Der Polynesier begann wild zu strampeln und versuchte, sich auf den Rücken zu drehen, um die Peitschenschnur zu errei chen, aber es gelang ihm nicht.
Und dann ging alles entsetzlich schnell.
Indianas Seil riß. Er spürte, daß er zu fallen begann und klammerte sich mit verzweifelter Kraft an den Peitschenstiel, gleichzeitig versuchte er sich nach vorn zu werfen und die strampelnden Beine des Polynesiers zu erreichen.
Wahrscheinlich hätte er es sogar geschafft, wäre in diesem Moment nicht sein vorheriger Gegner herangekommen und hätte nach seinen Beinen gegriffen. Mit aller Kraft klammerte der sich an Indiana fest.
Es gab einen doppelten, entsetzlichen Ruck, der ihm die Arme aus den Gelenken zu reißen schien, aber sein Vorrat an wundersamen, rettenden Fügungen war wohl noch nicht aufgebraucht: Sowohl seine Peitsche als auch das Tau des Polynesiers hielten der Belastung stand, und irgendwoher nahm er sogar die Kraft, sich Hand über Hand in die Höhe zu ziehen und die Füße des Langohrs zu packen. Der Polynesier trat wütend aus, aber die schiere Todesangst — und der Anblick der brodelnden Lava unter sich — gaben Indiana fast übermenschli che Kräfte. Obwohl die gut zwei Zentner des anderen Langohrs an seinen Beinen zerrten, kletterte er weiter in die Höhe, krallte sich in die Arme des Polynesiers und griff weiter nach oben.
Der Polynesier rammte ihm das Knie in den Leib. Eine seiner Hände tastete über Indianas Gesicht und packte nach seinen Augen. Indiana biß ihm in den Daumen, schmeckte Blut und krümmte sich gleich darauf selbst vor Schmerz, als das Knie des Burschen mit der Wucht eines Hammerschlags in seinem Magen landete. Sein Griff lockerte sich; er begann abzurut schen.
Instinktiv warf er die Arme nach oben und packte, was er zu fassen bekam.
Es waren die Ohren des Vogelmenschen.
Der Polynesier begann hysterisch und schrill zu kreischen, als seine Ohrläppchen plötzlich und brutal zur doppelten Länge gedehnt wurden, nachdem er selbst sie in den letzten zehn oder fünfzehn Jahren sehr behutsam gestreckt hatte. Indiana spürte einen weiteren, harten Ruck, und plötzlich waren seine Hände voller Blut. Verzweifelt krallte er sich in das Gesicht des Polynesiers, glitt weiter ab und fand schließlich an dessen Schultern halt. Der Polynesier kreischte vor Schmerz und begann sich wild hin und her zu werfen, während er beide Hände auf seine blutenden Ohren preßte.
Unter Indiana ertönte ein schriller Schrei, und als er den Blick senkte, machte sein Herz einen erschrockenen Hüpfer bis in seinen Hals hinauf.
Der Polynesier, der sich an seine Beine geklammert hatte, stand in Flammen. Sein Tau war in die Lava geraten, und das heiße, flüssige Gestein hatte es wie eine Lunte in Brand gesetzt.
Die Flammen hatten bereits den Rand seines Federmantels erreicht und griffen mit rasender Schnelligkeit um sich!
Indiana hatte bisher gezögert, aber nun blieb ihm keine andere Wahl mehr: mit einem entschlossenen Tritt stieß er den Polynesier von sich. Der Eingeborene kreischte, stürzte rücklings in die Tiefe und breitete im Fallen die Arme aus. Wie ein riesiger, brennender Vogel stürzte er in die Lava hinab und verschwand in der brodelnden Masse. Eine gewaltige Stich flamme schoß in die Höhe, und ein Hagel aus winzigen, glühenden Lavaspritzern versengte Indianas Rücken und seine Beine.
In der Zwischenzeit war jedoch der zweite Polynesier wieder halbswegs zur Besinnung gekommen. Seine zerfetzten Ohr läppchen bluteten noch immer heftig, aber der Ausdruck seiner Augen verriet jetzt viel weniger Schmerz als rasende Wut.
Indiana schlang den linken Arm um seinen Nacken, klammer te sich mit aller Kraft daran fest und rammte ihm die rechte Faust in den Leib; einmal, zweimal, dreimal, immer wieder.
Zuerst schien es, als hätten seine Hiebe überhaupt keine Wirkung, aber dann spürte er, daß der Körper seines Gegners allmählich erschlaffte.
Nur um sicherzugehen, schlug er noch einmal zu, dann begann er, weiter in die Höhe zu steigen, bis er wie ein Zirkusartist auf den Schultern des bewußtlosen Polynesiers stand und sich mit der linken Hand am Haltetau festklammerte.
Der dritte und letzte Vogelmensch glitt mit weit ausgebreite ten Schwingen heran. In seinen Händen blitzte eine gewaltige Machete, und als Indiana seinen Kurs in Gedanken verlängerte, wurde ihm klar, daß er selbst gar nicht das Ziel des Polynesiers war. Der hatte vor, das Tau zu kappen, damit sie beide in die Lava hinabstürzten. Das Leben ihrer eigenen Leute schien den Langohren nicht besonders viel wert zu sein.
Indiana wartete ruhig ab, bis der Polynesier nahe genug heran war, dann schlug er mit der Peitsche zu. Diesmal war der Hieb anders: kürzer, härter und mit sehr viel mehr Kraft geführt, und ein kurzes Schnappen aus dem Handgelenk, das die Peitschen schnur mit fürchterlicher Kraft nach dem Tau züngeln ließ.
Sie durchtrennte das Tau wie ein Messer.
Der Vogelmann schrie vor Schrecken auf, aber er behielt trotzdem die Nerven. Mit weit ausgebreiteten, reglosen Schwingen glitt er dicht an Indiana vorbei, ließ plötzlich seine Machete fallen und ging in einen rasenden Sturzflug über. Als Indiana schon glaubte, er würde in der Lava versinken, warf er sich gerade noch herum und nutzte den Schwung seines eigenen Sturzes, um auf der heißen Luft wieder in die Höhe zu reiten. Er hatte keine Chance, den Kraterrand zu erreichen, aber er prallte auf halber Höhe gegen die Böschung, schlitterte ein Stück in die Tiefe und fand schließlich irgendwo einen Halt.
Sein Umhang schwelte, und an einer Stelle züngelten bereits winzige Flammen. Mit fliegenden Fingern schlug er sie aus, riß sich das schwere Kleidungsstück von den Schultern und begann an der Innenseite des Kraters in die Höhe zu klettern. Indiana gönnte ihm, daß er es schaffte.
Allerdings sah er nicht weiter zu, sondern blickte zu Sand stein hinauf, die am Rande der steinernen Plattform stand und zu ihm hinunterstarrte. Er konnte ihr Gesicht nur als hellen Fleck erkennen, aber er glaubte ihre fassungslosen Blicke geradezu zu spüren.
«Ich habe die Bedingung erfüllt!«schrie er.»Jetzt halten Sie Ihr Wort! Ziehen Sie mich rauf!«
Sekundenlang regte sich Sandstein überhaupt nicht, und Indiana glaubte schon, sie hätte seine Worte gar nicht verstan den, aber dann hob sie die Hand und winkte befehlend.
Er wurde jedoch nicht in die Höhe gezogen.
Statt dessen beobachtete er voll ungläubigem Entsetzen, wie sich drei weitere Vogelmänner bereit machten, in den Vulkan krater hinabzugleiten!
«Sandstein!«schrie er.»Ist das Ihre Art, Ihr Wort zu halten?«
«Ich halte mein Wort, Dr. Jones!«schrie Sandstein zurück.
«Ich habe Ihnen versprochen, daß Sie Gelegenheit zum Üben erhalten, oder? Nun, Sie haben sie bekommen — und gut genutzt. Jetzt werden Sie gegen drei meiner Krieger kämpfen, die wirklich gut sind. Die beiden Versager, die Sie getötet haben, haben nichts anderes verdient!«
«Glauben Sie, daß Ihr Volk einer Göttin vertraut, die ihr Wort bricht, Mi-Pao-Lo?«fragte Indiana.
Sandstein lachte häßlich.»Ein guter Versuch, Dr. Jones!«antwortete sie.»Aber geben Sie sich keine Mühe! Sie verste hen kein Wort Ihrer Sprache, Jones! Wenn Sie diese drei besiegen, dann sind Sie frei!«
Sie gab ein Zeichen, und die drei Polynesier stürzten sich nebeneinander in die Tiefe.
Indiana fluchte lautlos in sich hinein. Er war ein Narr gewesen, dieser Wahnsinnigen zu vertrauen. Sie würde nie zulassen, daß er oder einer der anderen diese Insel lebend verließ. Selbst dann nicht, wenn er auch mit den nächsten drei Langohren fertig würde.
Was ihm aber sowieso nicht gelingen konnte.
Schon die Art, in der sie auf ihn zuglitten, machte ihm klar, daß diese Krieger den Ritt auf der Thermik ungleich besser beherrschten als die drei ersten. Und sie hatten gesehen, auf welche Weise er sich zur Wehr gesetzt hatte, und würden kaum noch einmal auf den gleichen Trick hereinfallen. Nein, er hatte keine Chance.