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Indy tippte ihn auf die Schulter und sah zu seinem Entzücken, wie der Medizinmann zurückzuckte, erschrocken über die offenkundige Manifestation echter Magie. Voller Ingrimm drohte er mit seiner Keule in Indys Richtung, setzte aber seinen Weg zum Tempel fort. Dem Schamanen folgte eine geschlossene Front aus

Priestern, bekleidet mit terrakotta und grün eingefärbten und mit den cozanischen Spiralen verzierten Baumwollgewändern. Der in der Mitte gehende Priester trug eine hutschachtelgroße Eichenkiste in den Armen.

Hinter den Priestern, auf einer von Sklaven getragenen Sänfte, folgte eine Frau von bemerkenswerter Schönheit. Sie war in ein schlichtes Baumwollgewand gehüllt und trug weder Schmuck noch irgendein anderes Zeichen von Rang oder Machtbefugnis. Sie war hoch gewachsen, vielleicht ein Meter achtzig, und die Muskeln ihrer nackten Arme und Waden ließen auf einen athletischen Körperbau schließen. Wegen ihres glatten schwarzen Haars, ihres breiten Gesichts und ihrer klaren Augen erinnerte sie Indy an einen Jaguar.

Ihre Augen schienen sich zu begegnen, als die Sänfte vorüberwankte.

Einen Augenblick lang war Indy sicher, dass sie ihn wahrgenommen hatte. Ein Ausdruck von Verwirrtheit und Bestürzung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab, sie richtete sich auf und blickte über ihre Schulter auf jene Stelle, wo der Fremde eben noch gestanden hatte. Diesmal jedoch wanderten ihre Augen suchend über die Menge hinweg, ohne ihn zu sehen. Hinter der Sänfte humpelte, getrieben von einem Trupp Soldaten, ein halbes Dutzend blaugesichtiger Sklaven. Die Sklaven waren beiderlei Geschlechts, jung und alt, und ihre Füße waren mit einem Strick gefesselt, gerade lang genug, sodass sie gehen konnten, mehr jedoch nicht. Als sie vorüberschlurften, bewarf die Menge sie mit Abfall und überschüttete sie mit Schmähungen. Die anwesenden Kinder wurden ermutigt, loszustürzen und mit Stöcken auf die Sklaven einzuschlagen. Sie taten dies voller Schadenfreude, anschließend rannten sie zurück und suchten hinter den Beinen ihrer Mütter Schutz.

Als die Prozession die unterste Stufe der Pyramide erreicht hatte, wurde die Sänfte behutsam auf dem Boden abgesetzt. Die Königin stieg mit der Eleganz und Behändigkeit einer großen Katze von ihrem Thron herab und ging daran, die Stufen zu erklimmen. Die Priester und anderen Personen folgten ihr, und schließlich drängte die übrige Bewohnerschaft auf die Pyramide. Indy folgte dem Menschenstrom die Flanke der Pyramide hinauf und fand, als er den Gipfel erreichte, dort zu seiner Überraschung nicht etwa einen Tempel vor, sondern eine nach innen gewölbte Fläche, in der sich ein heiliger Brunnen befand. Über zwanzig oder dreißig Jahrhunderte hinweg würde die Pyramide Schicht um Schicht aufgestockt werden, und aus dieser Stelle würde das unterirdische Becken auf der Sohle des Schlangentempels entstehen. Der Hohepriester stellte die mitgeführte Holzkiste auf einen steinernen Altar und entnahm ihr den Kristallschädel. Er sah so glatt poliert aus wie an jenem Tag, als Indy ihn gefunden hatte. Der Priester hielt den Schädel in die Höhe, und die Menge wandte die Augen ab, als sich daraufhin das Sonnenlicht in den Prismen hinter den Augenhöhlen brach und als schillernde Regenbogen aus Licht über ihren Köpfen tanzten. Allein die Königin -und natürlich Indy - sahen nicht fort. Dann hob der Priester an zu einem rituellen Sprechgesang, und Indy vermutete, dass er die Geschichte des Schädels vortrug. Der Schamane mit der Totenschädelmaske verfiel in eine Pantomime. Obwohl Indy kein einziges Wort der Ansprache verstand, vermutete er aufgrund der schauspielerischen Darbietung, dass auch sie den Schädel einst im Dschungel gefunden hatten, vielleicht auf dem Grund eines heiligen Brunnens oder einer Höhle, in der die Gebeine unermesslich alter Menschenopfer verstreut umherlagen. Seit jener Zeit war der Schädel offenbar zur Staatsreligion geworden, einer Religion, die sich auf Krieg und Eroberung gründete -

sowie auf einen unstillbaren Hunger nach Menschenopfern. Faschisten, sagte Indy bei sich. Ich kann diese Kerle nicht ausstehen.

Als der Priester seinen Vortrag beendet hatte, entfernte einer der anderen Priester die hölzerne Kiste, und man legte den Kristallschädel auf den Steinaltar, von wo aus er aufgeklappten Kiefers staunend über das heilige Becken hinwegzublicken schien. Als der Hohepriester einen heiligen Sprechgesang anstimmte, watete die Königin mit ausgebreiteten Armen in das Becken hinein. Ihr Baumwollkleid umwirbelte ihren Körper. Als sie schließlich bis zur Brust im Wasser stand, blieb sie stehen und legte ihre Hände auf den Kopf. Im Wasser rings um sie bewegte sich etwas. Ein Anacondapärchen wand sich um ihren Oberkörper und hob die Köpfe aus dem Wasser. Es waren, für Anacondas, keine übermäßig großen Schlangen - sie maßen vielleicht vier oder fünf Meter - dennoch erwartete Indy, jeden Augenblick das Zerbersten ihres Brustkorbs zu hören, wenn die Schlangen ihr das Leben aus dem Körper pressten. Stattdessen umschmeichelten die Schlangen den Oberkörper der Königin wie ein paar zahme Katzen. Der Mund der Königin erschlaffte, und ihre Lider flatterten in religiöser Ekstase.

Schließlich ließen die Schlangen von ihr ab und begaben sich stattdessen zum Rand des Beckens, wo die Sklavenopfer neben den Obsidianklingen der Krieger knieten. »He!«, rief Indy und ging näher heran. »Steht auf! Verschwindet! Versucht doch wenigstens zu fliehen!« Indy zog den Webley, nahm den Kopf der größeren der beiden Schlangen sorgfältig ins Visier und feuerte. Der Webley bellte, doch die Kugel richtete keinerlei Schaden an. Er feuerte die übrigen in der Trommel verbliebenen Pat-

ronen ab, doch man sah, als Beweis, dass überhaupt eine Kugel abgefeuert worden war, nicht einmal das Wasser hinter den Schlangen aufspritzen.

Als Erstes machten sich die Schlangen über das am nächsten hockende Opfer her. Sie schlitterten an seinen Beinen hinauf, schlangen sich um seinen Unterleib und begannen, während es vor Angst zitterte, ihm das Leben aus dem Leib zu pressen. Als sie mit ihm fertig waren, wälzten sie es in den Xenote, das heilige Becken. Dann krochen sie zum Nächsten in der Reihe und gingen daran, den Vorgang zu wiederholen. »Kämpft doch!«, rief Indy. »Wieso wehrt ihr euch nicht!« Eine der Sklavinnen in der Mitte der Opferreihe, eine kräftig gebaute junge Frau, deren Lippen von einer noch nicht lange zurückliegenden Züchtigung immer noch geschwollen waren, hielt den Kopf gesenkt, verfolgte das Näherkommen der Schlangen aber hinter halb geschlossenen Lidern. Indy sah sie tief Luft holen, sah, wie sich die Muskeln an Armen und Beinen spannten, und rief ihr hilflos Ermutigungen zu, als sie sich plötzlich umdrehte und dem sie bewachenden Krieger ein Knie in den Unterleib rammte.

Der Soldat rang nach Atem, und die junge Sklavin entwand den Obsidianspeer aus seinem Griff. In einer einzigen beidhändigen Bewegung riss sie die Klinge hoch, schlitzte ihm die Kehle auf und enthauptete ihn fast dabei. Als die Leiche des Wächters zu Boden sank, stieß sie ein derart alarmierendes Kriegsgeschrei aus, dass die Vögel in den umstehenden Bäumen die Flucht ergriffen. Sie zerschnitt die Stricke, mit denen sie an den Knöcheln gefesselt war. Doch statt die Stufen der Pyramide hinunter in die Freiheit zu fliehen, drehte sie sich zum Hohepriester um. Sie rammte ihm die Klinge in den Leib, dann sprang sie in den Xenote und ruderte wie von Sinnen plantschend auf die Königin zu. Obwohl die Sonne mittlerweile von einer Wolke verdeckt wurde, gleißte der Kristallschädel grimmiger als je zuvor.