Выбрать главу

Indiana war allerdings nicht zum Lachen zumute. Die Bedro hung, die von den schreiend bunt bemalten Gestalten ausging, war zu deutlich zu fühlen. Ihre Gesichter waren starr wie Masken, doch sie wirkten schon allein wegen ihrer Größe gefährlich. Keiner von ihnen war kleiner als zwei Meter, und die halbmeterhohen Hüte ließen sie noch riesenhafter erschei nen, als sie waren.

Indianas Mut sank. Es war weiß Gott nicht das erste Mal, daß er sich in einer scheinbar aussichtslosen Situation befand.

Bisher war er immer irgendwie davongekommen, aber viel leicht klappte das ja nicht jedesmal. Einmal war immer das erste Mal.

Dummerweise gehörte diese Situation zu denen, bei denen das erste zugleich auch das letzte Mal war …

Mehr, um sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken, denn aus irgendeinem anderen Grund versuchte er, sich auf seine Umgebung zu konzentrieren.

Viel gab es allerdings nicht zu sehen. Die Vogelmenschen bildeten einen dichten Kordon rings um sie herum, und das Licht wurde immer schlechter, je tiefer sie in den Berg hinab stiegen.

Nur hier und da brannte noch eine Fackel, die einen düsteren, roten Schein verstrahlte, in dem Indiana den nächsten Meter, seine nächsten Schritte, mehr erriet als wirklich erkannte.

Trotzdem schienen ihre Begleiter keinerlei Schwierigkeiten zu haben, sich zurechtzufinden. So wenig, wie ihnen die mörderische Hitze draußen etwas ausmachte, so gut konnten sie sich offenbar auch bei einem Minimum an Licht orientie ren.

Indiana überlegte, wie lange wohl ein Volk in einer Umge bung wie dieser leben mußte, um sich derart perfekt anzupas sen. Und er fragte sich, was eine Umgebung wie diese einem Volk antun mochte. Es waren nicht nur die Hitze und die Dunkelheit. Es war diese Welt. Die schwarze, kantige Lava, das unaufhörliche, sanfte Zittern und Beben des Bodens unter seinen Füßen, der erstickende Hauch, der in der Luft lag. Jeder Quadratzentimeter der schwarzen Höhlenwelt, durch die sie schritten, war hart und abweisend und heiß und strahlte Gewalt aus wie einen alles durchdringenden Pesthauch. Wie mußte ein Volk werden, das Generation um Generation in dieser Welt lebte, Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende? Er wollte die Antwort auf diese Frage plötzlich gar nicht mehr wissen.

Der Stollen endete vor einem gewaltigen, zweiflügeligen Tor, das wie alles hier unten aus schwarzer Lava bestand und mit kunstvollen Ornamenten und Reliefarbeiten verziert war.

Das Licht war zu schlecht, um ihn Einzelheiten erkennen zu lassen, aber er bekam einen allgemeinen Eindruck, der zu dem paßte, was er auf dem Weg hierher erlebt hatte. Alles war düster, roh und voller in den Stein gemeißelter Gewalt.

Vielleicht, dachte er, wurde jetzt sein schlimmster Alptraum wahr. Denn es gab etwas, vor dem sich Indiana Jones zeit seines Lebens gefürchtet hatte, auch wenn er es niemals ausgesprochen, ja, es nicht einmal in Gedanken sich selbst gegenüber zugegeben hatte. Aber die Angst war dagewesen. Die Angst, daß er vielleicht eines Tages etwas entdecken, ein Geheimnis der Vergangenheit wiederfinden und wiederbeleben könnte, das besser für alle Ewigkeiten vergessen geblieben wäre. Vielleicht war es jetzt soweit.

Das Tor schwang auf. Obwohl es Tonnen wiegen mußte, bewegte es sich völlig lautlos, als einer der Langohren die Hand dagegen legte, und gab den Blick in eine gewaltige unterirdische Halle frei, die anders als der Stollen von Hunder ten von Fackeln in beinahe taghelles Licht getaucht wurde.

Indiana blinzelte in die ungewohnte Helligkeit. Im ersten Moment war er fast blind, doch nach einigen Sekunden gerannen die Schatten vor seinen Augen zu dunklen Körpern und Umrissen, und was er sah, ließ ihn erschrocken den Atem anhalten.

Die Höhle war so groß, daß man bequem einen fünfstöckigen Häuserblock hätte hineinstellen können. Dutzende der riesigen, schwarzen Steinfiguren, die fast nur aus Kopf und Schultern bestanden, bedeckten den Boden und bildeten mit nach innen gerichtetem Blick einen doppelten Ring um eine besonders gewaltige Statue, die als einzige einen Körper, Arme und Beine hatte. Sie hockte in einer knienden Stellung da, so daß Ober schenkel und Arme einen martialischen Thron für die buntge kleidete Gestalt bildete, die darauf saß.

«Oh, mein Gott!«flüsterte Ganty. Sein Gesicht hatte jedes bißchen Farbe verloren.

«Ihrer?«Indiana lachte ganz leise und sehr bitter.»Ich fürch te, da irren Sie sich, Ganty.«

Einer der Vogelmenschen versetzte ihm einen Stoß, der ihn zwei Schritte vorwärts taumeln ließ. Delano entglitt seinem Griff und stürzte schwer zu Boden.

Indiana wollte ihm zu Hilfe eilen, doch die Gestalt auf dem Thron stieß einen scharfen Befehl aus, und zwei Langohren packten ihn und schleiften ihn grob auf den Thron zu. Die anderen packten Ganty und den stöhnenden SS-Mann und schleuderten ihn brutal neben Indiana auf den Boden. Wieder erklang ein scharfer Befehl. Der Fuß, der Indianas Nacken gegen den Boden gepreßt hatte, zog sich zurück, und Indiana stützte sich mühsam auf Hände und Knie, wagte aber nicht, ganz aufzustehen.

«Bitte entschuldigen Sie, Dr. Jones«, sagte die Gestalt auf dem Thron in nahezu perfektem Englisch.»Die Umgangsfor men meiner Untergebenen lassen manchmal ein wenig zu wünschen übrig. Sie sind eben ein wildes Volk. Aber ich denke, das bekomme ich nach und nach auch noch in den Griff.«

Indiana sah verwirrt auf. Im allerersten Moment fiel es ihm schwer, auf dem Thron mehr als ein einziges, buntes Durchein ander aus Federn, vielfarbigem Korallenschmuck und glitzern den Kristallen zu erkennen. Erst nach einigen Augenblicken gewahrte er ein Gesicht in diesem Chaos.

Aber es sah völlig anders aus, als er erwartet hatte. Es waren nicht die harten, grausamen Züge eines Langohrs, die Indiana aus einem Kranz kunterbunter Federn heraus anlächelten. Es waren nicht einmal die Züge eines Mannes. Indiana blickte völlig verdattert in das Gesicht einer mindestens sechzig jährigen, weißhaarigen Lady, deren vornehme Ausstrahlung nicht einmal ihr barbarischer Aufzug vollends zu zerstören vermochte.

«Wer … sind Sie?«fragte er stockend. Er hörte, wie Ganty neben ihm scharf die Luft einsog, wandte sich aber nicht zu ihm um.

«Meine Untergebenen nennen mich Mi-Pao-Lo, aber Sie dürfen mich Baroneß von Sandstein nennen, Dr. Jones«, antwortete sie. Sie beugte sich vor und lachte, wodurch ihr Gewand aus Vogelfedern zu rascheln und zu wogen begann, als wäre der gesamte Thron zum Leben erwacht.»Guten Freunden gestatte ich dann und wann sogar, mich Fräulein Adele zu nennen«, fügte sie hinzu.»Aber soweit sind wir wohl noch nicht, oder?«

Indianas Verwirrung wuchs von Sekunde zu Sekunde. Er sah nun doch Ganty an, aber Ganty blickte so starr zu der Frauen gestalt auf dem Thron hinauf, daß er Indianas Blick nicht einmal registrierte.

Die Sandstein lächelte verzeihend.»Ich sehe, Sie sind ein wenig verwirrt, Dr. Jones«, sagte sie.»Das ist allerdings auch nur zu verständlich, nach allem, was Ihnen in den letzten Tagen widerfahren ist. Aber ich hoffe doch, daß Sie Ihre Fassung ein wenig schneller zurückerlangen, mein lieber Obersturmbann führer. Das ist doch Ihr Rang, oder?«

Die Worte galten Delano, und zu Indianas Überraschung hob der SS-Offizier tatsächlich den Kopf, als sähe er zu dem Thron hinauf. Sandstein lächelte ihm zu.

«Wer … ist das?«murmelte Delano.

«Er kann Sie nicht sehen«, sagte Indiana rasch.»Er ist blind.«

Sandstein seufzte.»Oh, ich verstehe. Er hat in das Licht gesehen, nicht wahr? Wie unachtsam von ihm. Haben Sie ihn denn nicht gewarnt, Mr. Ganty?«Ihre Hand kroch unter die Federwolken, die sie von Kopf bis Fuß einhüllten, und kam mit einem faustgroßen Kristall von blutroter Farbe wieder zum Vorschein. Es war nicht irgendein Kristall. Indiana hatte so etwas wie diesen Stein noch nie zuvor im Leben gesehen und auch noch nie davon gehört, aber er wußte trotzdem beinahe sofort, was er vor sich hatte. Er weigerte sich im allerersten Moment einfach nur, es zu glauben.