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Es ging nicht.

Die Handschellen waren ganz normale Handschellen, aber die Handgelenke des Kolosses waren einfach zu dick.

«Was tun Sie da, Dr. Jones?«erklang Grisswalds Stimme hinter ihm.

Indiana ignorierte ihn und versuchte zum zweiten Mal, die Handschellen irgendwie zuzubekommen — mit dem einzigen Ergebnis allerdings, daß der Riese sich stöhnend noch heftiger zu bewegen begann und die Augen aufschlug.

«Ich habe Sie gefragt, was Sie da tun!«erscholl Grisswalds Stimme erneut. Sie klang schon wieder so überheblich und herrisch wie gewohnt.

Der Riese hob stöhnend den Kopf und blinzelte Indiana an. Der ließ hastig die Handschellen fallen, verschränkte die Hände zu einer einzigen Faust und schlug sie dem Giganten mit solcher Gewalt unter das Kinn, daß er glaubte, jeden einzelnen seiner zehn Finger in eine andere Richtung davonfliegen zu spüren. Ramos’ Leibwächter verlor zum zweiten Mal das Bewußtsein, Indiana Jones sank mit einem Schmerzlaut zurück und preßte seine pochende Hand an die Brust, und Grisswald sog hörbar die Luft zwischen den Zähnen ein.

«Da hört sich doch alles auf«, ereiferte er sich.»Lassen Sie den Mann in Ruhe, Jones! Was fällt Ihnen ein!«

Indiana ignorierte ihn weiterhin, sah sich fast verzweifelt nach irgend etwas um, mit dem er den Riesen fesseln konnte, und zog schließlich dessen Gürtel aus den Schlaufen. Als er seine Handgelenke mit dem breiten Lederband zusammenband, regte der Koloß sich bereits wieder.

Diesmal wartete Indiana nicht erst, bis er den Kopf hob, sondern versetzte ihm sofort einen weiteren Kinnhaken — womit er seiner ohnehin lädierten rechten Faust den Rest gab. Den pochenden Schmerzen in seinen Knöcheln nach zu schließen, würde er eine Woche brauchen, ehe er auch nur wieder seinen Namen würde schreiben können.

Grisswald keuchte, als stünde er kurz davor, einen Herzschlag zu bekommen.»Sie hören sofort damit auf, diesen Mann zu mißhandeln!«keifte er.»Ich dulde keine sinnlose Gewalt an meiner Universität!«

Indiana schenkte ihm einen giftigen Blick, stand auf und ging rasch zu Reuben zurück. Der FBI-Beamte hatte sich in eine halb kniende Position hochgestemmt. Er wirkte noch immer benommen — aber das war Indiana im Moment sogar recht.

«Was, in Dreiteufels Namen, geht hier eigentlich vor?«murmelte Reuben.

«Das möchte ich auch gerne wissen«, fügte Grisswald hinzu.»Ich verlange eine Erklärung von Ihnen, Dr. Jones. «Anklagend deutete er mit dem ausgestreckten Zeigefinger wie mit einer Waffe auf Reuben.»Und von Ihnen auch!«

Bevor Indiana noch antworten konnte, begann sich die Gestalt am Boden bereits wieder zu regen. Ein gequältes Stöhnen erscholl, dann richtete sich der Riese halb auf. Der lederne Gürtel, mit dem seine Hände zusammengebunden waren, knirschte hörbar, und Reubens Augen weiteten sich ungläubig.

«Passen Sie bloß auf den Kerl auf!«sagte Indiana.»Das beste wird sein, Sie rufen Verstärkung. Oder vielleicht gleich die Nationalgarde.«

Es war nicht sicher, ob Reuben seinen letzten Ratschlag überhaupt noch gehört hatte, denn während er noch sprach, war er bereits auf dem Flur und raste zur Treppe zurück.

Nicht einmal zehn Minuten später hämmerte Indiana Jones mit beiden Fäusten gegen die Tür von Dr. Bensons Praxis, neben der ein kleines Messingschild verkündete, daß sie an Wochenenden sowie während der Semesterferien geschlossen sei. Er hatte die Adresse aus dem nächsterreichbaren Telefonbuch, und in der Einfahrt des kleinen Hauses standen gleich zwei Wagen; außerdem hatte er eine Bewegung hinter einem der Fenster gesehen, als er seinen alten Ford mit quietschenden Bremsen neben dem Haus zum Stehen brachte. Benson — oder irgend jemand — mußte also zu Hause sein.

Trotzdem vergingen endlos scheinende Minuten, bis endlich das Geräusch schlurfender Schritte auf Indianas ungeduldiges Hämmern antwortete. Er hörte, wie drinnen rasselnd eine Kette vorgelegt wurde, dann öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, und ein verschrecktes, schmales Zwergengesicht mit einer randlosen Brille lugte zu ihm hinaus.»Ja?«

«Dr. Benson?«begann Indiana. Die Frage war im Grunde überflüssig — er hatte sich zwar nicht an den Namen erinnert, erkannte den grauhaarigen alten Mann aber sofort wieder. Er hatte ihn ein paarmal an der Universität gesehen, und wenn er sich recht erinnerte, ein oder zweimal davon auch im Gespräch mit Stan.

Benson nickte. Er wirkte noch immer ein bißchen erschrocken.»Ja. Was kann ich für Sie tun? Die Praxis ist — «

«— geschlossen, ich weiß«, unterbrach ihn Indiana ungeduldig. Er mußte sich beherrschen, nicht immer wieder auf die Straße hinter sich zurückzusehen. Er benahm sich auch so schon auffällig genug.

«Ich weiß«, sagte er noch einmal.»Aber bitte, lassen Sie mich doch herein. Es ist … sehr wichtig.«

Benson machte keine Anstalten, die Tür zu öffnen, sondern blinzelte nur mit noch größerem Mißtrauen zu ihm herauf.»Worum geht es?«erkundigte er sich.»Wieso …«Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf.»Dr. Jones? Sie sind doch Dr. Henry Jones?«

«Ja«, antwortete Indiana erleichtert.»Die Angelegenheit ist … etwas delikat. Es wäre mir wirklich lieber, wenn wir sie nicht auf der Straße besprechen müßten.«

Seine Worte schienen aber eher das Gegenteil dessen zu bewirken, was sie sollten: Das kaum erloschene Mißtrauen kehrte in Bensons Blick zurück, und er stand geschlagene zwanzig Sekunden da und blickte Indiana durchdringend an, ehe er schließlich mit sichtlichem Widerwillen zurücktrat, die Tür schloß und die Kette entfernte. Indiana nutzte die winzige Pause, um einen raschen, sichernden Blick in alle Richtungen zu werfen. Er hatte den Zettel mit Bensons Telefonnummer zwar noch immer sicher in der Jackentasche, aber er rechnete trotzdem nicht damit, daß sein Vorsprung allzu groß war. Wahrscheinlich würde Ramos’ Leibwächter Reuben und seine Männer eine Weile beschäftigt halten, aber früher oder später würden sie ihn überwältigt haben, und noch etwas später — nicht sehr viel später — würden sie garantiert hier auftauchen. Indiana hatte den Campus kaum verlassen gehabt, als ihm siedendheiß eingefallen war, daß er zwar den Zettel mit seiner Notiz, nicht aber das von Stans Sekretärin geschriebene Original mitgenommen hatte. Und Pat und Patachon waren vielleicht nicht besonders helle, aber auch nicht so dumm, einen Hinweis zu übersehen, der so offen dalag.

Endlich öffnete Benson die Tür. Indiana mußte sich beherrschen, sie nicht mit einem Ruck aufzustoßen und an dem Arzt vorbeizustürmen. Aber es gelang ihm offensichtlich nicht, seine Nervosität völlig zu überspielen, denn Benson musterte ihn weiter mit sehr wachen, sehr mißtrauischen Blicken, und auch er warf einen langen Blick auf die Straße hinaus, bevor er die Tür schließlich zuschob und mit der anderen Hand eine einladende Bewegung ins Haus machte.

«Gehen wir in mein Arbeitszimmer, Dr. Jones«, sagte er.

«Ihre Praxis wäre mir lieber«, sagte Indiana geradeheraus.

«Sind Sie krank?«Benson sah ihn verblüfft an.

«Nein. «Indiana lächelte.»Es geht nicht um mich.«

«Sondern?«

«Um Professor Corda«, antwortete Indiana.»Er war in den letzten Wochen bei Ihnen in Behandlung, nicht wahr?«

Es war ein Schuß ins Blaue, aber die Reaktion Bensons bewies ihm, daß er mit seiner Vermutung richtig lag. Allerdings fiel sie völlig anders aus, als Indiana gehofft hatte — Bensons angedeutetes Lächeln erlosch völlig, und das Mißtrauen in seinem Blick machte Ablehnung und Feindseligkeit Platz.

«Ich muß Sie enttäuschen, Dr. Jones«, sagte er.»Was immer es ist — ich kann und darf nicht über meine Patienten reden.«

«Das weiß ich«, antwortete Indiana.»Aber es …«Er zögerte. Irgend etwas warnte ihn davor, Benson zu belügen. Der Arzt war vielleicht alt und schon ein bißchen zitterig, aber er hatte wache, aufmerksame Augen, und er hatte die Art eines Menschen, der jede Lüge schon im Ansatz durchschaut.