Indiana war so perplex, daß er Grisswald nur verwirrt an blickte.»Aber was — «
«Irgend jemand hat uns betäubt, Dr. Jones«, fuhr Grisswald aufgebracht fort.»Merken Sie es nicht? Ich habe den Ge schmack noch im Mund. Ich weiß zwar nicht, wer es war oder warum, aber ich verspreche Ihnen, daß ich es herausbekommen werde, und wer immer es auch war, er wird mir Rede und Antwort stehen!«
«Ich bin sicher, Kapitän Franklin wird das mit großem Ver gnügen tun, Professor Grisswald«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Indiana und Grisswald fuhren im selben Moment herum, aber zumindest für Grisswald war die Bewegung wohl ein bißchen zu schnell, denn er beugte sich sofort wieder über die Reling und opferte auch noch den Rest seines Mageninhaltes den Meeresgöttern.
Indiana konnte das Gesicht seines Gegenübers in der Dunkel heit nicht erkennen, aber die Stimme kam ihm vage bekannt vor, und immerhin sah er, daß der Mann eine Uniform trug.»Delano?«fragte er zögernd.
«Commander Delano«, verbesserte ihn der andere, nahm seinen Worten aber sofort wieder die Schärfe, indem er lachte und leise hinzufügte:»Aber damit nehmen wir es hier nicht so genau. Bitte kommen Sie, meine Herren. Es ist kalt und naß hier draußen, und Sie wollen sich doch keine Erkältung einfangen, oder?«
«Ihre Sorge führt mich zu Tode«, sagte Grisswald böse.»Vor allem, nachdem Sie gerade versucht haben, uns zu vergiften.«
Delano überging die Bemerkung mit einem neuerlichen Lachen und wiederholte seine einladende Geste.»Kommen Sie, meine Herren. Es ist wirklich kalt hier. Und ich fürchte, es wird bald noch ungemütlicher werden. Ein Sturm zieht auf.«
«Fährt dieses Schiff deshalb ohne ein einziges Licht?«fragte Indiana.»Damit der Sturm uns nicht findet?«Aber er folgte Delano trotzdem, und nach einem letzten, fast sehnsüchtigen Blick zur Reling schloß sich ihnen auch Grisswald an.
Indiana sah sich aufmerksam um, während sie hinter Delano die eiserne Treppe zur Brücke hinaufstiegen, und trotz der Dunkelheit erkannte er jetzt viele Einzelheiten. Er war nicht einmal besonders überrascht. Wäre er nicht so völlig übermü det gewesen, als sie in Sydney an Bord gingen, hätte er es gleich bemerkt.
Sie betraten die Brücke. Die Beleuchtung war ausgeschaltet.
Nur hier und da gewahrte Indiana den grünen Schimmer eines Instrumentes, in dessen Widerschein der Mann am Ruder und die anderen Mitglieder der Brückenbesatzung wie unheimliche Gespenster wirkten, die sich beinahe lautlos bewegten. Frank lin war nirgends zu sehen, aber Delano deutete auf eine Tür in der rückwärtigen Wand der Brücke und ging rasch weiter.
Franklin erwartete sie dort in einem kleinen, fast behaglich eingerichteten Raum. Die Fenster waren mit schwerem, dunkelblauem Samt verhängt, so daß kein Lichtschimmer nach außen dringen konnte, und auf einem Bord neben der Tür stand das größte und komplizierteste Funkgerät, das Indiana jemals gesehen hatte. Es war ausgeschaltet. Der Tisch, an dem Franklin saß, war mit Papieren und großformatigen Fotografien übersät, die aber allesamt herumgedreht waren, so daß Indiana nicht erkennen konnte, was sie zeigten. Aber er hätte wahr scheinlich sowieso nur einen flüchtigen Blick darauf geworfen, denn die nächsten zehn Sekunden tat er nichts anderes, als Franklin mit offenem Mund anzustarren.
Genauer gesagt: seine Uniform.
Nach Delanos Anblick überraschte es ihn nicht einmal mehr, Franklin nicht mehr in Zivil zu sehen, und nach allem, was ihm auf dem Weg hier herauf klar geworden war, war er nicht einmal mehr verwundert über den Umstand, daß es eine Army-Uniform war.
Aber sie war noch mehr als das. Es war die Uniform eines Generals.
Soviel zu der Idee, Franklin und seinen Begleiter für die Dauer ihres Aufenthaltes auf den Osterinseln Steine klopfen zu lassen, dachte er. Er war nicht einmal mehr sicher, daß sie überhaupt zu den Osterinseln fuhren.
Franklin gab ihm eine ganze Weile Zeit, ihn und seine Uni form zu bestaunen, dann wies er mit einer einladenden Geste auf die beiden freien Plätze vor dem Tisch, und Indiana und Grisswald gehorchten ganz automatisch. Delano schloß die Tür hinter ihnen, blieb aber stehen. Franklin schwieg weiter. Er lächelte auch weiter, und schließlich war es Grisswald, der das Schweigen brach.
«Ist … diese Uniform echt?«fragte er stockend. Franklin nickte stumm, und Grisswald fuhr nach einem fast flehenden, hilfesuchenden Blick zu Indiana fort:»Ich habe nie von einem General Franklin gehört.«
«Den gibt es auch nicht«, antwortete Franklin.»Aber ich versichere Ihnen, daß mein Name in diesem Raum das einzige ist, was nicht der Wahrheit entspricht. Unser Unternehmen muß leider unter der allerstrengsten Geheimhaltung verlaufen. Aus diesem Grund habe ich mich leider auch gezwungen gesehen, Ihnen gewisse … Unannehmlichkeiten zuzumuten. Aber das ist nun vorbei.«
«Geheimhaltung?«fragte Indiana.»Haben sie deshalb eine ganze Armee von Reportern nach Sydney bestellt?«
«Natürlich«, antwortete Franklin ungerührt.»Ich war schon immer der Meinung, daß die überzeugendsten Lügen diejeni gen sind, die der Wahrheit sehr nahekommen. Wo würden Sie einen Eimer Wasser verstecken, Dr. Jones? In der Wüste oder im Meer?«
«Zumindest würde ich nicht versuchen, ein Kriegsschiff als Forschungsschiff zu verkaufen, und darauf hoffen, daß die ganze Welt blind ist!«sagte Indiana. Er suchte nach irgendwel chen Anzeichen von Schrecken oder Bestürzung in Franklins Gesicht. Aber er fand keine, und so fuhr er fort:»Die HENDERSON ist ein Kriegsschiff! Sogar ich habe das bemerkt.«
«Ich habe nichts anderes erwartet, Dr. Jones«, antwortete Franklin.»Bitte, halten Sie uns nicht für geistig minderbemit telt, nur weil wir eine Uniform tragen.«
Indiana war nun vollends verwirrt.
«Das hier war einmal ein Kriegsschiff, Dr. Jones«, sagte Grisswald.»Vor ungefähr zehn Jahren wurde es ausgemustert und zu einem Forschungsschiff umgebaut. Das ist allgemein bekannt, zumindest in Schiffahrtskreisen.«
«Ja«, pflichtete ihm Franklin bei.»Allerdings haben wir in den letzten Wochen einige … kleine Veränderungen vorge nommen, die etwas weniger bekannt sein dürften. Aber das spielt im Moment keine Rolle. Ich bin sicher, Sie beide brennen darauf, endlich zu erfahren, warum Sie hier sind. Warum Sie wirklich hier sind, meine ich.«
«Worauf Sie sich verlassen können!«giftete Grisswald. Indiana sah Franklin nur wortlos an, und Grisswald fügte in drohendem Ton hinzu:»Ich hoffe für Sie, daß Sie einen guten Grund für dieses Theater haben!«
«Den haben wir«, versicherte ihm Franklin. Plötzlich klang er sehr ernst. Zum ersten Mal, seit Indiana ihn kannte, erlosch sein Lächeln.»Übrigens war es nicht nur Theater. Es ist gut möglich, daß wir tatsächlich etwas für die Wissenschaft tun, Professor. Neben einer Anzahl … anderer Dinge enthalten die Laderäume der HENDERSON die komplette Ausrüstung für das Forschungsvorhaben, das ich Ihnen versprochen habe. Sie werden Ihre Expedition bekommen, Professor Grisswald.«
«Er«, sagte Indiana.»Und ich?«
Franklin nickte anerkennend.»Wie ich sehe, verfügen Sie tatsächlich über den scharfen Verstand, den man Ihnen nach sagt, Dr. Jones. Vielleicht werden Sie Ihrem Kollegen bei seinen Forschungen helfen können. Ich hoffe es sogar.«
«Und wenn nicht?«Indiana wurde allmählich zornig.»Ver dammt, hören Sie doch endlich auf, wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen! Was wird hier gespielt? Wozu sind wir wirklich unterwegs?«
Franklin schwieg eine ganze Weile, ehe er leise und mit veränderter Stimme begann:»Wie Sie wissen, befinden wir uns im Krieg mit Japan und dem Deutschen Reich, meine Herren.«
Indiana erstarrte, und auch Grisswald sog hörbar die Luft ein, aber Franklin sah ihre Reaktion voraus, hob abwehrend beide Hände und fuhr beinahe hastig fort:»Bitte glauben Sie mir, meine Herren: ich weiß, daß Sie Wissenschaftler sind, und keine Politiker oder Soldaten, und nichts liegt mir ferner, als Sie in irgend etwas hineinzuziehen, das Ihrem Beruf fremd wäre. Aber es handelt sich um eine Angelegenheit von mögli cherweise unabsehbarer Bedeutung. Wenn es das ist, was ich befürchte, dann brauchen wir Sie einfach.«