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»Dort war ich noch gar nicht«, sagte Indy und setzte sich hin.

»Kaum zurück, und schon musst du nach deiner Arbeit sehen, was?«, fragte Brody.

»Ich bringe nur ein paar Dinge in Ordnung, die liegen geblieben sind.«

»Sag mal, während du fort warst, ist etwas überaus Seltsames geschehen. Irgendein Bursche, der sich für dich ausgab, hat sich per Telegraf aus Indien beim Museum gemeldet und eintausend amerikanische Dollar angefordert. Ich wusste, dass du in China warst, das Geld habe ich trotzdem geschickt, auf die unwahrscheinliche Chance hin, dass du es am Ende doch bist und es wirklich dringend brauchst. Wie auch immer, der Kerl hat sich offenbar mit dem Geld aus dem Staub gemacht.«

»Der Kerl war ich«, sagte Indy.

»Tatsächlich?«, meinte Brody erstaunt. »Was hast du in Kalkutta getan?«

»Das Übliche«, erwiderte Indy. »Ich war auf der Durchreise. Gelandet bin ich schließlich in Gizeh, wo ich -«

»Nein, erzähl es mir erst gar nicht«, unterbrach ihn Brody. »Ich bin sicher, dein Vorgehen war vollkommen professionell und in Übereinstimmung mit den Gesetzen und Richtlinien des Service des Antiquites.«

»Man könnte sagen, meine Vollmacht kam von allerhöchster Stelle.«

»Ausgezeichnet. Übrigens, heute traf ein Päckchen aus Kairo im Museum ein. Es ist an dich adressiert, und die Adresse des Absenders scheint - wenn ich das Gekrakel richtig deute - die deines Freundes Sallah zu sein. Könnte es sich möglicherweise um die Ausbeute deines Abenteuers handeln? Darf ich es öffnen?« Bevor Indy etwas erwidern konnte, hörte er am anderen Ende das Geräusch zerreißenden Papiers.

»Es ist eine Schachtel Mandeln«, sagte Brody mehr als nur ein wenig enttäuscht. »Ein Zettel hängt daran. Darauf steht: Ichmöchte mein gegebenes Wort nicht brechen, dachte mir aber, du würdest gerne wissen, dass dort, wo der Stock gelandet ist, jetzt ein Mandelbäumchen blüht. Bis zu unserem Wiedersehen, mein Freund.« Indy musste lachen.

»Ich vermute, dazu gibt es eine passende Geschichte«, meinte Brody.

»Die gibt es allerdings«, sagte Indy. »Und ich bin sicher, eines Tages wirst du sie mir erzählen«, sagte Brody. »Ach, und noch etwas, das war übrigens der eigentliche Grund meines Anrufs. Hast du je von etwas gehört, das >die Asche des Nurhachi< genannt wird?«

»Hab ich«, sagte Indy, »aber ich würde mich gern etwas ausruhen, bevor ich nach Schanghai reise, um mich darum zu kümmern.

Außerdem habe ich ein Stellenangebot vorliegen, das ich überdenken muss. Möglicherweise wechsele ich schon bald die

Universität.«

»Großartig«, sagte Brody. »Wenn man doch noch einmal jung sein könnte. Du ruhst dich aus und rufst mich kurz an, sobald du dich entschieden hast.« »Mach ich«, sagte Indy. »Marcus?« »Was gibt's?«

Einen Augenblick lang war Indys Kehle so trocken, dass er kein Wort hervorbrachte. Schließlich sagte er:

»Es tut gut, deine Stimme wieder zu hören, Marcus.« »Geht es dir gut?«, erkundigte sich Brody besorgt. »Es ist doch alles in Ordnung, oder?«

»Aber ja«, sagte Indy. »Ich fühle mich ausgezeichnet. Oder jedenfalls bald.«

KAPITEL DREIZEHN

Die Zeit gerät aus den Fugen

Indy steckte die Fackel in den Schlamm vor dem leer geräumten Altar und zog ein Paar Lederhandschuhe aus der Tasche. Sein Gesicht war schlämm- und schweißverschmiert, und seine zerschundenen Hände taten weh, als er die eng sitzenden Handschuhe überstreifte. Der Abstieg in den Schlangentempel war ebenso schwierig und gefährlich gewesen wie in seiner Erinnerung, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Diesmal befand sich keine Riesenschlange dort. Die zertrümmerten Knochen der dreißig Fuß langen Anaconda, die Indy vor Jahren getötet hatte, lagen verstreut am Ufer des unterirdischen Beckens.

Indy holte den voluminösen Samtbeutel aus der über seiner Schulter hängenden Mappe und nahm den Kristallschädel heraus. Der Fackelschein brach sich im Inneren des Schädels, wurde dort vergrößert und tanzte über Fußboden und Seitenwände der Höhle. Einen Augenblick lang war Indy wie hypnotisiert von dem Schauspiel und spielte mit dem Gedanken, den .Schädel doch zu behalten.

»Nein«, rief er plötzlich laut. »Ich weiß nicht, wer du warst - oder bist - aber du gehörst hierher.«

Der Altar war aus einer in die Höhlenwände eingelassenen Nische herausgemeißelt worden. Indy setzte die Füße fest auf den Boden, vergewisserte sich, dass sein Gewicht

gleichmäßig verteilt war, und legte den Schädel behutsam auf den Altar. Dann trat er zurück, halb in der Erwartung, eine Falle würde aus dem Altarsockel hervorschnellen oder von oben herabfallen. »Erledigt«, sagte Indy. Lächelnd zog er seine Handschuhe aus und tippte zum Abschied kurz an die Krempe seines Hutes. Als er daraufhin seine Fackel aufnahm und sich zum Gehen wandte, hörte er es: das Plätschern von Wasser, ein schlitterndes Geräusch vom schlammigen Ufer sowie das Grauen erregende Zischen einer sehr großen Schlange, die atmet. Am äußersten Rand des Fackelscheins erblickte er ein bernsteinfarbenes, geschlitztes Auge von der Größe einer Warzenmelone, das sich auf ihn zubewegte. Die Schlange, die er damals in dieser Höhle getötet hatte, war die größte, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte, und bei seiner Rückkehr nach Princeton hatte er einen Herpatologen gefragt, ob jemals Anacondas von zehn Metern Länge beobachtet worden seien. Durchaus, hatte der Experte geantwortet, es gebe Berichte, denen zufolge sie in den Tiefen des Regenwaldes sogar noch größer wurden.

Diese Schlange ließ die andere klein erscheinen. »Nicht schon wieder«, stöhnte Indy. Die Schlange schlitterte auf ihn zu. Indy zog den Revolver.

Es gab keinen Platz zu fliehen; die Schlange war so lang, dass sie den Rückweg zum Eingang des unterirdischen Beckens vollständig versperrte, und der Versuch, schwimmend zu entkommen, hieße, der Schlange einen noch größeren Vorteil einzuräumen.

Indy stolperte nach hinten und feuerte der Schlange drei Kugeln ins Auge. Falls dies irgendeine Wirkung hatte, so ließ sich die Schlange davon nichts anmerken. Sie klappte ihre mit einem Scharniergelenk versehenen Kinnladen

auf - zeigte dabei ihre säbelgroßen Reißzähne - und ließ ihre schwammige, rosafarbene Zunge Richtung Indy schnellen. Wie alle Schlangen hatte sie schlechte Augen, ihr Geruchs- und Tastsinn war dagegen ausgezeichnet. Indy zwängte sich in die Nische neben dem Altar und feuerte zwei weitere Schüsse ab. Die Schlange attackierte, doch ihr Maul war größer als die Nische, und ihre Reißzähne kratzten über den Fels. Indy wich vor dem Angriff zurück, warf sich nach hinten und stieß sich den Kopf am Sturz eines steinernen, in die Rückwand der Nische eingelassenen Portals. Weil das Portal niedrig war -weniger als einen Meter fünfzig hoch - und im Schatten hinter dem Altar verborgen lag, hatte er es zuvor nicht bemerkt. Wichtiger noch, das Portal war zu klein, als dass die Schlange hätte hindurchkriechen können. Es dauerte jedoch einen Augenblick, bevor Indy dies erkannte. Der Schlag auf seinen Hinterkopf hatte ihm beinahe das Bewusstsein geraubt, und einige Minuten lang hockte er auf dem Boden dieses neuen Durchganges, während sich ihm der Magen umdrehte und er Sterne vor den Augen sah. Als er seinen Hinterkopf befühlte, hatte er Blut an der Hand. Trotzdem, Indy schmunzelte über sein großes Glück. Er hob die Fackel auf und rappelte sich mühsam hoch, um den neuen Gang zu untersuchen und das wütende Zischen auf der anderen Seite des Portals hinter sich zu lassen. Die Decke war niedrig, und er war gezwungen, sich zu bücken, während er sich Zoll um Zoll vorwärts tastete. Dann endete der Gang.

Er endete nicht etwa vor einer Türöffnung oder Wand, nicht einmal vor dem Geröllhaufen eines Einbruchs. Er endete in einer Art von Dunkelheit durchdrungener Wolke, die alles an Dunkelheit übertraf, einer feindseligen Leere, die der Schein der Fackel nicht zu zerstreuen vermochte.