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Sie waren es nicht. Indiana hätte ihr erklären können, daß wissenschaftliche Arbeit zum allergrößten Teil aus Schweiß und Mühe bestand und vor allem Zeit brauchte, daß es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern konnte, diese uralte Schrift an der Wand zu entziffern, und daß es selbst dann nicht einmal sicher war, ob es überhaupt je gelang. Drei Tage? Lächerlich.

Aber irgend etwas warnte ihn. Was immer er jetzt sagte, würde vielleicht über mehr als nur sein Schicksal und das der anderen entscheiden. Er hatte das rote Licht nicht vergessen.

Und auch nicht den Dämon, der im verborgenen in Adele Sandstein lauerte.

«Drei Tage?«murmelte er, während er so tat, als studiere er die verworrenen Linien an der Wand. In Wirklichkeit bemühte er sich, möglichst wenig von ihnen zu sehen.»Das ist … nicht sehr viel Zeit.«

«Es ist alles, was Sie haben, um Ihr Leben und das Ihrer Freunde zu retten«, sagte Sandstein ernst.»Und ich warne Sie, Dr. Jones. Es wäre töricht, wenn Sie versuchen sollten, sie zu täuschen. Sie erwarten eine Antwort. Wenn ich Make-Make anrufe und nichts geschieht, so werden wir alle sterben.«

Indiana schwieg. Er hatte sich noch nie im Leben so hilflos und verzweifelt gefühlt wie in diesem Moment.

«Und wenn Sie Ihnen erklären, daß dieser Manko-Minko von seinem Volk verlangt, alle Gefangenen freizulassen und ihnen ein Boot zu geben?«

Bei jedem anderen hätte Indiana geschworen, daß er diese Frage einzig und allein stellte, um ihn auf den Arm zu nehmen, auch wenn es ein reichlich unpassender Moment war.

Bei Nancy Barlowe war er nicht ganz sicher. Indiana sah sie nur eine Sekunde an und beschloß dann, daß es wohl das klügste war, so zu tun, als hätte er die Frage gar nicht gehört. Er wandte sich wieder Jonas und den anderen zu.

Niemand sagte etwas. Er hatte vor gut zwei Minuten aufge hört zu reden, und seither hatte sich tiefes Schweigen in der Kammer breitgemacht. Der Ausdruck auf den Gesichtern der anderen war fast identisch: ein Schwanken zwischen Betrof fenheit und Verzweiflung. Wobei die Verzweiflung eindeutig überwog.

Schließlich brach Indiana selbst das Schweigen, indem er sich an Ganty wandte.»Ich nehme an, Sie können diese Schrift auch nicht lesen?«

«Ich?«Gantys Erstaunen war ein wenig zu echt, fand Indiana.»Wie kommen Sie auf diese Idee?«

Indiana zuckte mit den Schultern.»Damals auf Pau-Pau, als ich Ihnen Jonas’ Notizbuch zeigte, hatte ich den Eindruck.«

Ganty lächelte. Seine Finger begannen mit kleinen nervösen Bewegungen am Saum seiner Jacke zu spielen, ohne daß ihm das selbst bewußt zu sein schien.»Ich habe die Zeichen wiedererkannt«, sagte er.»Das heißt nicht, daß ich sie lesen kann. Niemand kann das. Der letzte, der diese Schrift entziffern konnte, ist vor gut tausend Jahren gestorben.«

Indiana sah ihn weiter scharf an. Ganty erschien ihm fast ein bißchen zu sehr bemüht, allen zu versichern, daß er die Schrift der Langohren auch nicht lesen konnte. Aber vielleicht sah er auch nur Gespenster. Indiana machte eine Handbewegung, die das Thema für erledigt erklärte, nahm sich aber trotzdem vor, später noch einmal — und unter vier Augen — mit Ganty darüber zu reden.

«Ich werde versuchen, sie hinzuhalten, so lange ich es kann«, sagte er.»Aber uns bleiben trotzdem maximal drei Tage, um uns etwas einfallen zu lassen.«

«Wir könnten versuchen, einen Tunnel zu graben«, schlug Anthony van Lees vor. Sein Bruder runzelte die Stirn und sagte deutlich hörbar:»Blödsinn!«, aber Anthony fuhr mit einer Geste auf Ganty fort:»Er hat selbst gesagt, daß dieser Berg wie ein Schweizer Käse ist. Wenn wir uns nach draußen graben — «

«Mit bloßen Händen«, warf sein Bruder ein.

«— erreichen wir vielleicht die Küste — «

«— und schwimmen zweihundert Seemeilen zur nächsten Insel«, schloß Steve den Satz ab. Anthony funkelte ihn an und wollte auffahren, aber Ganty machte eine rasche, besänftigende Geste.

«Die Kraterwände sind nicht besonders dick, das stimmt«, sagte er, und Anthonys Gesicht hellte sich so lange auf, bis Ganty mit einem Seufzer fortfuhr:»Aber nicht besonders dick heißt leider nicht dünn. Selbst mit dem entsprechenden Werkzeug hätten wir keine Chance, uns durch fünfundzwanzig Meter Lava zu graben. Nicht einmal in drei Monaten.«

«Ganz abgesehen davon, daß wir uns unter dem Meeresspie gel befinden«, fügte Jonas hinzu. Er machte eine herrische Geste.»Schluß mit dem Unsinn. Wir haben nur eine einzige Chance. «Er deutete auf Indiana.»Indy wird versuchen, Sandstein so lange wie möglich hinzuhalten, und wir arbeiten in der Zwischenzeit einen Plan aus, wie wir die Wachen überrumpeln und den Kran in unsere Gewalt bringen können.«

«Sind Sie verrückt?«fragte Anthony van Lees.

«Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute höre«, sagte sein Bruder.

«Sie werden uns einfach in die Lava fallen lassen«, sagte Barlowe düster.

«Und?«Jonas schürzte geringschätzig die Lippen.»Das ist mir immer noch lieber, als in ihrem Kochtopf zu landen. «Er schwieg einige Sekunden, während derer er den bewußtlosen Delano betrachtete, der fiebernd auf seinem Lager vor sich hin stöhnte.»Oder bei lebendigem Leib gegrillt zu werden.«

Er hatte sehr leise gesprochen, aber sie alle hatten die Worte verstanden, und wieder breitete sich für Sekunden betretenes Schweigen in der Kammer aus. Jonas selbst war es, der es beendete. Er hatte wohl eingesehen, wie unpassend seine Bemerkung gewesen war.

«Ich schlage vor, wir gehen zu den anderen und beraten uns mit ihnen«, sagte er.»Es sind zwar deutsche Soldaten, aber ein paar von ihnen sind nicht auf den Kopf gefallen. Und wie es aussieht, sitzen wir im Moment wohl alle im selben Boot.«

Niemand hatte irgendwelche Einwände, obwohl Jonas’ Vorschlag ebenso sinnlos war wie alles andere, was sie bisher gehört hatten. Wahrscheinlich ging es allen ähnlich: Sie wollten einfach nur hier heraus und dem Gedanken, völlig hilflos zu sein, entfliehen. Über eine unmögliche Flucht zu diskutieren, machte sie nicht möglicher. Aber vielleicht half es wenigstens für eine Weile, den Gedanken an das Ende zu verdrängen.

Indiana blieb zurück, und er gab auch Ganty mit einem Blick zu verstehen, daß er dableiben sollte.

Ganty tat es nicht, aber er kehrte nach kaum einer Minute zurück und blieb mit verschränkten Armen unter der Tür stehen. Seine Haltung war die eines trotzigen Kindes, aber Indiana spürte deutlich die Angst, die sich dahinter verbarg.

«Also?«fragte er.

«Also was?«fragte Ganty patzig.

Indiana seufzte.»Bitte, Ganty«, sagte er müde.»Ich bin erschöpft. Ich bin genauso verzweifelt wie Sie und alle anderen.

Ich habe weder den Nerv noch die Kraft für irgendwelche Spielchen!«

Ganty schwieg. Aber er wurde mit jeder Sekunde nervöser.

«Sie können diese Schrift lesen«, sagte Indiana geradeheraus.

«Nein«, antwortete Ganty. Sekundenlang rang er sichtbar mit sich. Dann sagte er ganz leise:»Aber ich weiß, was die Inschrift bedeutet, von der Sie erzählt haben. Sie haben es mir gesagt, schon vor langer Zeit. Sie waren einmal meine Freun de.«

Der letzte Satz klang bitter. Indiana ignorierte ihn.

«Sie kennen das Zeremoniell?«

«Nein«, erwiderte Ganty.»Sandstein hat die Wahrheit gesagt. Niemand kennt es. Aber sie hat Ihnen eine Kleinigkeit ver schwiegen, Jones. Die Legende der Mi-Pao-Lo geht noch weiter. «Er atmete hörbar ein.»Es heißt, daß an dem Tag, an dem die Heimkehr erfolgen soll, Make-Makes Zorn über alle Ungläubigen und den Rest dieser Welt hereinbrechen wird, wenn die Götter falsch oder gar nicht angerufen werden.«