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Als er die Straße überquerte, spürte er die vielen Blicke, die ihm folgten. Niemand sprach ihn an oder hielt ihn auf, aber direkt neben der Tür des schäbigen Ladens, den er ansteuerte, standen zwei furchteinflößend aussehende Gestalten, deren Blicke ihn regelrecht durchleuchteten und die ihn — und vor allem den Inhalt seiner Taschen — binnen Sekunden bis auf den letzten Heller taxierten. Das Ergebnis, zu dem sie kamen, schien sie nicht zu befriedigen, denn sie ließen ihn unbehelligt passieren, wandten sich dafür aber seinem Wagen zu und musterten nun diesen. Aber Indiana glaubte nicht, daß sie sich daran vergreifen würden. Der Wagen war so alt, daß er fast nur noch von Rost und den Gebeten seines Besitzers zusammengehalten wurde, und man sah ihm das deutlich an.

Vor der Tür des Ladens blieb er stehen und musterte einen Moment lang die Auslagen. Sehr viel gab es nicht zu sehen — hinter der blind gewordenen Scheibe prangte ein gewaltiges Scherengitter, das nichts anderes als ein vierteiliges Teeservice aus imitiertem Gold, bei dem das Sahnekännchen fehlte, und eine Handvoll falschen Schmuck beschützte. Indiana streckte die Hand nach der Klinke aus und betrat unter dem Bimmeln einer kleinen Glocke, die über der Tür angebracht war, den Laden.

Drinnen war es überraschend kalt und so dunkel, daß Indiana im ersten Moment überhaupt nichts sah außer Schatten. In der Luft hing ein Gemisch aus Moder und Desinfektionsgeruch. Der Laden war winzig. Und als sich Indianas Augen nach einigen Momenten an die Dämmerung gewöhnt hatten und er sah, daß er weder Regale noch Auslagen enthielt, sondern nichts als eine über die ganze Breite des Raumes reichende Theke, die von einem weiteren geschmiedeten Gitter abgeschirmt wurde, da begriff er schließlich, wo er war und wieso er sich an keinen Antiquitätenhändler namens Rogers erinnern konnte. Er befand sich in einem Pfandleihhaus.

In dem eisernen Gitter über der Theke öffnete sich eine winzige Klappe, und ein schmales, von roten Pusteln entstelltes Gesicht mit gierigen Augen blickte Indiana an.»Bitte?«

Indiana räusperte sich gekünstelt, warf einen Blick über die Schulter zurück, wie um sich davon zu überzeugen, daß ihm auch niemand gefolgt war, und trat näher an den Tresen heran.»Mr. Rogers?«

«Der bin ich«, antwortete der Mann hinter dem Gitter.»Was kann ich für Sie tun? Wollen Sie etwas versetzen oder kaufen?«

«Weder — noch«, antwortete Indiana. Erneut sah er sich um, und ihm war klar, daß seine Nervosität Rogers irgendwann auffallen mußte. Aber das war ja beabsichtigt.

«Ich komme nicht als Kunde«, sagte er.»Jedenfalls nicht direkt.«

Rogers sah ihn fragend, aber mit deutlich mehr Mißtrauen als bisher an und schwieg.

Indiana beschloß, aufs Ganze zu gehen.»Professor Corda schickt mich«, sagte er.

Rogers sagte noch immer nichts, aber die Reaktion auf seinem Gesicht bewies Indiana, daß er ins Schwarze getroffen hatte.»Es geht um die letzte Lieferung«, fuhr Indiana fort.

«Was für eine Lieferung?«fragte Rogers.»Wovon reden Sie überhaupt, Mann? Ich kenne Sie nicht. Und ich habe niemals von einem Professor Corda gehört.«

«Tatsächlich?«fragte Indiana.»Dann muß ich mich wohl getäuscht haben. Ich werde Stanley sagen, daß er mir wohl versehentlich die falsche Adresse genannt hat. Aber falls Sie Ärger mit einem Ihrer Kunden bekommen, Rogers, dann beschweren Sie sich nicht bei mir oder Stan.«

Er drehte sich auf dem Absatz herum und ging mit raschen Schritten zur Tür. Er hatte sie fast erreicht und begann schon zu befürchten, daß er es etwas übertrieben hatte, als Rogers ihn zurückrief.

«Warten Sie!«

Indiana blieb stehen, drehte sich provozierend langsam herum und sah, wie Rogers eine Klappe in seinem Tresen öffnete und mit mühsamen Bewegungen auf ihn zugeschlurft kam. Er zog das rechte Bein nach, und auch mit seinem rechten Arm schien etwas nicht zu stimmen, der Art nach zu schließen, in der er ihn hielt.

«Was haben Sie damit gemeint — wenn ich Ärger mit einem meiner Kunden bekomme?«

Indiana zuckte mit den Schultern.»Nichts. Ich muß mich geirrt haben. Bitte entschuldigen Sie die Störung.«

Er drehte sich wieder zur Tür, und Rogers ergriff ihn grob an der Schulter und zerrte ihn zurück. Indiana wandte sich langsam zu ihm um, blickte eine Sekunde lang auf Rogers’ Hand herab, und der kleine Mann mit dem blassen, pickeligen Gesicht zog seinen Arm hastig zurück.

«Okay, okay«, sagte er.»Sie sind richtig hier. Schließlich muß man vorsichtig sein, nicht wahr? Ich kenne Sie nicht. Was ist mit der letzten Lieferung?«

«Vielleicht nichts«, antwortete Indiana.»Aber vielleicht doch. Haben Sie sie noch hier?«

Wieder blitzte es in Rogers’ Augen mißtrauisch auf.»Warum?«

«Ich muß sie sehen«, antwortete Indiana.»Es kann sein, daß eines der Stücke falsch ist.«

«Falsch?«Rogers’ Gesicht verdüsterte sich vor Zorn.»Corda hat — «

«Ich sagte, es kann sein«, unterbrach ihn Indiana scharf.»Es ist möglich, daß man uns hereingelegt hat.«

«Ihr habt mich betrogen«, sagte Rogers lauernd. Seine Augen wurden noch kleiner, als sie ohnehin waren.»Ihr — «

«Ich wäre kaum hier, wenn wir das wollten«, sagte Indiana ruhig.»Im Gegenteil. Stanley war sehr zufrieden mit den Geschäften, die er mit Ihnen gemacht hat. Er hat vielleicht noch mehr für Sie.«

«Das klang bei unserem letzten Gespräch aber etwas anders«, sagte Rogers.

Indiana zuckte mit den Schultern.»Mißverständnisse kommen vor. Er hat mich extra hergeschickt, um das Schlimmste zu verhindern. Ist die Ware noch hier?«

Wieder zögerte Rogers, und Indiana begann bereits zu befürchten, daß er es nun doch übertrieben hatte. Aber dann nickte der Alte widerwillig, machte eine Geste zu Indiana, er solle ihm folgen, und schlurfte zu seiner Theke zurück.

Der Raum dahinter war wesentlich größer als der davor, aber bis unter die Decke vollgestopft mit Regalen voller Kisten und Kartons, Radiogeräte, Schmuckstücke, Uhren, Werkzeuge, Waffen, Musikinstrumente … der übliche Kram eben, der sich in einem Pfandleihhaus im Laufe der Zeit ansammelt. Indiana vermutete, daß das meiste davon ohnehin gestohlen war.

Rogers führte ihn in ein angrenzendes Zimmer, dessen Tür mit einem überdimensionalen Schloß gesichert war. Es war überraschend aufgeräumt und enthielt im Grunde nichts außer einem kleinen Schreibtisch, zwei Stühlen und einem alten, aber äußerst massiv aussehenden Safe. Rogers ging zu diesem Geldschrank und sah Indiana abwartend an, bis der verstand und sich diskret zur Seite drehte, während der Pfandleiher die Kombination einstellte. Als er das saugende Geräusch der sich öffnenden Geldschranktür hörte, wandte er sich wieder um und trat neugierig hinter ihn.

Trotz allem hatte er Mühe, seine Überraschung zu verbergen, als er sah, was der Safe enthielt. Neben ganzen Bündeln von Bargeld, Wertpapieren und sicherlich mehr als hundert goldenen Armband- und Taschenuhren lagen auf mehreren samtbezogenen Tabletts gute zwei Dutzend jener kleinen, goldenen Figürchen, wie er eins in Grisswalds Büro gesehen hatte. Sie stellten die unterschiedlichsten Dinge dar: Tiere, Blätter, Äste, Blüten … Einige waren auch einfach nur formlose Goldklumpen unterschiedlicher Größe, und bei zwei oder drei Figuren schien es sich eindeutig um Kunstgegenstände zu handeln, wenn es Indiana auch unmöglich war, sie einer bestimmten Kultur oder Epoche zuzuordnen.