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Das Dröhnen der Trommel wurde lauter und schneller, ein hypnotisierender, hämmernder Takt, der nach und nach Indianas Pulsschlag, seinen Atem und selbst seine Gedanken in seinen Rhythmus zwang, und die Polynesier stimmten einen düsteren, an- und abschwellenden Wechselgesang dazu an, zu dem sie rhythmisch die Oberkörper hin und her zu wiegen begannen. Die Feuer flackerten weiter.

«Der große Moment ist da«, flüsterte Sandstein abermals.

«Mein Volk wird wieder den Platz auf dieser Welt einneh men, der ihm gebührt. «Plötzlich wechselte sie sowohl das Thema als auch die Tonlage.

«Sagen Sie, Dr. Jones«, fragte sie beinahe spöttisch,»gehören Sie zu den Männern, die ihr Wort halten?«

Es war keine von den Fragen, auf die man eine Antwort erwartet, und Indiana sagte auch nichts, so daß Sandstein nach einigen Augenblicken fortfuhr.

«Wenn ja — und ich nehme an, daß es so ist —, dann rate ich Ihnen, zum ersten Mal in Ihrem Leben mit diesem Prinzip zu brechen und das Versprechen nicht einzulösen, das Sie dieser törichten alten Frau gegeben haben.«

Indiana war nicht erschrocken — er fühlte sich plötzlich unendlich erleichtert. Die Erinnerungen Sandsteins waren für den Dämon, der sie besessen hielt, kein Geheimnis. Hätte er jedoch auch nur eine Andeutung gemacht, dann wäre alles verloren gewesen.

Hinter ihm erscholl ein lautes Poltern und Rumpeln. Indiana drehte sich halb herum und sah, daß sich in der Felswand ein Tor geöffnet hatte, durch das Jonas und die anderen Gefange nen herausgeführt wurden. Sie waren mit dünnen, aber sehr fest angelegten Hanfschnüren an den Händen und auch aneinander gebunden und wurden von einer Anzahl bewaffne ter Langohren eskortiert, die sie mit groben Stößen vor sich hertrieben.

«Sehen Sie nur, Jones!«sagte Sandstein erregt.»Es beginnt.

Meine Krieger werden sich zu den Sternen emporschwingen, damit sich die Tapfersten der Tapferen beweisen und ihre Stärke an die nächste Generation weitergeben können!«

Indiana stockte im wahrsten Sinne des Wortes der Atem, als sein Blick Sandsteins ausgestrecktem Arm folgte.

Die großen Kräne, die den Langohren normalerweise dazu dienten, sich in direkter Linie von einem Stolleneingang zum anderen zu schwingen, ohne jedesmal den Umweg über den Kraterrand in Kauf nehmen zu müssen, waren jetzt allesamt aufgerichtet und wiesen nach innen. Dutzende von Vogelmen schen, allesamt in prachtvolle Federmäntel gehüllt, waren auf die großen Holzgerüste hinaufgestiegen — und gerade, als Indiana aufsah, stürzte sich der erste Polynesier mit weit ausgebreiteten Armen in die Tiefe!

Nicht nur Nancy Barlowe schrie gellend auf und schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund.

Aber der Polynesier stürzte nicht ab.

Zwanzig, dreißig Meter weit fiel er wie ein Stein in die Tiefe, doch dann breitete er plötzlich die Arme aus, und der bunte Federmantel spannte sich zwischen den Armen und dem Körper, so daß es tatsächlich aussah, als hätte der Mann ein Paar gewaltiger Flügel. Aus dem rasenden Sturz wurde ein rasch langsamer werdendes, kreisendes Gleiten, eine abwärts gerichtete Spirale, bis er das Ende des langen, elastischen Seils erreicht hatte, das ihn mit dem hölzernen Gestell auf dem Kraterrand verband. Der Polynesier befand sich jetzt allerhöch stem noch zwanzig Meter über der hellorange glühenden Lava des Kraterinneren. Die Hitze dort unten mußte unerträglich sein, aber die aufsteigende, glühende Luft fing sich jetzt auch unter den Flügeln des Vogelmenschen und ließ ihn weiter seine majestätischen Kreise ziehen, so daß er tatsächlich wie ein bizarrer Riesenvogel aussah, der über einem Meer von Feuer dahinglitt. Indiana fragte sich, wie lange der Polynesier die mörderische Hitze noch aushalten würde.

«Unglaublich«, flüsterte Ganty neben ihm. Wie Indiana und alle anderen blickte er in die Tiefe, während sich über ihnen ein zweiter und dritter und dann immer mehr Polynesier dem flammenden Feuersee entgegenstürzten. Hitze und Licht trieben ihm die Tränen in die Augen, aber er sah trotzdem nicht weg, ja, er blinzelte nicht einmal.»Sie … sie fliegen!«

«Sie haben das nicht gewußt?«fragte Indiana.

Ganty schüttelte den Kopf, ohne Indiana anzusehen.»Nein.

Ich … wußte nicht, was ihr Name wirklich bedeutet.«

Immer mehr und mehr Krieger stürzten sich nun auf ihren bunten Riesenschwingen in die Tiefe, wo sie wie ein gewalti ger Schwarm bizarrer, übergroßer Vögel unter ihnen kreisten. Das grelle Licht der Lava, in das Indiana blickte, ließ ihre Umrisse verschwimmen und machte die dünnen elastischen Taue, an denen sie hingen, unsichtbar. Sie begannen immer schneller um- und übereinander zu kreisen, so daß Indiana sich unwillkürlich fragte, wieso sich die Seile nicht ineinander verhedderten oder sie in der Luft zusammenstießen.

Nach einer Weile begann er ein System in dem nur scheinbar willkürlichen Gleiten und Schweben zu erkennen. Die Vogel menschen kreisten nicht planlos herum, sondern folgten ganz bestimmten, komplizierten Bahnen, auf denen sie sich manch mal so nahe kamen, daß sie beinahe zu kollidieren schienen, sich immer wieder auch in jähen Sturzflügen mit angelegten Schwingen in die Tiefe warfen oder aber mit weit ausgebreite ten Flügeln auf der aufsteigenden heißen Luft nach oben ritten.

Was sie beobachteten, war ein Kampf. Er war allerdings nicht echt, sondern ein stilisiertes Ritual von genau festgelegten Bewegungen, Attacken und Paraden, Ausweich- und Angriffs bewegungen. Ein majestätischer Tanz, der bizarr und anmutig, erschreckend und faszinierend zugleich war.

Eine gute halbe Stunde standen sie schweigend da und sahen dem Tanz der Vogelmenschen zu, der vom an- und abschwel lenden Rhythmus der Trommeln untermalt wurde. Manchmal — Gesetzmäßigkeiten folgend, die Indiana nicht zu durchschauen vermochte — schied einer der Vogelmenschen aus dem Tanz aus und wurde nach oben gezogen, woraufhin sofort ein anderer seinen Platz übernahm. Die Zahl der Tänzer blieb so immer gleich.

Indiana hob verstohlen den Blick und sah zum Kraterrand empor. Die Feuer brannten noch immer, und ihr roter Schein zeichnete noch immer das gleiche Muster in den Himmel.

Es war Indiana selten so schwergefallen wie jetzt, Geduld zu beweisen. Natürlich wußte er, daß es viel zu früh war. Selbst wenn die HENDERSON dort draußen war und wenn Franklin sein Signal auffing und darauf reagierte, konnten seine Leute noch nicht hier sein.

«Was haben Sie, Jones?«fragte Ganty neben ihm.

Indiana drehte sich zu ihm um, allerdings erst, nachdem er einen raschen, sichernden Blick zu Sandstein hinübergeworfen hatte. Aber die Mi-Pao-Lo war von dem Geschehen unter ihnen ebenso gebannt wie alle anderen und schenkte weder ihm noch den übrigen Gefangenen auch nur die mindeste Beachtung.

«Sie sehen nervös aus«, fuhr Ganty fort. Er sah kurz zum Kraterrand hinauf und lächelte.»Haben Sie Angst vor dem, was passiert, wenn Make-Make nicht antwortet?«

Indiana schwieg weiter. Er spürte, daß Ganty auf etwas ganz Bestimmtes hinauswollte, und er ahnte sogar, worauf.

Ganty runzelte die Stirn. Als er weitersprach, klang seine Stimme sehr ernst.»Ich habe eine Menge Hochachtung vor Ihnen, Dr. Jones«, sagte er.»Aber Sie können mir trotzdem nicht erzählen, daß es Ihnen gelungen sein soll, in nur drei Tagen diese Schriftzeichen zu entziffern. Was immer sie dort oben tun, sie rufen nicht die Götter an. Aber irgend etwas tun sie. Ich frage mich nur, was das ist.«

Indiana zögerte noch eine letzte Sekunde — und dann sagte er es ihm.

Ganty riß verblüfft die Augen auf.»Wie bitte?«