Выбрать главу

Er blies den Staub von ihrem Einband und schlug das Buch Exodus auf.

In seinen Träumen war Indy auf der Suche. Vielleicht lag es daran, dass er vor dem Einschlafen noch einmal im Alten Testament geblättert hatte, oder an den einhundert bangen Augenblicken der vergangenen paar Tage, oder an dem Bewusstsein, sich tief unterhalb der Erde zu befinden. Aus welchem Grund auch immer, Indy fand sich in einer biblischen Landschaft aus Pyramiden und Götzenbildern, Sand und Sonne wieder, wo er endlose Korridore und unglaublich verschlungene Gänge durchstreifte, auf der Suche nach einem flüchtigen Schatten, der stets hinter der nächsten Ecke verborgen blieb. Oft war er nahe genug, um den Klang ihrer Stimme zu hören, manchmal gelang es ihm, einen flüchtigen Eindruck ihres Gesichts zu erhaschen, doch nie kam er nahe genug heran, um sie auch wirklich zu berühren. Seine Enttäuschung wurde dadurch wettgemacht, dass ein Teil von ihm wusste, dass es nur ein Traum war und er sie niemals würde einholen können. »Wer ist Alecia?«, wollte Faye wissen, als Indy aufwachte. »Wie bitte?«

»Sie haben im Schlaf gesprochen«, sagte Faye. Sie saß am Tisch und aß zum Frühstück von einem Teller mit Obst, den Pascal gebracht hatte. »Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber sie schien furchtbar wichtig zu sein. Ist sie Ihre Frau?«

»Ich war nie verheiratet.«

»Dann Ihre Freundin?«

»Nein«, erwiderte Indy.

Er setzte sich auf und rieb sich die Augen.

»Wie spät ist es?«, fragte er.

»Kurz nach Tagesanbruch«, sagte sie. »Ich war vor einer Weile draußen. Es ist herrlich, jetzt, wo der Sturm vorüber ist.«

»Wo ist Leutnant Musashi?«, fragte er.

»Sie schläft noch«, sagte Faye. »Mystery auch.«

»Und warum Sie nicht?«, fragte Indy.

»In geschlossenen Räumen konnte ich noch nie schlafen«, antwortete sie. »Werden Sie es mir erzählen?«

»Erzählen? Was denn?«

»Von Alecia.«

»Warum sollte ich?«, fragte Indy.

»Weil wir Freunde sind«, meinte Faye. »Weil wir zusammen eine Zerreißprobe auf Leben und Tod durchgemacht haben. Weil wir froh sein können, überlebt zu haben. Und weil ich es wissen will, und Sie es mir erzählen wollen.«

»Das ist nicht wahr.«

»Lieben Sie sie?«

»Ich habe sie geliebt«, sagte Indy.

»Aber jetzt nicht mehr.«

»Hören Sie«, sagte Indy. »Ich werde Ihnen die Kurzfassung erzählen, einverstanden? Ich kannte einmal eine Frau mit Namen Alecia. Wir haben uns gegenseitig nichts als Unglück gebracht. Dann ist sie gestorben.«

Faye schwieg.

»Zufrieden?«, fragte Indy.

»Nein«, sagte Faye. »Können Sie nicht darüber sprechen, ohne wütend zu werden?«

»Sie machen mich wütend.«

»Das glaube ich nicht«, meinte Faye. »Sie sind wütend auf diese Frau, und das schon seit geraumer Zeit. Nur wusste ich bis zu diesem Augenblick nicht, worüber Sie wütend sind.«

»Hören Sie, das hat längst nichts mehr mit mir zu tun -«

»Und ob es etwas mit Ihnen zu tun hat«, widersprach Faye.

»Denken Sie doch mal nach. Die Menschen lassen nicht einfach alles stehen und liegen und gehen in ein fremdes Land, es sei denn, sie sind nicht glücklich oder unerfüllt. Das weiß ich - ich spreche aus Erfahrung.«

»Kaspar war nicht glücklich?«, fragte Indy.

»Er hat mich nicht gebeten, nachzukommen«, sagte sie.

»Warum suchen Sie ihn dann?«

»Weil ich ihn liebe«, antwortete sie. »Weil Mystery ihren Vater braucht oder zumindest wissen muss, was aus ihrem Vater geworden ist. Und weil ich klug und stark genug bin, ihn zu finden, und ich es mir nie verzeihen könnte, wenn ich es nicht versucht hätte.«

Indy hüstelte.

»Das Thema ist Ihnen unangenehm«, stellte Faye fest.

»Es gehört nicht zu den Dingen, über die man sieh mit seinen Freunden unterhält«, gab Indy zu.

»Dann hören wir auf damit«, schlug Faye vor.

»Gut«, sagte Indy.

Faye langte nach unten und hob die Bibel auf.

»Waren Sie gerade dabei, Ihre Gebete zu sprechen?«, fragte sie.

»Ich habe über den Stab des Aaron gelesen«, erklärte Indy. »Jetzt verstehe ich, warum Kaspar fasziniert war - es war der ursprüngliche Zauberstab. Mit seiner Hilfe konnte man Wasser finden, Plagen heraufbeschwören, seine Feinde vernichten. Solange Moses ihn in die Höhe hielt, waren die Juden im Kampf unbesiegbar.«

Faye lächelte.

»Als ich noch ein Kind war«, erzählte Faye, »schloss ich oft die Augen, schlug die Bibel auf und las aufs Geratewohl einen Vers.

Jetzt kommt mir das ziemlich albern vor. Aber die Verse schienen stets einen Sinn zu ergeben.«

»Und jetzt nicht mehr?«

»Nein«, erwiderte sie.

»Was hat sich Ihrer Meinung nach geändert?«

»Ich selbst«, sagte Faye. »Ich bin erwachsen geworden.«

»Kinder besitzen die Gabe magischen Denkens.«

»Sie glauben nicht an Magie, Dr. Jones?«

»Kommt ganz darauf an, wie man sie definiert«, meinte Indy.

»Wenn Sie damit die Art von Unterhaltung meinen, die von einem Publikum, das es eigentlich besser wissen sollte, ein freiwilliges Außerkraftsetzen seiner Kritikfähigkeit erfordert, dann lautet meine Antwort >ja<, daran habe ich meine Freude.«

»Nein«, sagte sie. »Ich spreche von wahrer Magie.«

»Falls die Wissenschaft uns überhaupt etwas gelehrt hat«, entgegnete Indy, »dann, dass es dergleichen nicht gibt. Magie, Aberglaube - diese Dinge gehören der Vergangenheit an.«

»Wissenschaft ist auch nichts weiter als ein Glaubenssystem«, meinte Faye. »Es ist ein gutes System, aber nicht das einzige.

Außerdem erklärt sie längst nicht alles. Glauben Sie an Gott, Dr. Jones?«

»Ja«, sagte Indy.

»Gut«, meinte Faye. »Wenigstens etwas. Sie setzen Ihren Glauben an die Wissenschaft vorübergehend außer Kraft, um Platz für den Glauben an etwas zu schaffen, dessen Existenz Sie nicht beweisen können, dessen Vorhandensein Sie aber aufgrund einer Überzeugung als gegeben voraussetzen, die über das rein Rationale hinausgeht. Wäre es so schwer, einzugestehen, dass Magie ebenfalls funktioniert?«

»Wenn es Beweise dafür gäbe«, sagte Indy.

Faye lächelte.

»Genau danach hat Kaspar gesucht«, sagte sie. »Andere suchen den Stab vielleicht wegen der Reichtümer und der Macht, die er einem verschaffen kann, aber Kaspar war auf etwas anderes aus. Er wollte eine Bestätigung dafür, dass Magie funktioniert, dassnoch immer Wunder geschehen können.«

»Der ursprüngliche Zauberstab.«

»Genau«, sagte Faye.

»Aber der ist in der Antike unrettbar verloren gegangen«, sagte Indy. »Möglicherweise ist er sogar nichts als eine Legende.«

»Wenn«, sagte Faye, »dann handelt es sich um eine besonders gut dokumentierte Legende. Im Alten Testament ist mehrfach von ihm die Rede. Im Buch Exodus verwandelt er sich in eine Schlange und verschlingt das von den Magiern des Pharao herbeigezauberte Gewürm. Er verwandelt den Nil in Blut und wird dazu benutzt, die zehn Plagen über Ägypten herbeizuflehen.«

»Frösche, Mücken und Schwärme von Fliegen«, sagte Indy.

»Eiternde Geschwüre, glühender Hagel und Heuschrecken. Den Tod des Viehs. Finsternis, die sich über das Land senkt. Den Tod der Erstgeborenen Ägyptens. Aber selbst wenn Sie ihn fänden«, fragte Indy, »woher wollen Sie wissen, dass es sich um den echten Stab handelt? Wenn er tatsächlich erhalten geblieben ist, wäre er mittlerweile nichts weiter als ein altes, vertrocknetes Stück Holz.«