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Sie hielt inne, um der Dolmetscherin Gelegenheit zu geben,nachzukommen.

Indy bemerkte, dass rings um den Platz immer mehr Soldaten eintrafen. Er zwängte sich tiefer in die Menschenmenge, Richtung Bühne.

»Mein Name ist Faye Maskelyne, und wir gehören der berühmtesten Magierfamilie der Welt an. Diejenigen unter Ihnen, die bereits Gelegenheit hatten, die schöne Stadt London zu besuchen, werden gewiss von unserer Berühmtheit gehört haben, und diejenigen unter Ihnen, denen dieses Vergnügen noch nicht vergönnt war, werden heute Abend einige unserer hervorragendsten illusionistischen Darbietungen zu sehen bekommen. Warum aber, werden Sie sich vielleicht fragen, bereisen eine Meisterin der Magie und ihre tüchtige Gehilfin für wenig Geld weit entlegene Orte, wenn sie in ihrer angestammten Heimat Reichtum und unsterblichen Ruhm erlangen könnten?«

Mit den letzten Ausführungen hatte die Dolmetscherin ein wenig Mühe.

»Ich werde es Ihnen erklären«, fuhr Faye fort. »Die Antwort liegt in der Fotografie begründet, die Mystery in ihrem Korb umherträgt. Sehen Sie sie sich gut an, meine Freunde, und sagen Sie ihr, ob Sie diesen Mann gesehen haben. Er ist das Ziel unserer Suche. Sein Name ist Kaspar Maskelyne, er ist Mysterys Vater. Und natürlich auch mein Ehemann.« Mittlerweile hatten die Japaner den Platz umstellt. Leutnant Musashi kletterte umständlich auf die Motorhaube eines Lastwagens, um einen besseren Überblick zu haben. Sie trug ihr Haar noch immer offen und dirigierte die Suche mit Sokais blankgezogenem Schwert.

»Vor vier Jahren traf Kaspar Maskelyne im geheimnisvollen Osten ein, um nach einem Buch mit Geheimwissen zu suchen, von dem ein arabischer Gelehrter aus alter Zeit, Ibn Battuta, berichtet.« Faye schnippte mit den Fingern, und ein Buch tanzte hoch über den Köpfen der Menge. »Dieses Buch - das sagenumwobene Omega-Buch - enthält einen vollständigen Bericht über das Leben jeder einzelnen Seele, die je auf Erden leben wird, sowie sämtliche Geheimnisse der Natur. Alle Religionen beziehen sich darauf. Es gibt noch andere Namen dafür, dennoch handelt es sich stets um dasselbe Buch. Und gefunden werden kann es nur mit Hilfe von Aarons Stab.« Faye schnippte abermals mit den Fingern, und das Buch verschwand. Gleichzeitig erschien, inmitten einer Wolke aus Rauch, ein Stab auf der Bühne. Um den Stab wand sich eine Schlange.

»Eben jener Stab, den Moses vor den Magiern des Pharao in eine Schlange verwandelte, der die Pest über Ägypten brachte und das Rote Meer teilte. Der ureigene Stab der Magier!« Faye klatschte in die Hände. Die Schlange verschwand, und ein blühender Mandelbaum trat an ihre Stelle. Die Übersetzerin hatte Mühe, Schritt zu halten, und die Menge wirkte verloren.

»Sie haben doch alle schon von Moses gehört, oder?«, fragte Faye. »Von dem Stock, der sich in der Wüste in einen Mandelbaum verwandelt? Na schön, weiter im Programm. Aber den Seiltrick kennen Sie doch alle, oder? Kündige den Seiltrick an, Herrgott nochmal.«

Die Dolmetscherin tat es, woraufhin die Menge anerkennende Laute von sich gab.

Mystery stellte den Korb für die Opfergaben und die Fotografie zu Füßen der Dolmetscherin ab und kehrte auf die Bühne zurück.

»Unser alter Freund Ibn Battuta nannte sich selbst „der Reisende“«, erzählte Faye. »Und das mit gutem Grund, denn 1355 scheute er keine Mühe, den Hof des Großen Khan zu besuchen, und dort geschah es, dass Battuta zum ersten Mal einen Bericht dessen niederschrieb, was zu einem der berühmtesten Kunststücke der Magie wurde - dem Seiltrick.«

Mystery schleppte einen übergroßen Koffer auf die Bühne. Sie öffnete ihn, entnahm ihm einen kleinen Speer und langte erneut hinein, um ein zusammengerolltes Seil herauszuholen. Sie befestigte das Seil am Speerschaft und nahm anschließend damit Aufstellung.

»Manch einer hat im Laufe der Jahrhunderte versucht, das Wunder, das an jenem Abend am Hof des Khan seinen Lauf nahm, zu wiederholen, doch geschafft hat es niemand - bis auf den heutigen Tag. Auf unseren ausgedehnten Reisen haben wir die dafür notwendige Schwarze Magie erlernt und freuen uns, es Ihnen jetzt präsentieren zu können.«

Mystery reichte ihr den Speer.

Faye drehte sich um und schleuderte den Speer in die Luft. Er verschwand in der Dunkelheit. Das Seil folgte, sich aus der Kiste abspulend, bis es schließlich deutlich sichtbar in der Luft hängen blieb.

Ein Aufstöhnen ging durch die Menge.

Die Soldaten bahnten sich unsanft einen Weg durch das Gedränge, nach einem bedächtigen und wohl überlegten Muster, das Indy über kurz oder lang vor der Bühne festnageln würde. Faye bemerkte die sich durch die Menge schiebenden Uniformen, ließ sich jedoch in ihrem Auftritt nicht beirren.

»Dort oben in den Wolken lebt ein Ungeheuer«, verkündete Faye.

»Es bewacht einen unermesslichen Schatz. Es hat geschworen, jeden in Stücke zu reißen, der ihn zu stehlen versucht. Aber du, meine geschmeidige Gehilfin, bist dieser Aufgabe gewachsen.«

Mystery schüttelte energisch den Kopf.

»Hinauf!«, kommandierte sie und deutete theatralisch am Seil entlang nach oben. Mystery wollte nichts davon wissen. Faye schüttelte den Kopf und schaute ins Publikum. Sie zeigte abermals am Seil hinauf und befahl Mystery, hinaufzuklettern.

Die Gehilfin wich zurück.

Faye holte einen Zauberstab aus ihrem Gewand hervor und richtete ihn auf Mystery. Sie murmelte ein paar Worte, die nach Küchenlatein klangen, woraufhin die Gehilfin tat, als werde sie unwiderstehlich zum Seil hingezogen. Sie kletterte in die Kiste, dann packte sie das Seil mit beiden Händen. Langsam begann sie, sich Hand über Hand am Seil hinaufzuhangeln, wobei der Anblick, wie sie sich nach oben zog, noch zusätzlich an Dramatik gewann, weil sie beim Hochziehen ihre Beine nicht benutzte.

»Eine athletische Gehilfin«, murmelte Indy, als er den Kragen hochschlug und sich lässig gegen eines der Waggonräder lehnte. Mittlerweile waren zwei der Soldaten so nahe, dass sie ihn fast berühren konnten.

Faye zielte abermals mit ihrem Zauberstab.

Die Gehilfin verschwand inmitten eines kleinen Rauchwölkchens in der Dunkelheit. Im selben Augenblick tauchte Indy unter den Waggon, zog den Kopf ein und hielt rennend auf die andere Seite zu. Als er dort zum Vorschein kam, wartete bereits ein anderer Soldat auf ihn. Oben rief Faye nach allen Regeln der Kunst nach ihrer Gehilfin, woraufhin Mystery mit entrückter Stimme antwortete. Dann vernahm man die Geräusche eines fürchterlichen Kampfes, man hörte Geschrei und das Zerreißen von Kleidung, und ein paar Fetzen zerlumpter gelber Seide trudelten herab. Viele der Stoff stücke wiesen verdächtig große Blutflecken auf, und Faye hob eines davon auf und betrachtete es traurig. Dann zückte sie ihren Zauberstab und begann, einen Schwall von Hokuspokus aufzusagen, der an Eindringlichkeit zunahm, während sie Kreise mit dem Zauberstab beschrieb.

Unter dem Waggon war es stockfinster. Indy wartete kauernd ab, was die Soldaten unternehmen würden, als jemand gegen ihn stieß. Beide fuhren erschrocken zurück.

»Wer sind Sie denn?«, fragte eine Mädchenstimme.

»Und wer bist du?«, fragte Indy.

»Ich bin die Assistentin«, antwortete Mystery und krabbelte an ihm vorbei. »Hier unten haben Sie nichts verloren. Verschwinden Sie.«

»Ich verstecke mich vor den Schlägern«, sagte Indy.

»Hab ich gesehen«, sagte Mystery, während sie sich zu einer Falltür begab, die aufgeklappt nach unten hing. Sie befand sich genau unterhalb der übergroßen Kiste, aus der auch das Seil stammte. »Tut mir Leid, Mister, aber ich muss die Show zu Ende bringen.«

Der Hokuspokus über ihnen endete.

»Das ist mein Stichwort«, sagte sie, während sie an ihre Position kletterte. »Viel Glück.«

Es gab eine Explosion, den üblichen Rauch, und Mystery sprang völlig wiederhergestellt aus der Kiste.