starrte ihn an. Er sagte kein Wort, aber irgend etwas war plötzlich in seinem Blick, was es Indiana unmöglich machte, diesem länger als ein paar Sekunden standzuhalten.
«Sie allein?«Barlowe lachte böse.»Sie hätten eine Armee mitbringen sollen, Mister. Und einen Panzerknacker. Und ich bin nicht einmal sicher, daß Ihnen das genutzt hätte. «Er stand auf und machte eine ungeduldige Geste.»Kommen Sie! Wir nehmen Ihr Boot.«
«Wozu?«fragte Indiana verständnislos.
«Um von hier zu verschwinden, wozu denn sonst? Diese Wilden sind elende Feiglinge, aber in zehn Minuten wimmelt es hier nur so von ihnen, darauf können Sie sich verlassen.«
Indiana stand umständlich auf.»Aber ich kann hier nicht weg!«sagte er.»Ich muß Jonas finden!«
«Sind Sie verrückt?«fragte Barlowe.»Sie hätten keine Chance! Verdammt, was glauben Sie eigentlich, wo wir hier sind? Meine eigene Frau befindet sich in der Gewalt dieser Wilden! Glauben Sie, ich würde sie im Stich lassen, solange auch nur die winzigste Chance bestünde, sie zu befreien? Wenn wir in zehn Minuten noch hier sind, sind wir alle tot, Mann!«
«Wieso redest du überhaupt mit ihm?«fragte van Lees.»Merkst du nicht, daß er nur Zeit schinden will? Er gehört zu ihnen!«
Indiana sparte sich die Mühe, zu widersprechen, und auch Barlowe sah van Lees nur eine Sekunde ausdruckslos an, dann zuckte er mit den Schultern.»Vielleicht«, sagte er.»Vielleicht auch nicht. Aber du hast recht. Verschwinden wir, solange es noch geht.«
Indiana und Ganty wurden grob vorwärtsgestoßen. Barlowe und die beiden anderen waren mit selbstgebastelten Speeren aus Bambus bewaffnet, deren Klingen aus scharfkantigem Stein bestanden. Indiana überschlug seine Chancen, den dreien mit einem beherzten Sprung ins Gebüsch zu entkommen, entschied sich dann aber dagegen. Wenn die drei Männer acht Monate lang in diesem Busch überlebt hatten, dann konnten sie vermutlich ausgezeichnet mit ihren improvisierten Waffen umgehen, und eine Klinge aus Feuerstein zwischen den Schulterblättern war ebenso tödlich wie eine aus Stahl. Und außerdem konnte er Ganty nicht im Stich lassen.
Sie erreichten das Boot nach wenigen Minuten und gingen an Bord. Während van Lees Ganty mit seiner eigenen Waffe zwang, den Motor anzuwerfen, blieben Barlowe, Indiana und Bell an Deck. Der weißhaarige Alte machte sich bereit, das Ruder zu übernehmen. Barlowe schien die Aufgabe zugefallen zu sein, Indiana und den Waldrand zugleich im Auge zu behalten.
Er war in beidem nicht besonders gut. Es wäre Indiana in diesem Moment wahrscheinlich ein leichtes gewesen, ihn zu überwältigen und auch Bell seine Waffe zu entreißen. Aber er tat es nicht. Er war viel zu verwirrt, um überhaupt etwas zu tun — und er mußte sich vor allem erst einmal Klarheit verschaffen, was hier eigentlich vorging. Ganty hatte kein Wort von irgendwelchen Überlebenden erwähnt; und schon gar nicht davon, daß die Langohren sie als Gefangene hielten.
Der Dieselmotor erwachte tuckernd zum Leben, und prak tisch im selben Augenblick setzte sich das Boot in Bewegung, im allerersten Moment nur zögernd, beinahe widerwillig, so als spüre es, daß es nicht von seinem rechtmäßigen Besitzer gesteuert wurde, und versuche sich zu widersetzen. Aber dann geriet es mehr und mehr in den Sog der Ebbe. Der Bug drehte sich und deutete nicht mehr auf den Strand, sondern in den Nebel hinein.
Und auf die Korallenriffe, die dort verborgen waren.
Indiana fuhr so erschrocken zusammen, daß Barlowe ihn mißtrauisch anblickte und seine Hände sich fester um den Bambusspeer schlossen.
«Die Riffe!«sagte Indiana.»Wir werden auf den Riffen auflaufen.«
Barlowe machte eine beruhigende Geste. Gleichzeitig ent spannte er sich wieder ein wenig, wenn auch nicht ganz.»Keine Sorge. Es gibt eine Passage, ein Stück weiter nördlich. «Er sah Indiana durchdringend an.»Der Alte hat nichts von den Riffen gesagt. Ich schätze, er hat sogar gehofft, daß wir auflaufen. Wieso warnen Sie uns?«
«Das Wasser ist entschieden zu kalt für ein Bad«, antwortete Indiana. Er verstand Barlowes Mißtrauen durchaus; aber das änderte nichts daran, daß es ihm allmählich auf die Nerven zu gehen begann.
Barlowe lachte.»Sie sind entweder ehrlich oder der raffinier teste Lügner, den ich je getroffen habe«, sagte er.
«Oder wasserscheu«, fügte Indiana hinzu.
Diesmal lachte Barlowe noch lauter; allerdings nur eine knappe Sekunde, denn dann traf ihn ein warnender Blick von Bell, und er verstummte beinahe schuldbewußt.»Tressler und Perkins haben es also geschafft«, sagte er plötzlich, und im selben Moment verschwand auch die letzte Spur eines Lä chelns von seinen Zügen.»Ich hätte es nicht geglaubt. Wieso sind Sie allein gekommen? Hat Tressler euch nicht erzählt, was hier los ist?«
«Er hat gar nichts mehr erzählt«, sagte Indiana leise.»Er ist tot. Sein Begleiter auch.«
«Abgestürzt?«fragte Barlowe leise.
«Irgendwie hat er es geschafft, die Maschine nach Pau-Pau zurückzubringen«, antwortete Indiana.»Sein Begleiter war schon vorher tot. Es tut mir leid. Waren sie Freunde von Ihnen?«
«Wenn es einen zu Freunden macht, ein halbes Jahr gemein sam auf der Flucht vor diesen Teufeln zu sein, ja«, antwortete Barlowe. Dann schüttelte er den Kopf.»Nein, wir waren keine Freunde. Ich bin erstaunt, daß sie es überhaupt so weit ge schafft haben. Wir haben alle gedacht, es sei aus, als es sie erwischt hat.«