Reuben antwortete nicht, sondern legte lauschend den Kopf auf die Seite, und nach einigen Augenblicken glaubte auch Indiana, gedämpfte Geräusche zu hören, die irgendwo vor ihnen in der Dunkelheit erklangen. Aber es war einfach nicht möglich, die Richtung auszumachen.
«Eine Lampe!«befahl Reuben.»Bringt eine Lampe hierher! Schnell!«
Indiana wich einige Schritte weiter in den Raum zurück, und Reuben hob erschrocken die Hand.»Bleiben Sie stehen, Jones!«sagte er.
Indiana blieb aber nicht stehen, sondern tastete sich im Gegenteil mit vorsichtig ausgestreckten Armen weiter in die Dunkelheit hinein, bis seine Finger auf kühlen, rauhen Widerstand stießen. Hinter sich hörte er Reuben fluchen und dann noch einmal und lautstark nach einer Lampe brüllen, aber er versuchte, das alles zu ignorieren und sich auf das leise Scharren und Tappen zu konzentrieren, das irgendwo vor ihm erscholl.»Links. «Er war jetzt fast sicher, das es von links kam.
Ohne auf Reubens Fluchen und immer lauter werdendes» Jo-nes«-Brüllen weiter zu achten, tastete er sich tiefer und tiefer in die Dunkelheit hinein, bis er unter seinen Fingern plötzlich keinen Stein mehr fühlte, sondern das rostige Metall einer Tür. Hastig suchte er nach der Klinke, drückte sie herunter und registrierte erleichtert, daß die Tür nicht verschlossen war.
Als er sie behutsam aufschob, sah er Licht. Es war nur ein Schimmer, ein blasser, gelber Streifen, der unter einer Tür sehr weit entfernt am Ende eines Ganges hervordrang, aber gleichzeitig wurden die Geräusche lauter, die er gehört hatte.
Indiana betete, daß in der Dunkelheit vor ihm niemand lauerte, wechselte die Maschinenpistole von der linken in die rechte Hand und stürmte los. Hinter ihm fiel die Tür, die er gerade geöffnet hatte, krachend wieder ins Schloß.
Als er das Ende des Ganges erreicht hatte, blieb er noch einmal für eine Sekunde stehen, atmete tief ein — und sprengte die Tür mit einem kräftigen Schulterstoß auf.
Vor ihm lag ein großer fast bis unter die Decke mit Kisten, Ballen, Ölfässern und allem möglichen anderen Gerumpel vollgestopfter Kellerraum. Eine einzelne, nackte Glühbirne verbreitete gelbe Helligkeit und mehr Schatten als Licht. Ramos, Marian, Marcus und zwei von Ramos’ Gangstern standen vor einer verschlossenen Tür am anderen Ende des Raumes und mühten sich offenbar vergeblich mit dem Schloß ab. Als Indiana hereingestolpert kam, drehte sich einer von ihnen erschrocken herum und hob eine Pistole.
Indiana drückte ganz instinktiv ab.
Es war purer Zufall — aber die MP-Salve schlug Funken aus der Wand neben dem Killer, und die letzte Kugel der Salve traf die Pistole, die er hielt, und riß sie ihm aus der Hand. Der Bursche taumelte mit einem Schmerzensschrei herum und umklammerte sein Handgelenk, während der zweite die Tür sein ließ und sich plötzlich ebenfalls zu Indiana herumdrehte, wobei auch er eine Maschinenpistole hob.
«Versuch das lieber nicht!«sagte Indiana und richtete seine Waffe drohend auf den Gangster.
Der Bursche erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Blick flackerte, während er abwechselnd den zertrümmerten Revolver, seinen vor Schmerz wimmernd auf dem Boden knienden Kumpan und die Waffe in Indianas Hand betrachtete.
«Erschieß ihn!«befahl Ramos mit schriller Stimme.»Schieß ihn nieder!«
Der Mann zögerte, sichtlich hin- und hergerissen zwischen der Angst vor der Waffe in Indianas Hand und der vor Ramos. Die Furcht vor seinem Herrn und Meister war stärker. Plötzlich sprang er zur Seite und gab gleichzeitig einen Feuerstoß auf Indiana ab, aber der hatte die Bewegung im Ansatz gesehen und war seinerseits ausgewichen. Die MP-Salve zertrümmerte die Tür hinter ihm, und Indiana drückte gleichzeitig ab. Diesmal hatte er nicht so gut gezielt. Die Kugeln trafen den Gangster in Brust und Schulter und schleuderten ihn tot zu Boden.
«Erschieß ihn!«kreischte Ramos.»Bring den Kerl um!«
Indiana senkte langsam seine Waffe.»Geben Sie auf, Ra-mos«, sagte er.»Da ist niemand mehr, der Ihnen helfen könnte.«
Ramos’ ohnehin entstelltes Gesicht verzerrte sich noch mehr vor Wut. Mit einer Behendigkeit, die Indiana ihm niemals zugetraut hätte, fuhr er herum und packte Marian. Indiana fiel erst jetzt auf, daß es ihr irgendwie gelungen sein mußte, sich ihrer Fesseln zu entledigen, denn ihre Hände waren frei. Trotzdem machte sie keinen Versuch, sich zur Wehr zu setzen. Ramos zerrte sie herum, schlang von hinten den Arm um ihren Hals und tastete mit der anderen Hand nach einer Latte, die auf einer der zahllosen Kisten lag.»Keinen Schritt näher!«keifte er, während er wütend mit seiner improvisierten Keule in der Luft herumfuchtelte.
Indiana blieb tatsächlich mitten in der Bewegung stehen und hob seine Waffe, senkte die MP aber schon nach einer Sekunde wieder und legte sie vorsichtig zu Boden. Davon abgesehen, daß er kein Meisterschütze war, war eine Maschinenpistole keine Waffe, mit der man genau schießen konnte. Außerdem hatte er nicht vor, Ramos umzubringen.
«Geben Sie doch auf«, sagte er.»Es hat doch keinen Sinn mehr.«
Ramos schien da anderer Meinung zu sein. Während Indiana vorsichtig weiter auf ihn zuging, trieb Ramos Marian mit groben Stößen vor sich her und kam seinerseits auf ihn zu, wobei er immer wütender und heftiger in die Luft schlug.
Was er wirklich vorhatte, begriff Indiana einen Sekundenbruchteil zu spät.
Ramos’ Schläge waren keineswegs so ziellos, wie es anfangs den Anschein hatte. Indiana war vielleicht noch vier oder fünf Schritte von ihm und Marian entfernt, als die Latte klirrend gegen die Glühbirne prallte und sie zerschlug. Absolute Dunkelheit erfüllte, von einer Sekunde auf die andere den Raum.
Indiana fluchte, stürmte los und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen in die Richtung, in der er Ramos und Marian vermutete. Er hörte einen Schrei, prallte gegen einen Körper, den er mit sich zu Boden riß, und begriff im gleichen Moment, daß es nur Marian war, nicht Ramos.
Als er sich wieder hochstemmte, hörte er ein irres Kichern vor sich in der Dunkelheit; gleichzeitig leise, schleifende Schritte, die er aber nicht genau orten konnte.»Nun, Dr. Jones?«fragte Ramos hämisch.»Glauben Sie immer noch, Sie hätten gewonnen?«
Indiana kam nicht zum Antworten. Er spürte, wie irgend etwas auf ihn zukam, dann traf ein fürchterlicher Schlag seine Schulter und schleuderte ihn erneut zu Boden. Er fiel, rollte sich instinktiv zur Seite und riß beide Arme über das Gesicht — den Bruchteil einer Sekunde, bevor er von Ramos’ Latte getroffen worden wäre.
Der Schlag ließ die Haut an Indianas Unterarmen aufplatzen. Er keuchte vor Schmerz und Überraschung, rollte sich abermals herum und trat blindlings in die Richtung, in der er Ra-mos vermutete, traf aber nichts.
Wieder hörte er rasche, ungleichmäßige Schritte und das irre Kichern des Gangsters.»Mein Kompliment, Jones«, sagte Ra-mos hämisch.»Sie hätten es fast geschafft. Aber eben nur fast.«
Auch diesmal spürte Indiana den Schlag zwar kommen, aber seine Reaktion war wieder nicht schnell genug. Ramos’ Knüppel traf seine rechte Schulter gerade, als er sich aufsetzen wollte und warf ihn hilflos zum dritten Mal zu Boden. Indiana biß die Zähne zusammen, rollte sich drei, vier, fünf Schritte zur Seite und nahm einen weiteren, wütenden Hieb gegen seine Rippen in Kauf, um auf die Füße zu kommen. Blitzschnell griff er zu, bekam Ramos’ Knüppel zu fassen und versuchte, ihn festzuhalten, aber der Blinde zerrte mit solcher Kraft daran, daß das einzige Ergebnis winzige Splitter waren, die in Indianas Händen zurückblieben.
Fluchend sprang er zurück, schloß die Augen und lauschte konzentriert auf Ramos’ Schritte und das Geräusch seines Atems. Der Blinde bewegte sich dicht vor ihm durch die Dunkelheit, aber es gelang Indiana nicht, genau auszumachen, wo er war.
Dafür schien Ramos um so besser zu wissen, wo er sich befand.
Ein weiterer Hieb traf Indianas Rippen und ließ ihn taumeln, und wieder kicherte Ramos wie irre.