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Sandstein lächelte kalt, beantwortete seine Frage aber nicht, sondern gab den Langohren abermals einen Wink. Die Krieger bildeten rasch und lautlos einen großen, weit auseinandergezo genen Halbkreis, der zum Eingang des Raumes hin offen war.

Einen Augenblick später schwang das Tor auf, und zwei weitere Langohren betraten die Halle.

Anders als alle, die Indiana bisher gesehen hatte, trugen sie weder Federmantel noch Lendenschurz, sondern waren vollkommen nackt, dafür aber über und über mit blutroten Strichen und Linien bemalt.

Und sie hatten Angst.

Ihre Gesichter waren keine reglosen Masken, wie die der anderen Vogelmenschen, sondern von einem Entsetzen verzerrt, das Indiana schaudern ließ. Was immer diese beiden Männer fürchteten, es war schlimmer als der Tod.

«Diese beiden haben mich enttäuscht«, sagte Sandstein.»Sie haben Make-Make enttäuscht und damit ihr Recht verwirkt, in die Heimat zurückzukehren. Sie sind unwürdig, unter uns zu leben!«

Sie hatte den roten Kristall aus der Schale genommen und hielt ihn nun in beiden Händen. Rotes Licht sickerte wie Blut zwischen ihren Fingern hindurch.

Indiana ahnte, was folgen würde, aber plötzlich ging alles viel zu schnell, als daß ihm auch nur Zeit für einen erschrockenen Ruf geblieben wäre. Die Augen der Statue leuchteten auf, und im selben Augenblick begann der Kristall in Sandsteins Händen zu glühen wie eine winzige feuerrote Sonne. Eine Woge grellen, blutfarbenen Lichtes schoß auf die beiden Langohren zu und hüllte sie ein, Licht von unvorstellbarer Intensität und einer unglaublich bösartigen Farbe.

Indiana schloß die Augen, aber es nutzte nichts; das Licht war so intensiv, daß es mühelos durch seine Lider drang und ihm jedes entsetzliche Detail der Szene zeigte. Die Polynesier begannen zu schreien und sich zu winden, und das Licht wurde immer noch heller und heller, bis es ihr Fleisch und ihre Muskeln durchscheinend werden ließ, so daß er das Skelett darunter erkennen konnte. Sie brachen zusammen, doch zuvor begann sich ihr Fleisch einfach aufzulösen, als würde es von dem roten Licht wie von einer leuchtenden Säure verzehrt. Was auf dem Boden aufschlug, das waren nur mehr geschwärzte, ausgeglühte Knochen, die zu Staub und zahllosen winzigen Splittern zerbarsten.

Indiana wollte sich abwenden, aber seine Bewacher ließen es nicht zu, sondern zwangen ihn, Sandstein anzusehen.

Der Anblick ihres Gesichtes entsetzte ihn fast ebensosehr wie der Tod der beiden Polynesier. Es war eine Grimasse, in die er blickte, das verzerrte Antlitz eines Dämons, in dessen Augen Wahnsinn oder vielleicht etwas noch viel Schlimmeres leuchtete.

«Ich hoffe, Sie haben gut hingesehen, Dr. Jones«, sagte sie.

«Das ist die Strafe, die Make-Make für alle bereithält, die ihn enttäuschen. Bedenken Sie das, wenn Sie mit Ihrer Arbeit beginnen!«

Sie senkte die Hände. Das rote Pulsieren des Kristalls ließ nach und sank binnen weniger Augenblicke zu einem Glimmen herab, das nach dem grausamen Licht zuvor kaum noch zu sehen war.

Und im selben Moment ging auch mit Sandstein eine fast unheimliche Veränderung vor sich.

Indiana konnte sehen, wie alle Kraft aus ihrem Körper wich.

Ihr Gesicht erschlaffte, und das Feuer des Dämons in ihren Augen erlosch ebenso wie das Glühen des Kristalls. Sie schwankte, machte aber eine schwache, abweisende Bewe gung, als einer der Polynesier sie stützen wollte.

«Gehen Sie jetzt, Dr. Jones«, sagte sie leise. Ihre Stimme klang sehr müde.»Beginnen Sie mit Ihrer Arbeit. Wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Während der nächsten drei Tage lernte Indiana Adele Sand stein ein halbes Dutzend Mal als sie selbst, aber auch beinahe ebensooft als Mi-Pao-Lo kennen. Der Unterschied wurde immer krasser. Aus dem reizbaren, mißtrauischen alten Weib, in das der Geist Mi-Pao-Los sie verwandelte, wurde eine unberechenbare Furie, die ihn grundlos anschrie und vor der sich selbst die Polynesier zu fürchten begannen, und im gleichen Maße wurde Adele Sandstein schwächer und stiller, als sauge der böse Geist ihr wirkliches Selbst allmählich aus, wenn sie von ihm besessen war.

Es war der Kristall, der diese furchtbare Veränderung bewirk te. Indiana traf die Mi-Pao-Lo niemals ohne den roten Feuer kristall an und Adele Sandstein niemals mit ihm. Aber er wagte nicht, sie in den seltener werdenden Stunden, in denen sie sie selbst war, darauf anzusprechen. Er hatte rasch herausgefun den, daß sich Sandstein nicht an das erinnerte, was sie tat oder sagte, wenn sie Mi-Pao-Lo war, und wenn, dann nur schemen haft und verschwommen. Aber er hatte keine Garantie, daß es umgekehrt ebenso war.

Und außerdem blieb ihm auch gar keine Zeit, sich lange mit einem der beiden Wesen zu unterhalten, die um die Vorherr schaft über Adele Sandsteins Körper stritten.

Er hatte darum gebeten, daß ihm verschiedene Dinge aus dem Wrack der Fregatte geholt würden, und Sandstein erfüllte ihm diesen Wunsch. Schon am Abend des ersten Tages hatte er den Raum, in dem sich die Inschrift befand, in ein heilloses Chaos verwandelt. Papiere, Bücher, Tabellen und Notizzettel bedeck ten jeden Quadratzentimeter des Bodens, dazu Rechenschieber, der auseinandergebaute Sextant des Schiffes und buchstäblich Hunderte von Blättern, die er mit endlosen Zahlen- und Buchstabenkolonnen vollgekritzelt hatte, dazu noch einige andere technische Gerätschaften aus dem Schiff, die er ausein andergebaut und zu neuen (und völlig sinnlosen) Apparaturen kombiniert hatte. Es war ein wirklich beeindruckender An blick.

Der allerdings auch keinem anderen Zweck diente, als diesen Eindruck zu erwecken. Nichts von alledem, was Indiana in diesen drei Tagen tat, hatte irgendeinen Sinn, außer dem, Sandstein und vor allem der Mi-Pao-Lo den Eindruck zu vermitteln, daß er wie ein Besessener arbeitete, um die In-schrift an der Wand zu entziffern.

Indiana ging trotz allem sehr behutsam zu Werke, und wenn schon für nichts anderes, so hätte er doch am Ende dieser drei Tage zumindest für seine schauspielerische Leistung eine Auszeichnung verdient. Mehr als einmal machte er bewußt den Eindruck, der Verzweiflung nahe zu sein und aufgeben zu wollen, auch wenn er damit jedesmal einen Wutausbruch der Mi-Pao-Lo provozierte. Er spielte den Zögernden. Gab sich unentschlossen. Himmelhoch jauchzend, wenn er scheinbar einen Durchbruch erzielt hatte, und im nächsten Moment wie am Boden zerstört, als ob er seinen Irrtum einsähe. Das erste Mal, daß er vorgab, zumindest zu glauben, er hätte die Bedeu tung einiger Schriftzeichen entziffert, war am Mittag des zweiten Tages.

Als er schließlich tat, als könne er nach und nach erste Infor mationen preisgeben, war er noch vorsichtiger. Er zögerte häufig, beging absichtlich Irrtümer und nahm Anweisungen, auf denen er kurz zuvor mit Vehemenz bestanden hatte, wieder zurück. Mi-Pao-Los Krieger errichteten auf Indianas Anwei sung hin ein zwölf Meter hohes Holzgerüst auf dem Krater rand, das zwar ganz hübsch aussah, aber nicht die mindeste Funktion erfüllte. Sie brauchten zehn Stunden dazu, und als sie fertig waren, erklärte Indiana, daß er sich geirrt hätte und sie die Konstruktion in nur anderthalb Metern Größe benötigten; dafür aber zwölfmal.

Mi-Pao-Lo starrte ihn nur wortlos an, als er seinen» Irrtum «eingestand. Ihrem Blick nach zu urteilen, war sie damit beschäftigt, sich ein paar originelle Todesarten für ihn auszu denken, aber sie ließ kein Wort der Kritik hören, sondern befahl den Langohren, alles zu tun, was er verlangte. Indiana bedauerte fast, ihnen nicht aufgetragen zu haben, zwölfhundert der kleinen Holzgestelle zu bauen; oder eine Nachbildung des Eiffelturms im Maßstab 1: 1.

Aber trotz allem fing er an, unter all dem Unsinn, den er die Polynesier vollführen ließ, wirklich wichtige Anweisungen zu verbergen. Er tat es vorsichtig, fast beiläufig, eine Bemerkung hier, ein Wort da, und am Schluß hatte er ein solches Gespinst von Lügen, Halbwahrheiten und völlig unsinnigen Tätigkeiten aufgebaut, daß er selbst kaum mehr durchblickte. Er konnte nur beten, daß die Polynesier all diesen Unsinn tatsächlich für den Willen ihres Gottes hielten und getreulich ausführten.