«Tressler!«flüsterte er überrascht.»Was tun Sie hier? Sie brauchen morgen einen klaren Kopf!«
«Ich konnte nicht schlafen«, antwortete der Pilot.»Genauso wenig wie Sie.«
«Ich muß morgen früh aber kein Flugzeug starten, das mit Kaugummi und Blumendraht zusammengeflickt worden ist.«
Er war in der fast vollkommenen Dunkelheit hier im Dschun gel nicht sicher, aber er glaubte zumindest, ein Lächeln über Tresslers Gesicht huschen zu sehen.»Ich bin das gewohnt, keine Sorge«, antwortete der Pilot.»Ich schlafe manchmal nur eine Nacht pro Woche richtig. «Er wurde übergangslos wieder ernst.»Kommen Sie mit, Jonas. Ich muß Ihnen etwas zeigen.«
Der Ton, in dem er den letzten Satz hervorstieß, gefiel Jonas nicht. Aber er verzichtete darauf, eine Gegenfrage zu stellen.
Wenn Tressler nur ihn allein hatte holen wollen, dann hatte er bestimmt seine Gründe dafür. Und Jonas hatte das ungute Gefühl, daß ihm diese Gründe nicht gefallen würden.
Er sollte recht behalten.
Tressler führte ihn in weitem Bogen um das Lager herum und dann wieder zurück zum Strand; allerdings nicht dorthin, wo das Flugzeug lag, wie Jonas erwartet hatte. Statt dessen näherten sie sich einer Stelle, die eine gute Meile davon entfernt hinter der Biegung der Lagune lag, so daß sie sie von ihrem Lagerplatz aus nicht direkt einsehen konnten.
Das war wahrscheinlich auch der Grund, aus dem das halbe Dutzend Gestalten diesen Platz ausgesucht hatte, um sich zu versammeln, und nicht den Strand weiter westlich, wo Sandstein in der vergangenen Nacht die Spuren gesehen hatte …
Tressler und er standen sicher fünf Minuten reglos da und blickten die schwarzen Gestalten am Strand aus der Deckung des Unterholzes heraus an. Sie bewegten sich unruhig, und Jonas hörte erregte Stimmen, in einer unverständlichen fremden Sprache. Manchmal gestikulierte eine der Gestalten aufgeregt; und immer in die Richtung, in der das Flugzeug lag. Und das Lager.
Schließlich wich Jonas einen Schritt weiter in den Dschungel zurück und ließ sich in die Hocke sinken. Die Dunkelheit, die sie einhüllte, schien mit einem Mal keinen Schutz mehr zu bieten, sondern zu etwas Feindseligem, Bösem zu werden.
«Also hat sie sich nicht getäuscht«, murmelte er, als Tressler ihm folgte und sich neben ihm auf ein Knie herabsinken ließ.
«Nein«, antwortete der Pilot.»In keiner Beziehung.«
Jonas fragte sich, was er wohl genau damit meinen mochte, verfolgte den Gedanken aber nicht weiter.»Vielleicht«, sagte er zögernd,»sollten wir doch versuchen, von hier wegzukom men. Die Burschen gefallen mir nicht.«
«Sie sind harmlos«, antwortete Tressler. Er schien Jonas’ zweifelnden Gesichtsausdruck trotz der Finsternis zu sehen, denn er fuhr nach einer Sekunde hastig fort:»Jedenfalls glaube ich das. Wenn sie uns hätten angreifen wollen, dann hätten sie es längst getan. Gelegenheit dazu hatten sie genug.«
Seine Worte klangen allerdings eher nach einem frommen Wunsch als nach wirklicher Überzeugung, und Jonas sprach das auch aus.»Ja. Oder sie beobachten uns und warten auf den passenden Moment, um zuzuschlagen.«
Diesmal verging eine geraume Weile, bis Tressler antwortete. Seine Stimme war sehr viel leiser als zuvor, und sie klang eindeutig besorgt.»Hören Sie zu, Jonas. Ich … ich habe vorhin nicht ganz die Wahrheit gesagt, als wir über das Flugzeug gesprochen haben.«
«Inwiefern?«
«Wenn ich ganz ehrlich sein soll — ich glaube kaum, daß ich die Mühle noch einmal in die Luft bekomme«, gestand Tressler.»Und unsere Aussichten, weiter als zehn Meilen damit zu kommen, sind erbärmlich. Ich kann niemanden mehr mitnehmen. Selbst wenn wir jede überflüssige Schraube aus der Maschine drehen und ich noch den Pilotensitz rausschmei ße, um Gewicht zu sparen, brauche ich ein ganzes Bataillon Schutzengel, wenn ich über die Riffe kommen will.«
«Warum versuchen Sie es dann überhaupt?«fragte Jonas.
«Keinem hier ist damit gedient, wenn Sie sich umbringen.«
«Weil es unsere einzige Chance ist«, antwortete Tressler.
«Haben Sie Lust, die nächsten fünfzig Jahre hierzubleiben?
Diese Insel ist noch nie von einem weißen Mann betreten worden. Wahrscheinlich weiß man nicht einmal, daß es sie gibt! Es kann noch hundert Jahre dauern, bis hier ein Schiff vorbeikommt!«
«Unsinn!«widersprach Jonas heftig.»Woher wollen Sie das wissen? Es gibt Tausende von Inseln hier.«
Tressler lachte leise.»Glauben Sie mir. Ich wüßte bestimmt, wenn man diese Insel bereits entdeckt hätte. Und Sie wüßten es sicher auch.«
«Wie meinen Sie das?«
Tresslers Stimme klang überrascht.»Sie haben sie nicht gesehen?«
«Wen, zum Teufel? Die Eingeborenen?«
Der Pilot erhob sich wieder und machte eine Geste, die Jonas in der Dunkelheit viel mehr spürte als sah. Offensichtlich sollte er ihm folgen. Sie gingen zurück zum Waldrand, und Tressler deutete zum Strand hinunter. Die Eingeborenen standen noch immer da und palaverten heftig.
«Rechts von ihnen«, flüsterte Tressler.»Direkt neben den Felsen, im Wasser. Sehen Sie sie?«
Jonas’ Blick folgte Tresslers ausgestreckter Hand. Im allerer sten Moment sah er nichts außer Schatten und Felsen in schwarzem Wasser, auf dem sich das Mondlicht spiegelte, doch dann …»O mein Gott!«flüsterte er.
Washington, D. C. Acht Monate später
«Nein!«sagte Grisswald.»Nur über meine Leiche!«Er ballte die Faust und ließ sie wuchtig auf die Schreibtischplatte krachen, um seinen Worten gehörigen Nachdruck zu verleihen.
Vielleicht hätte er das besser nicht tun sollen, denn gleich darauf verzog er schmerzhaft das Gesicht, und einer der beiden Regierungsbeamten machte eine Miene, als denke er ernsthaft darüber nach, Grisswalds Vorschlag wörtlich zu nehmen. Der andere lächelte unverändert weiter, so wie er es die ganze Zeit getan hatte. Er hatte Indiana mit diesem Lächeln begrüßt, und es hatte sich nicht um einen Deut geändert, obwohl Indy jetzt bereits seit fast einer halben Stunde dasaß und ihn beobachtete.
Er war mittlerweile fast sicher, daß der Beamte mit diesem dämlichen Grinsen auf dem Gesicht geboren worden war und daß es sein größtes und womöglich einziges Kapital darstellte.
Grisswald jedenfalls schien es langsam, aber sicher in den Wahnsinn zu treiben. Er tat Indiana beinahe leid. Es gab wohl kaum etwas Schlimmeres, als sich mit jemandem streiten zu müssen, der unentwegt lächelte, ganz egal, was man ihm an den Kopf warf. Vor allem, wenn dieser Jemand in einer Position war, wo er sich dieses überhebliche Lächeln leisten konnte.
Und das waren die beiden Regierungsbeamten. Indiana hätte nicht einmal ihre Ausweise sehen müssen, um das zu wissen.
Im Laufe der Jahre hatte er für so etwas ein feines und beina he untrügliches Gespür entwickelt.
«Dr. Jones, bitte sagen Sie doch auch einmal etwas!«Griss-wald begann fast verzweifelt die Hände zu ringen.»Ich flehe Sie an, seien Sie wenigstens vernünftig!«
Indiana genoß den Moment wie einen Schluck kostbaren Wein. Es kam sehr selten vor, daß Grisswald ihn um etwas bat.
Und im Moment bettelte er regelrecht. Deshalb zögerte er seine Antwort auch so lange heraus, wie es gerade noch möglich war.
«Vernünftig bin ich schon, Mr. Grisswald«, sagte er.»Aber was soll ich machen, wenn das Vaterland mich ruft. Als guter Patriot und Amerikaner kann ich meine Hilfe kaum verwei gern.«
Grisswalds Gesicht verlor auch noch das letzte bißchen Farbe, und Indiana schenkte ihm nicht nur sein herzlichstes Lächeln, sondern gönnte sich auch noch weitere zehn Sekunden, in denen Grisswald sich in ungesunder Nähe eines Schlaganfalles bewegte, ehe er, an die beiden Regierungsbeamten gewandt, fortfuhr:»Andererseits müssen Sie Mr. Grisswald verstehen, meine Herren. Ich war in letzter Zeit … ziemlich häufig abwesend. Und neben allem anderen bin ich auch noch Angestellter dieser Universität. Meine Studenten freuen sich zwar immer, wenn ich ihnen von meinen Abenteuern erzähle, aber das ist nicht der Grund, weswegen sie diese Universität besuchen. Sie wollen meine Vorlesungen hören, und sie haben ein Recht darauf.«