Indiana setzte alles auf eine Karte. Ramos mitgerechnet, befanden sich insgesamt vier Gangster hier unten, und drei von ihnen waren mit Maschinenpistolen bewaffnet. Aber sie waren auch abgelenkt. Indiana machte einen blitzschnellen Schritt nach rechts, bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln auf der anderen Seite, duckte sich und trat gleichzeitig zu. Die hastige Bewegung raubte ihm selbst das Gleichgewicht, so daß er ungeschickt zu Boden stürzte, aber sein Fuß traf trotzdem zielsicher die Magengrube eines der Burschen und schleuderte ihn rücklings gegen einen zweiten Gangster. Die beiden stürzten zu Boden, wobei einer von ihnen den Abzug seiner Maschinenpistole durchriß. Das Krachen der Salve hallte in dem engen Gang wider wie eine Folge dröhnender Kanonenschläge, und Indiana zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern, als der Stollen plötzlich von heulenden Querschlägern und Funken erfüllt war. Dicht neben Marians Gesicht spritzte gelbes Feuer aus dem Stein, und der dritte Ganove, der gerade auf Indiana hatte anlegen wollen, griff sich plötzlich an die Schulter und sank mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie. Aber damit hörte Indianas Glückssträhne dann auch schon auf.
Erst einmal rollte er herum und versuchte ungeschickt, auf die Beine zu kommen, aber das war mit auf dem Rücken gefesselten Händen gar nicht so einfach — vor allem deshalb, weil sich Ramos in diesem Moment herumdrehte und mit erstaunlicher Zielsicherheit nach Indianas Gesicht trat. Er verfehlte ihn, aber sein Fuß streifte Indianas Schulter und warf ihn ein zweites Mal nach hinten.
Wieder erklangen Schüsse und das Heulen von Querschlägern aus dem rückwärtigen Teil des Ganges, und einer der beiden anderen Ganoven, die sich gerade umständlich wieder in die Höhe rappelten, stürzte mit einem keuchenden Schrei nach vorn und blieb liegen. Indiana wälzte sich blitzschnell drei, vier Schritte zur Seite, um aus Ramos’ Reichweite zu gelangen, der mit wutverzerrtem Gesicht und kleine, krächzende Schreie ausstoßend, wild dort auf den Boden stampfte, wo er Indiana vermutete, und plötzlich war alles voller hastender, kämpfender Gestalten, voller Schreie und huschender Bewegungen; Ramos’ Männer stürmten in wilder Flucht den Gang entlang, dicht gefolgt von einem halben Dutzend Gestalten, unter denen Indiana auch Pat und Patachon zu erkennen glaubte.
«Die Frau!«kreischte Ramos.»Bringt sie mit!«
Zwei der neu hinzugekommenen Gangster stürzten sich unverzüglich auf Marian, die sich zwar mit verzweifelter Kraft wehrte, den beiden Burschen aber nichts entgegenzusetzen hatte. Indiana sprang entsetzt auf die Füße und zerrte mit aller Gewalt an seinen Fesseln, erreichte dadurch aber nur, daß die dünnen Lederriemen schmerzhaft in seine Haut schnitten. Ein Faustschlag traf ihn und warf ihn gegen die Wand, und noch während er hilflos in die Knie brach, sah er, wie ein anderer Gangster Marcus packte und ihn grob mit sich zerrte.
Die Angst um seinen Freund gab Indiana noch einmal neue Kraft. Er sprang hoch, rannte einen der Burschen, die sich ihm in den Weg stellen wollten, kurzerhand nieder und stürmte mit Riesenschritten hinter Ramos, Marian und Marcus und der flüchtenden Gangsterbande her. Hinter ihm schrie jemand seinen Namen; zwei, drei Schüsse krachten, und dicht vor ihm prallte eine Kugel gegen die Wand und heulte als Querschläger davon, aber er achtete auf nichts von alledem, sondern rannte nur noch schneller weiter.
Der Gang endete nach wenigen Schritten vor einer verschlossenen Metalltür, an der einer von Ramos’ Begleitern mit fliegenden Fingern herumfummelte. Zwei weitere Gangster hielten Marian und Marcus gepackt, während der vierte Bursche sich zu Indiana umwandte und ihm mit erhobenen Fäusten entgegentrat.
Indiana rannte ihn einfach über den Haufen, prallte ungeschickt stolpernd gegen den Gangster, der Marian gepackt hielt, und riß ihn durch die pure Wucht seines Anpralls von den Füßen. Auch er fiel, aber er stürzte so unglücklich (oder glücklich, das kam auf den Standpunkt an) auf den Gangster, daß dessen Kopf unsanft gegen den Boden prallte und er auf der Stelle das Bewußtsein verlor.
Während er sich noch aufrappelte, hatte Ramos’ Begleiter bereits das Schloß geöffnet, und die Tür schwang quietschend nach innen und gab den Blick auf einen Raum in völliger Dunkelheit frei. Ramos schrie etwas, das Indiana nicht verstehen konnte, doch fast im gleichen Moment fuhren zwei der Gangster herum und stürzten sich auf ihn. Indiana empfing den ersten mit einem Fußtritt vor das Knie, der den Kerl mit schmerzverzerrtem Gesicht zurücktaumeln ließ, aber der zweite packte ihn an den Jackenaufschlägen, riß ihn in die Höhe und schleuderte ihn mit solcher Wucht gegen die Wand, daß er für einen Moment nichts als bunte Sterne sah und schon wieder zu Boden zu stürzen drohte.
Er hörte Marian schreien, dann rief Marcus mit panikerfüllter Stimme seinen Namen und etwas anderes, was er nicht verstand, und plötzlich fühlte er sich gepackt und in die Höhe gerissen. Ein schemenhaftes Gesicht tauchte vor ihm auf. Indiana spannte sich in Erwartung eines weiteren Schlages, aber der kam nicht. Statt dessen klärten sich die treibenden Nebel vor seinem Blick, und er erkannte, daß es sich nicht um einen weiteren Gangster, sondern um einen von Reubens Männern handelte: Dessen Haar war schweißverklebt und das Gesicht vor Anstrengung gerötet, aber er trug den für FBI-Beamte typischen Anzug und eine Smith & Wesson Kaliber 38 in der rechten Hand. Mit der Linken hielt er Indiana gepackt und schüttelte ihn wild.
«Sind Sie in Ordnung, Dr. Jones?«fragte er.
Indiana machte eine Bewegung, die eine Mischung aus einem Kopfschütteln und einem Nicken darstellte, befreite sich unsicher aus dem Griff des FBI-Beamten und hätte dabei um ein Haar schon wieder das Gleichgewicht verloren.»Die Fessel«, stieß er hervor.»Schneiden Sie mich los, schnell!«
Während der FBI-Mann ein Messer aus der Tasche zog und an den dünnen Lederbändern um Indianas Handgelenken zu säbeln begann, warf der einen raschen Blick zurück in den Gang. Offensichtlich hatten Reubens Männer Ramos’ gesamte Bande vor sich her hier heruntergetrieben — zwei oder drei wehrten sich noch verbissen gegen die Übermacht bewaffneter Bundespolizisten, aber die meisten standen mit erhobenen Händen da oder krümmten sich am Boden.
Indiana atmete erleichtert auf, als seine Hände mit einem Ruck freikamen. Er verschwendete eine kostbare Sekunde darauf, seine Gelenke zu massieren und seine Finger zu bewegen, damit das Gefühl in seine tauben Hände zurückkehrte, dann fuhr er herum und stürmte auf die Tür zu, durch die Ramos zusammen mit Marian und Marcus verschwunden war. Hinter ihm schrie Reuben seinen Namen, und er hörte hastige trappelnde Schritte, aber er achtete gar nicht darauf, sondern rannte nur noch schneller, hob im Laufen eine Maschinenpistole auf, die einer von Ramos’ Killern fallengelassen hatte, und warf sich, ohne auch nur im Schritt innezuhalten, gegen die Tür.
Sie flog mit einem Krachen auf und prallte gegen die Wand. Indiana stolperte noch ein paar Schritte weiter, ehe er in vollkommener Dunkelheit stehenblieb und sich umsah. Das Echo seiner eigenen Schritte verriet ihm, daß er sich in einem sehr großen Raum befinden mußte, aber er sah absolut nichts. Das bißchen Licht, das vom Gang hinter ihm hereindrang, versik-kerte nach wenigen Schritten in der völligen Schwärze.
«Jones! Was, zum Teufel — «
Reubens Stimme brach ab, und als Indiana sich verärgert herumdrehte, sah er den Schatten des FBI-Mannes wie einen schwarzen Scherenschnitt in der Tür aufragen.
«Seien Sie still!«sagte er.»Sie sind hier irgendwo.«