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Indiana starrte ihn an. Er konnte spüren, wie sich jedes ein zelne Haar auf seinem Kopf aufrichtete, als stünde es unter Strom.»Das … das ist doch lächerlich«, sagte er stockend.»Sie glauben doch nicht etwa, daß —«

«Nach allem, was ich am Strand gesehen und erlebt habe, gibt es nicht mehr viel, was ich nicht glaube, Dr. Jones«, unterbrach ihn Ganty.»Muß ich Sie wirklich daran erinnern, daß die meisten Sagen und Legenden einen gemeinsamen Ursprung haben? Vielleicht gefällt Ihnen das Wort Make-Makes Zorn ja nicht. Was halten Sie von Sodom und Gomorrha? Oder Armageddon?«Sekundenlang starrte er Indiana noch aus Augen an, in denen nichts weiter als nackte Panik geschrieben stand.

Dann fuhr er auf dem Absatz herum und stürmte aus der Tür.

Armageddon! Das Jüngste Gericht! Sodom und Gomorrha! Was für ein Unsinn! Seit es Menschen gab, hatten sie sich allen möglichen Humbug zusammenprophezeit, und wenn es um das Ende der Welt oder andere düstere Untergangsvisionen ging, dann waren sie schon immer ganz besonders eifrig bei der Sache gewesen.

Indiana wiederholte den Gedanken immer und immer wieder, als müsse er ihn sich nur oft genug einhämmern, um ihn wahr werden zu lassen. Oder wenigstens selbst daran zu glauben.

Leider geschah weder das eine noch das andere.

Indiana war weit davon entfernt, tatsächlich an den bevorste henden Weltuntergang zu glauben. Aber wenn nicht er, wer sollte dann erst wissen, daß nicht alle Legenden nur Märchen waren und daß es sehr wohl Mächte gab, die dem menschli chen Begreifen auf immer entzogen bleiben würden — und daß nur zu viele dieser Mächte grausamer und erbarmungsloser als der biblische Racheengel waren. Die Welt würde nicht unter gehen, wenn Make-Makes Zorn über sie kam, wie Ganty es ausgedrückt hatte. Aber es war denkbar, daß sie eine weitere, schreckliche Katastrophe erlebte, daß sich zu allen finsteren Mächten dieser Zeit eine weitere zerstörerische Kraft gesellte, und es spielte im Grunde nicht einmal eine Rolle, ob sie nun nur eines oder eine Million unschuldiger Leben auslöschte.

Sein Alptraum war Wahrheit geworden. Es gab sehr wohl Dinge, über die die Zeit mit Fug und Recht den Mantel des Vergessens gebreitet hatte. Und eine dieser Kräfte war erwacht, und sie würde mit Sicherheit mehr tun, als nur diese Insel und ihre Bewohner zu verschlingen, wenn sie erst einmal wirklich entfesselt war.

Indiana saß lange in düstere Gedanken versunken da, ehe ihm bewußt wurde, daß er nicht allein in der Kammer war. Etwas im Rhythmus von Delanos mühsamen Atemzügen hatte sich verändert.

Er stand auf, ging zu ihm hinüber und setzte sich sehr vor sichtig auf den Rand des Lagers, um ihn nicht zu berühren und ihm unnötige Schmerzen zuzufügen. Delanos Augen standen weit offen, aber ihr Blick war leer wie immer. Trotzdem wußte Indiana, daß Delano wach war.

«Sie haben alles gehört?«fragte er.

«Ja«, flüsterte Delano. Seine Stimme war so schwach, daß Indiana erschrak. Delanos Gesicht glühte. Die Wunde auf seiner Wange hatte sich entzündet und verströmte einen schrecklichen Geruch.»Es sieht so aus, als … würden Sie mich nicht lange überleben, Dr. Jones.«

Indiana wußte nicht, was er darauf antworten sollte, daher schwieg er. Nach einer Weile fragte Delano:»Sind wir allein?«

«Natürlich«, sagte Indiana.»Warum?«

«Schauen Sie nach«, bat Delano.»Es ist … wichtig. Bitte.«

Indiana stand gehorsam auf, ging zur Tür und warf einen Blick nach rechts und links, ehe er zu Delano zurückkehrte.

«Es ist niemand da.«

«Gut«, flüsterte Delano. Er hob die Hand und tastete blind nach Indianas Arm. Indiana ergriff seine bandagierten Finger, und obwohl er wußte, welche Pein die Berührung Delano bereiten mußte, zog dieser die Hand nicht zurück, sondern hielt Indiana im Gegenteil nur noch fester. Wie ein Ertrinkender, der sich verzweifelt an einen letzten Halt klammert. Indiana schauderte, als er spürte, wie heiß Delanos Haut unter den Verbänden war.

«Hören Sie mir zu, Dr. Jones«, flüsterte Delano.»Es gibt noch eine Chance, aber Sie … Sie dürfen mit keinem der anderen darüber sprechen, versprechen Sie mir das.«

«Selbstverständlich«, sagte Indiana, aber das genügte Delano nicht.

«Nicht so«, sagte er.»Versprechen Sie es mir wirklich. Es ist wichtig.«

«Ich verspreche es«, sagte Indiana. Er meinte es ernst.

«Sie müssen diese Waffe zerstören«, murmelte Delano.

«Sie … darf nicht in die Hände des Militärs fallen. Auf keiner Seite, Jones. Schwören Sie mir, daß Sie es … verhindern.«

«Ich bin nicht einmal sicher, daß es eine Waffe ist«, antworte te Indiana zögernd.

«Ganz egal, was es ist, zerstören Sie es, Jones. «Delano richtete sich auf, packte Indiana mit beiden Händen bei den Jackenaufschlägen und starrte ihn aus weit aufgerissenen, leeren Augen an.»Versprechen Sie es!«

Es wäre leicht gewesen, ja zu sagen, und wahrscheinlich auch barmherzig. Aber Indiana wußte, daß Delano spüren würde, wenn er ihn belog. Und er wollte es auch nicht. Delano hatte ein Anrecht auf die Wahrheit.

«Ich werde es versuchen«, sagte er.

Delano entspannte sich. Seine Augen fielen zu. Er sank zurück, aber er war noch wach.»Versprechen Sie, daß dieses Ding … weder Ihren noch meinen Leuten in die Hände fällt, und ich sage Ihnen, wie Sie und die anderen hier herauskom men«, flüsterte er.»Es gibt … noch eine Chance. Vielleicht.«

Indiana zögerte lange, ehe er antwortete. Die Worte klangen aus Delanos Mund seltsam. Und trotzdem glaubte er ihm. Delano war ein deutscher Soldat, noch dazu ein SS-Offizier, Angehöriger einer Truppe, die dafür bekannt war, ihre Mitglie der nicht unbedingt nach Kriterien wie Menschlichkeit und Nächstenliebe auszuwählen. Vielleicht hatte er erst am eigenen Leib spüren müssen, was es hieß, zu leiden und zu sterben, ehe er begriff, was das Wort Krieg wirklich bedeutete.

Und er selbst? Indiana war hin und her gerissen. Er konnte Delano belügen und dann dafür sorgen, daß der Zorn Make Makes in die Hände seiner eigenen Leute fiel. Mit einer Waffe wie dieser wäre es vermutlich nur noch eine Frage von Wo chen, bis die Nazis besiegt wären. Der Alptraum, der seit Jahren die halbe Welt verwüstete und sich anschickte, auch noch die andere Hälfte in Brand zu setzen, würde ein Ende finden.

Aber dann sah er auf Delanos verbrannten Körper hinunter, und ganz plötzlich wußte er, warum Delano ihn gebeten hatte, die unbekannte Waffe zu suchen und zu zerstören. Es gab Dinge, die man Menschen nicht antun durfte, niemals und aus keinem Grund. Das rote Licht gehörte dazu.

«Ich verspreche es«, sagte er feierlich.

«Welches Datum haben wir?«fragte Delano.

Indiana rechnete einen Moment lang im Kopf nach, dann sagte er es ihm.

«Dann haben Sie vielleicht eine Chance, Jones«, flüsterte Delano.»Mit ein bißchen Glück wird Franklin in ein oder zwei Tagen mit der HENDERSON hier eintreffen.«

«Franklin?«

«Haben Sie vergessen, daß ich offiziell zu seinem Team gehöre?«fragte Delano.»Wir haben alle nur denkbaren Möglichkeiten vorauszusehen versucht, auch die, daß wir die Insel finden und — «, er lachte,»— in deutsche Gefangenschaft geraten.«

«Franklin weiß nicht einmal, daß es diese Insel gibt. Ge schweige denn, wo sie ist.«

«Sie enttäuschen mich, Jones«, sagte Delano.»Haben Sie so wenig Vertrauen in die Fähigkeiten Ihrer eigenen Leute? Die HENDERSON wird vor dieser Insel erscheinen, Jones, früher oder später. Beten Sie, daß sie nicht zu spät kommt. Sie müssen sie warnen. Der Plan sieht vor, daß Franklin achtundvierzig Stunden abwartet. «Seine Stimme wurde immer leiser, aber er sprach auch immer schneller, als spüre er, daß er nur noch wenig Zeit hatte, weniger als er brauchte, um zu sagen, was nötig war. Indiana beugte sich vor und brachte sein Ohr dicht an Delanos Lippen, um ihn überhaupt noch verstehen zu können.