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«Wieso?«

«Das war alles«, antwortete Marian.»Ich habe ihn auch nicht gefragt. Er hätte mir sowieso nicht geantwortet. «Die letzten Worte hatte sie mit leiser, trauriger Stimme hervorgestoßen, und Indiana widerstand der Versuchung, weiter in sie zu dringen. Er hatte ohnehin die Erfahrung gemacht, daß es sehr wenig Sinn hatte, jemanden mit Gewalt dazu bringen zu wollen, sich zu erinnern. Trotzdem stellte er noch eine letzte Frage.»Kannst du dich noch erinnern, welches Buch es war?«

«Nein«, sagte Marian hilflos.»Es … es hat auf dem Regal neben dem Fenster gestanden, auf dem zweiten oder dritten Brett, glaube ich. «Sie deutete mit der ausgestreckten Hand dorthin, wo das Buch gestanden hatte. Jetzt befand sich dort nur noch eines von zahllosen leeren Regalbrettern.

Indiana seufzte enttäuscht. Eine Sekunde lang tastete sein Blick über den Haufen von Büchern, der vor dem Regal auf dem Boden lag, aber er gab den Gedanken, ihn methodisch zu durchsuchen, beinahe so schnell wieder auf, wie er ihm gekommen war. Wie die meisten seiner Kollegen — und ihn selbst eingeschlossen — hatte Stanley Corda ein eigenes System entwickelt, seine Bücher zu ordnen. Es war völlig sinnlos, in diesem Tohuwabohu nach einem bestimmten Buch zu suchen, einem Buch noch dazu, das Marian wahrscheinlich nicht einmal wiedererkennen würde, wenn sie es selbst in der Hand hielt. Und selbst wenn — Stanley Cordas Spezialgebiet war die südamerikanische Geschichte während und nach der Eroberung durch die Conquistadoren. Wahrscheinlich gab es Hunderte von Büchern in diesem Zimmer, die sich mit den Spaniern befaßten.

«Warum gehst du nicht hinunter in die Küche und siehst nach, ob noch zwei Tassen heilgeblieben sind?«fragte er.»Ich könnte jetzt einen Kaffee vertragen. Ich sehe mich inzwischen hier noch ein bißchen um. Vielleicht finde ich ja doch etwas.«

Marian wandte sich wortlos um, und Indiana sah ihr nach, bis sie auf der Treppe verschwunden war. Ihm stand der Sinn ganz und gar nicht nach Kaffee, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie am besten mit der Situation fertig wurde, wenn sie sich irgendwie beschäftigte. Und der Anblick dieses verwüsteten Zimmers und der quälende Gedanke daran, was Stan all diese Monate hindurch darin getan haben mochte, würden ihr ganz bestimmt nicht helfen, ihre Fassung zurückzuerlangen.

Und vielleicht fand er ja tatsächlich etwas. Indiana gab sich zwar nicht der Illusion hin, sich nur bücken zu müssen, um plötzlich auf einem Blatt Papier die Antwort auf alle Fragen in der Hand zu halten. Aber er kam bestimmt schon ein gutes Stück weiter, wenn er herausbekam, woran Stan seit seiner Rückkehr aus Bolivien gearbeitet hatte. Und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn ihm das nicht gelänge. Schließlich war auch er Wissenschaftler, noch dazu mit beinahe dem gleichen Fachgebiet wie Corda.

Zum zweiten Mal und sehr viel gründlicher begann er, das Zimmer zu durchsuchen. Er blickte auf und unter Regalbretter, sah unter die Platte von Stans Schreibtisch und zog die Schubladen heraus, um sie herumzudrehen und auch den leeren Raum dahinter abzutasten. Er durchsuchte sämtliche Verstecke, auf die er gekommen wäre und die vor ihm schon Männer gefilzt hatten, die wahrscheinlich sehr viel mehr davon verstanden als er; dann begann er, Stans Aufzeichnungen und Notizen vom Boden aufzuheben und zu drei unordentlichen Stapeln auf der Schreibtischplatte zu türmen. Zuerst sortierte er alles aus, was ihm auf den ersten Blick uninteressant erschien. Indiana war sich allerdings darüber im klaren, daß dieses Auswahlverfahren höchst unsicher war und er möglicherweise gerade das, was er brauchte, mit einem Achselzucken beiseiteschob. Aber jedes einzelne dieser Schriftstücke durchzulesen und nach einem verborgenen Sinn zu suchen, das hätte wahrscheinlich Monate gedauert. Trotzdem blieb noch immer ein erschreckend großer Stapel von Blättern und losen Notizzetteln übrig.

Er hatte gerade den Stuhl aufgerichtet und wollte sich eben daraufsetzen, als er aus dem Erdgeschoß das Klirren von Porzellan hörte. Es war nicht das erstemal — Marian hatte hörbar damit begonnen, die zerbrochenen Tassen und Teller zusammenzufegen —, aber es war lauter, und eine Sekunde später hörte er Marian etwas in erschrockenem Tonfall sagen. Hastig drehte er sich um und machte einen Schritt zur Tür — und blieb ruckartig wieder stehen.

Eine Männerstimme antwortete Marian. Und obwohl Indiana nicht verstehen konnte, was sie sagte, hörte er doch deutlich den drohenden Ton darin. Auf Zehenspitzen schlich er weiter, blieb an der Tür stehen und lauschte gebannt. Er konnte noch immer nicht verstehen, was Marian und der Mann sagten, aber er achtete auch nicht auf die Worte, sondern versuchte, sich an den Geräuschen zu orientieren; er versuchte, herauszubekommen, ob der Mann dort unten allein war, und wenn nicht, wieviele es waren.

Marians Stimme und die des Mannes wurden erregter, dann hörte er schnelle Schritte, die Geräusche eines kurzen Kampfes und dann ein helles Klatschen, dem ein mehr überraschter als schmerzhafter Aufschrei folgte. Einen Augenblick später schrie Marian auf, und er konnte hören, wie ein schwerer Körper zu Boden fiel.

Indiana vergaß seine Vorsicht, stürmte aus dem Zimmer und die Treppe hinab — und blieb nach zwei oder drei Stufen wie angewurzelt stehen.

Er hatte sich geirrt. Entweder war es das, oder die beiden Burschen am unteren Ende der Treppe hatten gewußt, daß er da war, und sich mucksmäuschenstill verhalten. Besonders überrascht wirkten sie jedenfalls nicht. Einer von ihnen — ein wahrer Koloß von Mann mit schwarzem Haar und einem narbigen Gesicht und Muskelpaketen an den Oberarmen, deren bloßer Anblick Indiana schier vor Ehrfurcht erstarren ließ — blickte ihm mit unbewegtem Gesicht entgegen. Der andere — er war kleiner, aber deswegen keineswegs schmächtig — grinste wie ein Honigkuchenpferd und zielte mit einer doppelläufigen Schrotflinte auf Indiana.

«Hallo, Jungs«, sagte Indiana unsicher.

Der Große antwortete nicht. Der Kleinere sagte:»Hallo, Blödmann!«und drückte ab.

Indiana hatte das Gewehr keinen Sekundenbruchteil aus den Augen gelassen und sah, wie sich der Finger um den Abzug krümmte. Im letzten Moment warf er sich zur Seite und zurück.

Der Knall war ohrenbetäubend. Etwas surrte mit dem Geräusch eines zornigen Hornissenschwarmes so dicht an seinem Gesicht vorbei, daß er einen kochendheißen Luftstrom spüren konnte, und schlug ein kopfgroßes Loch in die Tür zu Stans Arbeitszimmer.

Indiana sprang mit einem Satz in den Raum zurück und ließ sich fallen, und im gleichen Augenblick entlud sich die Schrotflinte unten an der Treppe ein zweites Mal und zertrümmerte das Fenster, das der Tür gegenüberlag. Gleichzeitig hörte er ein wütendes Knurren und dann ein Geräusch, als stampfe eine ganze Elefantenherde die Treppe hinauf. Es gehörte nicht besonders viel Fantasie dazu, sich auszumalen, woher dieses Geräusch kam.

Indiana rappelte sich hoch und sah sich verzweifelt nach einem Fluchtweg um. Der Raum hatte keine zweite Tür, und gegen einen gewagten Sprung aus dem Fenster sprachen sowohl die Höhe, in der das Zimmer lag, als auch die scharfkantigen Glasscherben, die noch im Rahmen steckten. Und es gab in diesem Zimmer absolut nichts, was sich als Waffe eignete.

Die Schritte des Riesen ließen das ganze Haus erzittern und näherten sich rasend schnell. Indianas Gedanken überschlugen sich. Er spürte, wie er in Panik zu geraten drohte, und verschwendete eine kostbare Sekunde darauf, sie niederzukämpfen. Er brauchte eine Waffe — irgend etwas, um diese lebende Lawine aus Fleisch und Muskeln zu stoppen! Aber es gab hier nichts, nichts außer –

Ein gehetzter Blick über die Schulter zurück zeigte ihm nicht nur den schwarzhaarigen Riesen, der bereits zwei Drittel der Treppe zurückgelegt hatte, sondern auch die Tür. Außer daß ein Loch von der Größe eines Medizinballes in ihr oberes Drittel geschlagen war, hatte die Schrotladung sie auch halb aus den Angeln gerissen, so daß sie nur wie durch ein Wunder noch nicht umgefallen war. Die Idee, die ihm gekommen war, schien ihm selbst völlig verrückt, aber außergewöhnliche Situationen erforderten nun einmal außergewöhnliche Einfalle.