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«Sind Sie ein guter Archäologe?«

Indiana zögerte.»Manche behaupten es«, antwortete er dann.»Manche halten mich einfach für einen Abenteurer, und andere — «

«Bitte, Dr. Jones«, unterbrach ihn Sandstein.»Wir haben keine Zeit für so etwas. «In ihren Augen erschien wieder ein Flackern, aber es war nicht die Mi-Pao-Lo, die wieder heraus drängte, wie Indiana im allerersten Moment befürchtete. Es war etwas anderes. Angst?

«Ich denke, ich bin ganz gut, ja«, sagte er.

Sandstein atmete hörbar auf.»Das ist gut«, sagte sie.»Denn ich brauche die Hilfe eines guten Wissenschaftlers.«

«Wozu?«erkundigte sich Indiana.

Sandstein machte eine weit ausholende Bewegung mit den Händen, die den gesamten Raum, vielleicht die ganze Insel einschloß.»Wissen Sie, was das hier ist?«

«Ich fürchte, ich verstehe die Frage nicht ganz«, gestand Indiana.

«Dann werde ich sie selbst beantworten«, sagte Sandstein.

«Es ist die letzte Zuflucht eines Volkes, das vor mehr als tausend Jahren aus seiner Heimat vertrieben wurde.«

«Eines sehr grausamen Volkes, Baroneß«, hörte sich Indiana zu seiner eigenen Überraschung sagen. Am liebsten hätte er sich selbst geohrfeigt. Aber die Worte waren einmal heraus und ließen sich nicht mehr zurücknehmen.

Doch Sandstein wurde nicht zornig, sondern lächelte nur verzeihend.»Vielleicht wird man über uns in tausend Jahren dasselbe sagen, Dr. Jones«, sagte sie.»Grausam oder nicht, sie waren ein großes Volk, das über gewaltige Mächte gebot. Und nun sterben sie.«

Indiana nickte.»Diese Insel geht unter.«

Sandstein blickte ihn mit gelinder Überraschung an.»Das haben Sie bemerkt?«

«Ich bin Wissenschaftler«, murmelte Indiana. Das war haar sträubender Blödsinn. Ohne Gantys Erklärung hätte er nicht einmal geahnt, was hier geschah. Aber Sandstein glaubte ihm.

Er konnte es auf ihrem Gesicht ablesen. Sie glaubte ihm schon deshalb, weil er ihr genau das sagte, was sie hören wollte.

«Das ist sehr gut«, sagte sie,»denn es erspart mir eine Menge zeitraubender Erklärungen. Diese Insel wird untergehen. Nicht in hundert Jahren, nicht einmal in zehn, sondern vielleicht schon nächstes Jahr. Oder in wenigen Wochen.«

Indiana sah Sandstein sehr aufmerksam an, aber es war unmöglich, in ihrem Gesicht zu lesen. Trotzdem begann er zu ahnen, auf was sie hinauswollte. Der Gedanke lähmte ihn vor Schrecken beinahe.

«Und sie erwarten von mir, daß ich sie rette«, sagte Sandstein nach einer langen, von unangenehmem Schweigen erfüllten Pause. Sie sprach nicht weiter.

«Aber Sie haben nicht die geringste Ahnung, wie«, vermutete Indiana.

Sandstein schwieg. Ihre Hände schlossen sich so fest um die Lehne des Thrones, daß die Adern wie ein Netzwerk dünner blauer Linien auf ihrer Haut hervortraten.

«Sie halten mich für eine Göttin«, sagte sie leise.»Für eine Art Messias, der sie zurück in die Heimat führen soll. Ich habe versucht, Ihnen klarzumachen, daß ich das nicht bin, aber ich spreche ihre Sprache nicht. Und ich glaube, es hätte auch nichts genutzt, wenn es anders wäre.«

Für einen Moment empfand Indiana nichts als Mitleid mit ihr. Gleich, was sie getan hatte, in diesem Augenblick sah Indiana in Adele Sandstein nichts anderes als eine verzweifelte, alte Frau, die im falschen Moment am falschen Ort gewesen war und von den Ereignissen einfach überrollt wurde.

«Was erwarten sie von Ihnen?«fragte er sanft.»Daß Sie wie Moses das Meer teilen und sie trockenen Fußes zurück in die Heimat führen?«

Sandstein lachte, aber es klang traurig.»O nein, so einfach ist es leider nicht, Dr. Jones. Der Weg zurück nach Te-Pito-O-Henua ist ihnen wohlbekannt. Sie sind große Seefahrer, und sie haben in all den Jahrhunderten nichts von ihren Fähigkeiten eingebüßt.«

Das haben wir gemerkt, dachte Indiana düster, sprach es aber vorsichtshalber nicht aus.

Sandstein fuhr fort.»Es gibt gewisse Rituale, die abgehalten werden müssen, Dr. Jones, bevor sie in ihre Heimat zurückkeh ren können. Nur die Mi-Pao-Lo kann dies tun, und unglückse ligerweise hat die momentan amtierende Mi-Pao-Lo nicht den Hauch einer Ahnung, wie diese Rituale aussehen.«

Indiana lächelte flüchtig, als er den ironischen Unterton in Sandsteins Stimme hörte. Aber dieses Lächeln änderte nichts daran, daß er den Ernst der Situation erkannte.»Und wenn Sie es nicht tun — «

«— werden sie mich töten«, sagte Sandstein.»Verstehen Sie mich richtig, Dr. Jones: Ich bin eine alte Frau, die schon lange keine Angst mehr vor dem Tod hat. Aber sie werden auch Sie töten und alle Ihre Begleiter, oder sie werden Sie hierbehalten, bis diese Insel untergeht, was auf dasselbe hinausliefe.«

Und vielleicht wäre es das Beste, fügte Indiana in Gedanken hinzu. Er dachte an das rote Feuer, das Delanos Männer verschlungen hatte, und ein einziger Schauer lief ihm über den Rücken. Aber er sprach auch diesen Gedanken nicht laut aus.

«Wenn niemand weiß, wie das Zeremoniell aussieht«, sagte er,»dann denken Sie sich doch einfach irgendeinen Unsinn aus.«

Unsinn war das richtige Wort. Natürlich war sein Vorschlag nicht praktikabel, und das wußte er schon, bevor Sandstein mit einem traurigen Seufzen aufstand und den Kopf schüttelte.

«Leider wissen sie sehr wohl, wie das Zeremoniell auszuse hen hat, Dr. Jones«, sagte sie.»Kommen Sie.«

Indiana erhob sich und folgte ihr zur rückwärtigen Wand der Kammer. Erst als er ihr ganz nahe war, erkannte er, daß sie über und über mit gezackten Linien und Strichen übersät war.

«Sie halten es seit mehr als einem Jahrtausend ab, Dr. Jones, jedes Jahr am gleichen Tag. «Sie sah Indiana ernst an.»Von heute an gerechnet in drei Tagen werden sie die Feuer auf dem Kraterrand entzünden und sich in den Himmel schwingen.

Und wenn der Flug vorüber ist und die stärksten unter ihnen ermittelt sind, werden diese zu den Flammen gehen und eine neue Generation zeugen.«

«Aha«, sagte Indiana. Er verstand kein Wort.

«So geschieht es seit mehr als tausend Jahren, und es wird auch wieder geschehen. Aber diesmal verlangen sie von mir, daß ich Make-Make anrufe und seinen Segen für die Heimreise erflehe. «Sie seufzte.»Und ich habe zum Teufel noch mal nicht die geringste Ahnung, wie ich das tun soll.«

«Dann fragen Sie sie.«

«Sie wissen es nicht«, antwortete Sandstein.»Nur die Mi-Pao-Lo weiß um das Geheimnis, mit Make-Make zu spre chen.«

Sie deutete auf die Wand.»Es ist dort aufgeschrieben, Dr. Jones.

Sie haben es mir gezeigt. Denn sie sind nicht dumm. Sie wissen, daß ich eine Fremde bin und nichts von ihren Sitten und Gebräuchen weiß. Das Geheimnis steht dort, aufgeschrie ben in einer Sprache, die nur die Priester der ersten Generation beherrschten, die diese Insel erreichten — und die Mi-Pao-Lo. Sie glauben, ihr Gott würde mir die Macht geben, die Schrift zu lesen.«

Sie seufzte tief, wandte sich vollends dem Relief zu und ließ ihren Blick über die sonderbaren geometrischen Muster und Linien gleiten.»Aber bis jetzt hat Make-Make geschwiegen, Dr. Jones. Ich kann es nicht lesen. Können Sie es?«

Um ein Haar hätte Indiana gelacht. Ohne ihre Erklärung hätte er nicht einmal gewußt, daß er eine Schrift vor sich hatte.

Auch er betrachtete das Relief, aber nicht sehr lange und mit einem Gefühl wachsenden Unbehagens. Die Linien und Striche hatten etwas genauso Unheimliches und Böses an sich wie diese ganze Insel. Wenn man zu lange auf eine bestimmte Stelle sah, dann schien es, als begänne sich dort etwas zu bewegen und ein gräßliches Eigenleben zu entwickeln, als machten sie sich bereit, aus der Wand herauszukriechen und den Betrachter zu verschlingen. Mit einem Ruck wandte er sich ab.

Sandstein sah ihn fragend an, aber Indiana antwortete nicht gleich. So närrisch ihr Ansinnen auch war, er verstand sie irgendwie. Es war nicht nur pure Verzweiflung, die aus ihren Worten sprach, sondern auch jene hoffnungslose Fehleinschät zung, die die meisten Menschen der Wissenschaft in einem Jahrhundert entgegenbringen, in dem die Menschheit gelernt hatte zu fliegen, Schiffe zu bauen, die so groß waren wie Städte, und ihren uralten Feind, die Dunkelheit, mit einem Fingerschnippen zu vertreiben. Nur zu viele begannen die Wissenschaftler für eine Art moderner Zauberer zu halten.