«Tressler und Perkins haben es gesehen«, erinnerte ihn Indiana.
Delano preßte die Lippen aufeinander und überlegte ein paar Sekunden. Dann nickte er ruckartig.»Sie haben vermutlich recht, Dr. Jones. Wir sollten gewisse Sicherheitsvorkehrungen treffen. «Er löste das Sprechrohr aus seiner Halterung und gab eine Anweisung auf deutsch in den Maschinenraum hinunter, dann drehte er sich mit einem Ruck zur Tür.»Kommen Sie!«
Indiana und Ganty folgten ihm auf das Deck hinaus. Trotz der frühen Stunde hatte die Sonne schon große Kraft. Es war fühlbar warm geworden, seit sie zur Brücke hinaufgegangen waren, aber der Nebel hatte alles mit Nässe getränkt, und auch in der Luft lag noch ein unangenehm klammer Hauch.
Delano begann mit gedämpfter Stimme rasch Befehle zu erteilen. Männer erschienen an Deck oder verschwanden, und sowohl das große Geschütz im Bug als auch die Zwillingsläufe der Flak richteten sich lautlos und drohend auf den Waldrand.
«Narren«, murmelte Ganty.»Verdammte Narren! Es wird ihnen nichts nutzen. Gar nichts!«
Er hatte sehr leise gesprochen. Trotzdem hatte Delano die Worte verstanden, denn er drehte sich zu ihm um und sah ihn sekundenlang sehr ernst an. Dann gab er ein weiteres Kom mando.
Eine Anzahl kleiner Schlauchboote wurde zu Wasser gelas sen, und ein ganzer Zug Soldaten erschien an Deck des Schiffes.
Sie waren bis an die Zähne bewaffnet und trugen sonderbar plump anmutende Schutzanzüge, in denen sie sich kaum bewegen konnten, dazu wuchtige Helme mit verspiegelten Visieren, die ihre Gesichter völlig bedeckten.
«Wer hat ihre Ausrüstung zusammengestellt?«fragte Indiana spöttisch.»Hugo Gernsback?«
Zu seiner Überraschung schien Delano die Anspielung zu verstehen, denn er lachte laut und herzlich. Der Laut hallte unheimlich über das Wasser, und Indiana sah, daß einige der Männer unter ihren Masken erschrocken zusammenfuhren. Die Nervosität der Männer war nicht zu übersehen. Offensichtlich hatte Delano seine Soldaten zumindest informiert, was sie erwartete, statt sie blind in ihr Verderben rennen zu lassen. Aber das machte ihn Indiana auch nicht sehr viel sympathi scher.
Die Männer kletterten in die Schlauchboote hinab. Nebenein ander, in einer weit auseinandergezogenen Kette, näherten sie sich dem Strand, während an Deck der Fregatte MG- und Scharfschützen in Stellung gingen, um ihnen Feuerschutz zu geben. Es war eine beeindruckende Demonstration militäri scher Präzision, die sicher noch beeindruckender gewesen wäre, hätte sie nicht einem leeren Strand und einem ebenso leeren Waldrand gegolten.
Die Schlauchboote glitten auf den Strand, und die Männer sprangen ab. Fast lautlos bildeten sie eine präzise, wie mit dem Lineal gezogene Schützenkette, die ohne ein weiteres Kom mando vorzurücken begann.
Auf einmal schien der Waldrand lebendig zu werden. Dut zende von schlanken, buntbemalten Gestalten traten aus dem Unterholz hervor, keiner kleiner als zwei Meter und alle mit Speeren, Äxten oder Bögen bewaffnet. Ihr Erscheinen war vollkommen lautlos. Indiana hörte nicht einmal das Rascheln von Laub oder das Knacken eines Astes. Aber vielleicht wirkte es gerade deshalb so gespenstisch.
Delanos Soldaten waren stehengeblieben, und ihr Verhalten sagte Indiana, daß sie auch auf diese Situation vorbereitet waren: Sie bildeten drei Linien, von denen die erste ausgestreckt im Sand lag, während die zweite kniete und die dritte hoch aufgerichtet stehen blieb. Indiana kannte diese Taktik. Sie war so alt wie der Gebrauch von Schußwaffen, und zumindest gegen einen Gegner wie diese Polynesier mußte sie von verheerender Wirkung sein. Ein einziger Befehl Delanos, und dieser Strand würde ein unvorstellbares Blutbad erleben.
«Delano, nicht!«flüsterte er.»Ich flehe Sie an!«
Delanos Blick war wie gebannt auf die buntbemalten Gestal ten am Waldrand gerichtet.»Es liegt nicht bei mir, Dr. Jones«, sagte er leise.»Ich hoffe, diese Wilden verstehen, was ich ihnen zu sagen versuche. Wenn nicht …«
Indiana begriff erst jetzt, daß Delano seine Männer ganz bewußt in dieser uralten (und im Zeitalter automatischer Waffen im Grunde überflüssigen) Formation vorrücken ließ, damit die Langohren begriffen, wie aussichtslos ihr Widerstand war. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sie es verstanden.
Es wurde nicht erhört. Sekundenlang standen sich die beiden ungleichen Armeen gegenüber, und Indiana begann bereits zu hoffen, daß vielleicht doch noch alles gut ausgehen könnte, aber dann machte einer der Langohren einen plötzlichen Schritt nach vorn und riß seinen Speer in die Höhe.
Eine Maschinenpistole ratterte. Eine Kette winziger Explo sionen raste durch den Sand auf den Polynesier zu und schwenkte nur Zentimeter vor seinen Beinen zur Seite. Doch entweder verstand der Eingeborene die Bedeutung dieser allerletzten Warnung nicht, oder er ignorierte sie. Er rannte weiter, schleuderte seinen Speer und traf einen von Delanos Männern.
Der Soldat kippte mit einem Schrei nach hinten und blieb reglos im Sand liegen.
Indiana schloß in Erwartung des kommenden Gemetzels die Augen — aber er hatte Delano abermals unterschätzt. Ein einzelner Schuß krachte. Der Polynesier, der den Speer geschleudert hatte, griff sich an den Hals und brach lautlos zusammen, und eine Sekunde später hallte der Strand unter einer ganzen Salve von Gewehr- und MPi-Schüssen wider.
Aber keine der Kugeln traf.
Die Geschosse ließen den Sand vor den Füßen der Polynesier aufspritzen, zerfetzten Büsche und Blätter und rissen Äste von den Bäumen. Rings um die Polynesier schienen Sand und Dschungel wie von unsichtbaren Krallen zerfetzt zu werden, aber keines der Geschosse kratzte die buntbemalten Gestalten auch nur an.
«Das ist ihre letzte Chance, Dr. Jones«, sagte Delano.»Wenn sie das nicht verstehen, kann ich ihnen auch nicht mehr helfen.«
«Sie verdammter Idiot!«sagte Ganty. Seine Stimme zitterte.»Sie können es gar nicht begreifen, geht das nicht in Ihren Kopf? Sie kennen keine Feuerwaffen!«
Delano blickte ihn ungläubig und voller Schrecken an, aber seine Antwort ging in einem gellenden Geschrei aus Dutzenden von Kehlen unter, das plötzlich vom Strand herüberwehte.
Die Polynesier griffen an. Speere, Pfeile und Äxte wirbelten durch die Luft, und Delanos Soldaten eröffneten ihrerseits das Feuer, noch ehe die ersten Geschosse ihr Ziel trafen.
Es war wie eine schlimmere Wiederholung des Kampfes von vorhin. Die Polynesier hatten nicht die Spur eine Chance. Vier oder fünf von Delanos Männern wurden getroffen und stürzten tot oder verwundet zu Boden, aber schon ihre erste Salve fegte mehr als zwei Dutzend der Eingeborenen von den Füßen.
Die zweite beendete den Kampf.
Indiana stand reglos an der Reling und starrte zum Strand hinüber. Er war erschüttert wie niemals zuvor im Leben. Der Sandstreifen vor dem Dschungel war voller toter und sterben der Eingeborener, vielleicht drei Dutzend, aber es war nicht nur dieser Anblick allein, der etwas in ihm vor Entsetzen auf schreien ließ. Es war die Schnelligkeit, mit der es geschehen war. Delanos Männer hatten mit der Präzision von Scharf schützen gefeuert. Sie hatten genau zwei Salven abgegeben. Die ganze Schlacht hatte nicht einmal fünf Sekunden gedauert.
«Es tut mir leid, Dr. Jones«, sagte Delano leise neben ihm.»Ich wollte das nicht, bitte glauben Sie mir.«
«O ja«, antwortete Indiana bitter.»War das die kleine Macht demonstration, von der Sie gesprochen haben?«
«Verdammt noch mal, was hätte ich denn tun sollen?«schrie Delano plötzlich.»Zusehen, wie meine Männer abgeschlachtet werden?«