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Stattdessen schien sie das Licht in sich hineinzusaugen und im Gegenzug nichts dafür preiszugeben. Außerdem weitete sie sich aus - oder kam ganz einfach auf ihn zu. Indy suchte den Gang nach einer erkennbaren Türöffnung, einer Stelle zum Hindurchkriechen oder irgendeinem Ausgang ab, der eine Alternative zu dem bot, was immer sich dort vor ihm befand, und der wütenden und überaus großen Schlange in seinem Rücken. Es gab keine.

Indy wechselte die Fackel in die linke Hand, dann streckte er die Finger seiner rechten Hand aus. Vorsichtig berührte er die Wolke. Seine Hand verschwand in der Leere, doch er hatte überhaupt kein Tastgefühl - er spürte nicht einmal die Finger auf der Handfläche, als er seine Hand zur Faust ballte. Hastig zog er seinen Arm zurück und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass seine Hand noch immer daran hing. Indy warf einen Blick hinter sich, dann sah er sich abermals im leeren Korridor um. Von den drei Möglichkeiten, die sich ihm boten, verhießen zwei den sicheren Tod: Er konnte in den unterirdischen Gefilden des Tempels des Hungertodes sterben, oder er würde in den Windungen einer Riesenanaconda zerdrückt werden. Obwohl die dritte Möglichkeit den sicheren Untergang nur vermuten ließ, statt ihn sicher zu versprechen, zögerte er mit seiner Entscheidung. Als die Wolke jedoch dazu überging, ihn mit ihren feinen Ranken einzuhüllen, wurde seine Fackel dunkler und begann schließlich zu flackern. Aus Angst, wie die Flamme zu ersticken, wenn er sich nicht entschlossen durch die Wolke auf die andere Seite zwängte, hielt er den Atem an und stürzte sich hinein. Er fand sich im Sonnenschein wieder. Ich muss mir den Kopf heftiger gestoßen haben, als ich dachte, sagte Indy bei sich, während er sich den Nacken

rieb und die Augen gegen die gleißende Helligkeit des Tageslichts zusammenkniff. Dann schloss er die Augen und schlug sie abermals auf.

Als seine Augen sich allmählich an die Helligkeit gewöhnten, traten um ihn herum die Umrisse der Stadt Cozan hervor. Indy kniete auf der untersten Stufe des Schlangentempels. In den nahen Bäumen wimmelte es von Vögeln und Affen, und irgendwo knurrte ein Jaguar.

Nur waren dies nicht die Ruinen jener Stadt, die Indy sich erinnerte entdeckt zu haben - dies war eine lebendige Metropole, die sich noch dazu in ihrem frühen Stadium befand. Die Straßen waren voller Menschen, die sich in den Schatten jener Gebäude bewegten, die Indy lediglich als Geröllhaufen inmitten des alles überwuchernden Dschungels kannte. Bei den Gebäuden handelte es sich um prachtvolle Kalksteinmonumente, abgesetzt mit Grün und Terrakotta. Die Anzahl der Gebäude war jedoch geringer, als die Ruinen des gegenwärtigen Cozan vermuten ließen. In seinem Rücken befand sich der Tempel der Schlange, doch er war kleiner - er war erheblich niedriger und wies weniger Schichten auf als in seiner Erinnerung.

Indy kletterte vom Tempel hinunter auf die breiten Steinplatten der geschäftigen Hauptverkehrsstraße. Obwohl er die Menschen, die an ihm vorübergingen, unverhohlen angaffte - stämmige, braunhäutige Menschen, die größtenteils mit aus Fasern der mexikanischen Agave hergestellten Gewändern bekleidet waren -schien kein Einziger von ihnen Indys Starren auch nur zu bemerken.

Viele von ihnen erhandelten an den strohgedeckten Ständen zu beiden Seiten der Straße hastig etwas Mais, Obst oder Spießbraten, während andere nervös irgendeines Ereignisses zu harren schienen. Ab und zu blickten sie kurz in den Himmel oder auf ihre kürzer werdenden Schatten auf den Steinplatten, mit demselben Gesichtsausdruck, mit

dem ein Geschäftsmann auf der Wallstreet auf seine Armbanduhr sieht.

Die Sonne stand fast im Zenit.

Welches Ereignis auch erwartet wurde, es war offenkundig, dass es genau um Mittag stattfinden würde. Obwohl man hier in Britisch Honduras erwartete, Mayas anzutreffen, überlegte Indy, besaßen diese Menschen die schärfer geschnittenen Gesichtszüge der Azteken Zentralmexikos. Und doch war von den unverkennbaren Merkmalen aztekischer Kultur nichts zu sehen. Indy war außer Stande, ihre Sprache zu identifizieren, er wusste jedoch, dass es sich nicht um Nahuatl, die Sprache der Azteken, handelte. Das vorherrschende Merkmal der Schriftzeichen, die die cozanischen Bauwerke zierten, bestand in einer stilisierten, sich nach rechts auflösenden Spirale; möglicherweise handelte es sich um eine Darstellung der Schneckenmuschel, überlegte Indy, oder vielleicht eines Sterns oder Kometen. Über die Geschichte Cozans war nichts bekannt, außer dass es einst eine bedeutende Stadt gewesen sein musste, die jedoch wegen irgendeines verhängnisvollen Vorfalls aufgegeben worden war, und selbst das hatte man lediglich aus irgendwelchen Volkserzählungen geschlossen. Bevor er die Stadt eigenhändig gefunden hatte, war selbst Indy nicht von ihrer Existenz überzeugt gewesen.

Der Name der Stadt, Cozan, war der Übersetzung einer nahezu unverständlichen Maya-Redewendung entlehnt, in der das spanische Wort für Herz, corazon, eine wichtige Rolle spielte. Manchmal wurde sie als del mal corazon oder herzlos wiedergegeben, dann wieder schien sich der Mayaname für die untergegangene Stadt gegen jeden Versuch einer Übersetzung zu sperren, am nächsten jedoch kam vermutlich noch >Herz des Bösen<.

Die Krieger, die allgegenwärtig zu sein schienen, trugen Klingen aus Obsidian in ihren Gürteln und über ihren

Schultern hingen gefährlich aussehende, aus Eichenstäben hergestellte Wurfstöcke. Zu zweit schlenderten sie die Prachtstraße entlang und blieben gelegentlich stehen, um einen Händler oder Bürger zu ermahnen, ihre Geschäfte abzuschließen, da die Zeremonie jeden Augenblick beginnen konnte. Die Klassenunterschiede gingen weit über die von Bürgern und Kriegern hinaus, wie Indy feststellte. Es existierte eine weitere Klasse, die wenigstens ein Drittel der Bevölkerung ausmachte. Ihre Gesichter waren mit blauem Puder bestäubt, was ihnen das Aussehen von Geistern verlieh, die ihren Herren und Herrinnen auf Schritt und Tritt folgten. Ihre Augen wirkten leer, bar jeder Hoffnung, und Indy glaubte auch zu wissen, warum: Blau war die Farbe des Opferrituals.

Indy hatte schon des Öfteren mit den Überresten der Opfer solcher Rituale zu tun gehabt, und sie alle schienen sich, mit wenigen Ausnahmen, freiwillig zum Wohle der Gemeinschaft unterworfen zu haben, oftmals nachdem man sie über eine Periode von etwa einem Jahr wie Helden behandelt und als Mitglieder der königlichen Familie geachtet hatte. Selbst wenn ihre Hände hinter dem Rücken gefesselt waren oder man eine Schlinge um ihre Nackenwirbel geschlungen fand, stets sprach einiges dafür, dass sie sich aus freien Stücken unterworfen hatten und nicht ermordet worden waren. Diese Sklaven, offenkundig im Krieg erbeutet, sahen ihrem Beitrag zum großen Gefüge des Lebens allerdings nicht mit Freude entgegen.

»Entschuldigen Sie«, sagte Indy, von einem Bürger zum anderen gehend. »Verzeihen Sie, hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit?« Offenbar konnte niemand ihn sehen oder hören. Als Indy die Hand ausstreckte, um einen vorübergehenden Krieger zu berühren, schreckte der Mann zurück, als

wäre er dort, wo Indys Finger seinen Arm gestreift hatten, gestochen worden. Überzeugt, von einem Insekt gebissen worden zu sein, schwenkte er eine Hand vor seinem Gesicht und setzte seinen Weg fort.

Schließlich räumte die Menschenmenge, auf das Erschallen einer Schneckenmuscheltrompete hin, die Straßenmitte und stellte sich zu beiden Seiten auf. Die blaugesichtigen Sklaven fielen auf die Knie und senkten ihre Stirn zum Boden. Die Krieger nahmen Haltung an, die obsidianbestückten Speere einsatzbereit. Ein Schamane näherte sich der Pyramide in gebückter Haltung, mit einem Zweig die Straße fegend. In der anderen Hand hielt er eine aus einem menschlichen Schienbein gefertigte Keule, an deren Ende ein glatt polierter Flusskiesel befestigt war. Er war, bis auf einen Lendenschurz, nackt und kunstvoll mit den von Gott gegebenen rechtsdrehenden Spiralen tätowiert, die Indy bereits auf den Skulpturen angetroffen hatte. Er trug eine Furcht einflößende Maske, die aus der Vorderhälfte eines menschlichen Schädels gefertigt und mit Jade und Obsidian verziert war. Aus Stirn und Nasenhöhle ragten, dem Horn eines Rhinozeros gleich, zwei garstig aussehende Steinspitzen. Immer wieder ging dieses Monstrum, unter dem sich ein Mensch verbarg, bedrohlich die Keule schwingend auf die entsetzte Menschenmenge los und scheuchte sie zurück. Welchen Gott des Todes und der Zerstörung dieser Kerl auch darstellen mochte, die Bürger waren offensichtlich der Ansicht, entschied Indy, dass er es absolut ernst meinte.