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Franklin winkte ab.»Bis die Zeitungen erscheinen und diese Herren ihre Sparschweine geschlachtet haben, um eine Spitz hacke zu kaufen, sind wir längst am Ziel«, sagte er.»Außer dem haben wir wohl keine andere Wahl mehr, fürchte ich. Man muß flexibel sein, nicht wahr?«

Wäre Indiana etwas weniger müde gewesen, dann hätte er Franklin spätestens jetzt gesagt, daß er für ihn neben einigen anderen Titeln auch noch den des ungeschicktesten Lügners aller Zeiten parat hielte. Aber wahrscheinlich war das die Sache gar nicht wert. Außerdem war ihm schon gestern eine sehr viel bessere Idee gekommen: Im Moment saßen Franklin und sein Kollege Delano noch am längeren Hebel. Aber sobald sie die Osterinseln erreicht hatten, war Indiana der Leiter der Expedition. Er würde schon eine passende Beschäftigung für die beiden finden …

«Meinetwegen«, murmelte er, verschränkte die Arme, ließ das Kinn auf die Brust sinken und schloß die Augen.»Wecken Sie mich, wenn wir da sind.«

«Wir sind da, Dr. Jones«, antwortete Franklin.

Indiana zwang sich, die Lider zu heben und aus dem Fenster zu sehen. Der Wagen rollte jetzt am Kai entlang; Indiana erinnerte sich nicht einmal, seit wann das so war. Eine gute Meile vor ihnen erhob sich der Umriß eines Schiffes gegen das Meer.

Indiana konnte es nur als schwarzen Schatten erkennen, denn die Sonne stand bereits tief, und ihr rotes Licht trieb ihm zusätzlich Tränen in seine ohnehin brennenden, entzündeten Augen. Aber irgend etwas an diesem Umriß irritierte ihn. Er wußte nur nicht genau, was.

Einen Augenblick später sah er etwas, das er sehr wohl erkannte — und das ihn schlagartig wenigstens für einen Moment hellwach werden ließ. Am Ende des Kais, über den sie fuhren, wartete eine kleine Armee auf sie.

Was hatte Franklin gesagt? Einige Reporter? Indiana schätzte, daß das Fallreep der HENDERSON von mindestens hundert kamera- und notizblockschwingenden Gestalten belagert wurde. Das kleine Leck in Franklins Sicherheitssystem mußte so breit sein wie die Niagarafälle!

«Nur ein paar Worte, Dr. Jones, das verspreche ich Ihnen«, sagte Franklin lächelnd.

Es dauerte anderthalb Stunden, bis sie endlich an Bord ka men.

Auf hoher See

Die Begegnung mit der Reporterarmee hatte Indiana den Rest gegeben. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wie er an Bord der HENDERSON gekommen war, und schon gar nicht, wie er die Kabine erreicht hatte. Er erwachte mit Kopfschmerzen, einem furchtbaren Geschmack im Mund und einem leisen Gefühl von Übelkeit im Magen, von dem er sicher wußte, daß es genau wie er gerade erst erwacht war und daß es noch sehr viel heftiger werden würde. Das Bett, auf dem er lag, war nicht nur äußerst unbequem, sondern bewegte sich auch noch, und was er im ersten Moment für das schwere Hämmern seines eigenen Herzschlages gehalten hatte, identifizierte er nach einigen Augenblicken als das Arbeitsgeräusch großer Maschi nen, die irgendwo in der Nähe liefen. Sie befanden sich bereits auf hoher See. Aber das hatte Franklin ihm ja gesagt.

Behutsam setzte Indiana sich auf, schwang die Beine von der Pritsche und versuchte aufzustehen. Sofort begann sein Magen zu rebellieren, und er bewegte sich noch vorsichtiger weiter.

Der Boden unter seinen Füßen schwankte heftig, und sein Magen und sein Kopf schienen sich in gleichem Rhythmus mitzudrehen. Irgendwie war das seltsam, fand Indiana. Es war beileibe nicht das erste Mal, daß er sich an Bord eines Schiffes befand — aber seekrank war er bisher noch nie geworden.

Indiana sah sich müde in der kleinen, schäbigen Kabine um.

Klein und schäbig war sogar noch geschmeichelt. Sie war ein besserer Wandschrank, gerade breit genug für das Bett und einen winzigen Tisch — allerdings nicht gleichzeitig. Beides war mit Scharnieren an der Wand festgeschraubt, so daß man jeweils das eine hochklappen mußte, um das andere zu benutzen.

Indiana verlängerte in Gedanken die Liste der unangenehmen Aufgaben, die er Franklin nach ihrer Landung auf den Osterin-seln zuteilen würde, und verließ seine Kabine.

Der Gang, auf den er hinaustrat, war kaum weniger schmal und heruntergekommen als die Kabine. Das Dröhnen der Maschinen war hier deutlicher zu hören, und sein Magen rebellierte plötzlich so stark, daß er sich mit beiden Händen die Wand entlangtasten mußte, als er den Weg zur Treppe ein schlug. Er brauchte frische Luft, und zwar dringend.

Indiana bekam fast mehr davon, als ihm lieb war, denn Sturm und Gischt schlugen ihm wie eine nasse Hand ins Gesicht, als er auf das Deck der HENDERSON hinaustrat. Einen Moment lang erwog er ernsthaft den Gedanken, wieder in seine Kabine zurückzugehen und einfach weiterzuschlafen, aber dann trat er doch vollends in den Sturm hinaus und sah sich aus zusam mengekniffenen Augen um.

Es war dunkel. Sturm und Seegang waren ganz kurz vor dem Punkt, an dem die Männer oben auf der Brücke anfangen würden, sich Sorgen zu machen, und die HENDERSON pflügte mit voller Fahrt durch die Wellen.

An Deck brannte kein einziges Licht.

Indiana hielt sich mit der linken Hand fest, um auf dem glitschigen, schwankenden Deck nicht die Balance zu verlie ren, drehte das Gesicht aus dem Wind und sah sich mit wachsender Beunruhigung um. Unter seinen Füßen dröhnten die Maschinen des Schiffes, der Bug teilte mit einem unabläs sigen, kraftvollen Dröhnen die Wellen, aber nirgends war auch nur eine Bewegung oder ein Licht zu sehen. Es war, als befände er sich auf einem Geisterschiff. Selbst hinter den großen Scheiben der Brücke herrschte Dunkelheit. Was um alles in der Welt ging hier vor?

Durch das Dröhnen der Maschinen und des Sturmes drang ein anderer Laut an sein Ohr: ein gepreßtes Stöhnen, dem ein plötzliches Würgen folgte. Indiana drehte sich um und sah eine gebeugte Gestalt an der Reling. Offenbar war er nicht der einzige, der trotz Regen, Sturm und Dunkelheit an Deck gekommen war.

Als er sich der Gestalt näherte, sah er, daß es niemand ande res war als Grisswald, der an der windabgewandten Seite der HENDERSON stand und ausgiebigst, aber wahrscheinlich ohne großes Vergnügen Poseidon opferte.

Indiana räusperte sich, erzielte damit aber keinerlei Erfolg und räusperte sich noch einmal und noch einmal, bis Grisswald schließlich reagierte und mit einem Ruck den Kopf umwandte.

Auf seinem Gesicht erschien ein fast entsetzter Ausdruck, als er Indiana erkannte.»Dr. Jones!«sagte er.»Was tun — «

Den Rest seiner Frage spie er zusammen mit seinem letzten Abendessen über Bord, und Indiana wandte sich diskret ab, bis die unangenehmen Würgegeräusche hinter ihm wieder ver klangen. Ihm wurde klar, daß er Grisswald in eine peinliche Situation gebracht hatte.

«Bitte verzeihen Sie, Mr. Grisswald«, sagte er, ohne sich zu seinem Dekan umzudrehen.»Ich wollte Sie nicht in eine peinliche Situation bringen.«

«Peinlich? Peinlich!«Grisswald begann zu schimpfen wie ein Rohrspatz, und nach ein paar Sekunden drehte sich Indiana doch wieder herum und sah ihn an. Grisswald war grün im Gesicht, aber er wirkte nicht peinlich berührt, sondern er war offenbar stinkwütend.»Verdammte Sauerei!«giftete er, während er sich mit einem alles andere als sauberen Taschen tuch immer wieder über die Lippen fuhr.»Irgend jemand wird mir dafür bezahlen, Dr. Jones, das schwöre ich Ihnen!«

«Niemand kann etwas für den Sturm«, antwortete Indiana.

«Und vor Seekrankheit ist keiner gefeit. Glauben Sie mir, ich habe schon ganz andere — «

«Seekrank?«unterbrach ihn Grisswald aufgebracht.»Ich und seekrank? Daß ich nicht lache! Mein Vater war Kapitän!

Ich bin praktisch auf einem Schiff aufgewachsen! Noch dazu besitze ich selbst eine ansehnliche Hochseeyacht und verbringe jede Minute, die ich erübrigen kann, auf hoher See! Ich werde nie seekrank, Dr. Jones, niemals!«