»Ein wunderschönes Stück«, meinte Indy. »Wie ich schon sagte, oft sind die alten Methoden die besten«, fuhr Sokai fort, während er den Gegenstand aus der Kiste nahm. Dort wo er über Augen, Ohren und Mund zu liegen kommen würde, ragten dicke Schrauben hervor. Die beiden Hälften wurden mittels eines Stifts geschlossen, den man von oben durch die Öse führte. Sokai zog den Stift heraus und klappte die Hälften auseinander, sodass die korkenzieherähnlichen Dorne im Innern sichtbar wurden. Sie waren schwarz und mit getrocknetem Blut überkrustet.
»Und das beabsichtigen Sie bei mir zu benutzen?«
»Wenn ich dazu gezwungen werde«, erwiderte Sokai. »Aber ich hoffe, so weit wird es nicht kommen.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.«
»Überaus komisch«, sagte Sokai. »Und sehr mutig, angesichts des Umstandes, dass Sie nacheinander Ihres Gehörs, der Sprechfähigkeit und des Augenlichts beraubt werden sollen. Ah,wie ich sehe, habe ich jetzt Ihre Aufmerksamkeit. Es funktioniert wie folgt - zuerst wird ein Ohr zerstört, dann das andere. Dann wird die Zunge zerquetscht. Zu guter Letzt, da die meisten von uns das Augenlicht mehr als alles andere schätzen, wird Ihnen ein Auge genommen, und danach folgt die große Dunkelheit. Aber lassen Sie nicht alle Hoffnung fahren. Die meisten Nüsse brechen, bevor es so weit kommt.
Sokai betrachtete Indy voller Mitgefühl.
»Oder aber Sie können all diesen Unannehmlichkeiten aus dem Weg gehen und mir einfach die Geheimnisse von Qins Grabmal anvertrauen«, fuhr Sokai fort. »Vor allem interessiert mich, wie man lebend hinein- und wieder herauskommt, was Ihnen ja offenbar gelungen ist.«
»Sie können mich mal.«
Sokai rief seine Fliegerkollegen. Als sie hereinkamen, redete er mit ihnen leise auf Japanisch.
»Hai", antworteten beide und machten eine knappe Verbeugung, dann gingen sie an die Arbeit. Sie packten Indys Hände, bogen sie hinter seinen Rücken und versuchten, seine Handgelenke aneinander zu legen, um ihn mit einem Strick fesseln zu können.
»Was ist?«, herrschte Sokai sie an, als es ihnen nicht gelang, Indys Handgelenke aneinander zu legen.
»Der gaijin ist sehr stark«, beschwerte sich Leutnant Musashi.
»Wie stark kann er schon sein?«, schnaubte Sokai verächtlich. »Er ist zwanzig Jahre älter als Sie und hat seit nahezu einer Woche nur Gefängniskost bekommen.«
»Jawohl, Sokai Sensei«, gab sie zurück. »Wir werden uns noch größere Mühe geben.«
Im Verlauf der Rangelei wurde dem weiblichen Leutnant die ütze vom Kopf gestoßen, woraufhin darunter ein Schwall eidigschwarzen Haars zum Vorschein kam.
»Warum machen Sie ein so überraschtes Gesicht?«, erkundigte sich Sokai. »Fanden Sie nicht, dass die Gesichtszüge des Leutnants übertrieben fein waren und die Stimme ein wenig zu feminin?«
»Dass sie eine Frau ist, wusste ich«, erwiderte Indy. »Aber nicht, dass sie so schön ist.«
Daraufhin schnippte Sokai mit den Fingern.
Stabsoffizier Miyamoto schlug Indy mit der Faust gegen den Hinterkopf, so fest, dass Indy Sterne sah. Er stieß Indy auf einen Stuhl, packte mit jeder Hand ein Handgelenk und bog sie ächzend zusammen, während der weibliche Leutnant sie mit einem Strick
fesselte.
»Gut«, sagte Sokai und trat näher. »Halten Sie seinen Kopf fest.«
Er klappte den Nussknacker weit auseinander, schraubte die Dorne heraus und arretierte ihn fest über Indys Kopf, während die anderen ihn hielten. Indy leistete Widerstand, bis der Helm geschlossen war. Er spürte, wie die Spitzen der Dorne an seinen Lidern, Ohren und der Unterlippe kratzten, sobald er nur die geringste Bewegung machte. Die einzige Richtung, in die er seinen Kopf bewegen konnte, wie er bald
herausfand, war nach hinten.
»Das hätten wir«, meinte Sokai. »Alles erledigt. Fühlen Sie sich wohl, Dr. Jones?«
»Nein«, murmelte Indy.
»Natürlich nicht! Wer würde das schon?«
Die Soldaten traten zurück, während Sokai sich hinter den Stuhl stellte und eine Hand auf den Griff legte, mit dem der Dorn über dem rechten Ohr hineingeschraubt wurde. Sokai begann, den Griff langsam zu drehen.
»So fängt es an«, erläuterte Sokai. »Das Vorgefühl so zahlreicher, überflüssiger Schmerzen. Das Geräusch der sich drehenden Schraube so dicht an Ihrem Ohr, gefolgt vom Gefühl des Doms, wenn er Ihre Ohrmuschel berührt -sehen Sie, Sie sind zusammengezuckt. Sie müssen es gespürt haben - und dann die entsetzlich quälenden Sekunden, während er in den Gehörgang eindringt und sich der zarten Membran des Trommelfells nähert.
Und wenn das Trommelfell reißt, gewahrt man einen spitzen Schmerz sowie ein lautes Dröhnen - ironischerweise in einem Ohr, dessen Hörvermögen soeben für immer erloschen ist.«
»Sie genießen das zu sehr«, versuchte Indy hervorzubringen, ohne sich die Lippe zu durchstoßen oder den Dorn noch tiefer in sein Ohr zu bohren, doch es kam nur etwas Unverständliches heraus.
»Tut mir Leid«, meinte Sokai. »Sie hatten Ihre Chance, sich zu -« Indy trat zu und erwischte mit der Spitze seines rechten Stiefels die Kante der Sitzbank. Die Bank kippte, schlug krachend mit einer Ecke gegen die Lampe, zertrümmerte den Glaskolben, brachte die Flamme zum Erlöschen und besprenkelte den Raum mit Kerosin.
Im Zimmer wurde es dunkel.
Indy warf sich nach hinten, und als der Stuhl mit ihm darauf kippte, traf die Rückseite des Helms Sokai in die Brust. Das trieb ihm den Atem aus den Lungen, und er ging keuchend zu Boden.
Indy empfand ein schmerzhaftes Klingen in seinem rechten Ohr und spürte, wie ihm Blut den Hals hinunterrann, doch er zwang sich, in Bewegung zu bleiben. Er befreite seine Arme von der Stuhllehne, kam auf die Knie, zog das Kinn auf die Brust und schüttelte dabei den Kopf. Der Stift rutschte aus der Öse, und der Helm landete scheppernd auf dem Boden.
Die Soldaten riefen in der Dunkelheit nach ihrem Meister. Das Luftholen bereitete Sokai noch immer Mühe, trotzdem hielt er die Hände tastend ausgestreckt.
Indy rappelte sich auf. Er begab sich rückwärts zur Wand, damit er mit seinen noch immer gefesselten Händen tasten konnte, und suchte hektisch nach der Tür.
Sokai bekam im Dunkeln Indys Bein zu fassen.
Indy versuchte, sich mit einem Tritt von ihm zu befreien, doch ohne Erfolg. Dann riss in dem Gerangel der Strick, der seine Hände fesselte, und er schlug blindlings in die Richtung, wo er Sokais Gesicht vermutete. Er wurde mit dem Klatschen von Knöcheln auf Fleisch belohnt.
Doch Sokai gab nicht auf. Er fing einen von Indys Schlägen mit den Händen ab, verdrehte ihm das Handgelenk, fixierte gekonnt seinen Ellbogen und zwang ihn zu Boden. Das Gesicht auf den Fußboden gepresst und Sokai über sich, hatte Indy nicht genügend Bewegungsfreiheit mit der rechten Hand, um sich zu verteidigen.Dann bekam seine umhertastende Rechte ein Stück des abgebrochenen Stuhlbeins zu fassen. Indy holte mit dem Holzstück zu einem heftigen Schwinger aus, und die Verlängerung reichte gerade, um seinen Widersacher am Kinn zu treffen. Sokais Kopf schnellte zurück, er entließ Indy aus seinem Haltegriff und wankte einen Augenblick,, bevor er nach vorne kippte - in die offene Vorderhälfte des auf dem Boden liegenden Nussknackers. Indy konnte nicht sehen, was geschah, doch das Geräusch dabei schockierte ihn, ein feuchtes, hohles Geräusch, wie es entsteht, wenn man einen Eispickel in eine Wassermelone sticht. Leutnant Musashi war das Geräusch ebenfalls bekannt. »Ich bin geblendet«, stellte Sokai nüchtern fest, als wären es die Augen eines anderen, die von einem rostigen Metalldorn aufgespießt worden waren.