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Der Schuß krachte in der Stille der Nacht wie ein Kanonenschlag. Der Gesang der Indianer verstummte, und für eine Sekunde breitete sich ein unnatürliches Schweigen über das Dorf aus. Dann erscholl ein ganzer Chor schreiender, aufgeregt durcheinanderrufender Stimmen. Und plötzlich hasteten aus allen Richtungen Menschen auf sie zu.

Reuben beachtete es nicht einmal, sondern rannte weiter, und auch Indiana verdoppelte seine Anstrengungen, nicht zurückzufallen. Der Schatten war mittlerweile völlig verschwunden, aber sie hörten das Brechen von Zweigen und Unterholz — und plötzlich einen spitzen Schrei!

Indianas Herz machte einen erschrockenen Sprung, als er die Stimme erkannte.»Marian!«schrie er. Die Angst gab ihm zusätzliche Kraft. Er griff schneller aus, spurtete an Reuben und seinen Begleitern vorbei und erreichte als erster den Waldrand — um beinahe über einen Körper zu fallen, der zusammengekrümmt im Unterholz lag.

Es war tatsächlich Marian. Sie zitterte am ganzen Leib, als Indiana neben ihr niederkniete und ihr ins Gesicht sah. Ihre Haut war bleich wie die einer Toten und ihre Augen groß und dunkel vor Angst. Im allerersten Moment schien sie Indiana nicht einmal zu erkennen, denn sie zuckte erschrocken vor ihm zurück und hob angstvoll die Hände vor das Gesicht, aber dann sprach er ihren Namen aus, und aus der Furcht in ihrem Blick wurde unendliche Erleichterung.

«Marian!«sagte Indiana.»Was ist passiert? Was tust du hier?«

Auch Reuben und die anderen kamen jetzt bei ihnen an. Der FBI-Agent blieb stehen, aber die drei Männer liefen weiter und brachen splitternd durch das Unterholz.»Was ist passiert?«herrschte nun auch Reuben Marian an. Und was Indianas erschrockener Ton nicht bewirkt hatte, das gelang seiner in befehlendem Ton gestellten Frage. Marian schrak zusammen und faßte sich sichtlich wieder. Sie zitterte noch immer am ganzen Leib, war jetzt aber offensichtlich nicht mehr in Gefahr, einfach hysterisch loszuweinen.»Ich weiß es nicht«, murmelte sie verstört.»Ich … ich wollte ein bißchen frische Luft schnappen. Ich mußte einfach raus. Und plötzlich … hörte ich Schritte und Rufe. Und dann tauchte ein Mann auf und schlug mich nieder.«

«Ein Mann?«schnappte Reuben.»Was für ein Mann? Ein Indianer? Oder ein Weißer?«

Marian schüttelte unglücklich den Kopf.»Ich weiß es nicht«, gestand sie.»Ich habe nur einen Schatten erkannt. Es ging alles so furchtbar schnell.«

Reuben setzte zu einer weiteren Frage an, aber Indiana fiel ihm ins Wort.»Ich glaube, sie hat wirklich nichts gesehen«, sagte er.»Vielleicht fragen wir Henley. Möglicherweise hat er mehr erkannt.«

«Möglicherweise auch nicht«, sagte eine Stimme hinter ihnen. Indiana und Reuben drehten sich im gleichen Moment um und erkannten den zweiten FBI-Beamten, der sich aufgerappelt hatte und ihnen gefolgt war. Er war noch immer blaß. Die Platzwunde über seinem Auge blutete heftig, schien aber nicht weiter ernst zu sein, denn sein Blick war wieder klar.»Ich habe überhaupt nichts erkannt«, sagte er mit einer Geste auf Marian.»Es war genau wie bei ihr. Ich dachte, einen Schatten zu sehen, und dann wurde ich auch schon niedergeschlagen.«

«Vielleicht einer der Indios«, vermutete Reuben.»Sie beobachten uns.«

«Sie haben es wohl kaum nötig, im Dunkeln um die Hütte zu schleichen«, gab Indiana zu bedenken.

Reuben warf ihm einen unsicheren Blick zu, aber er antwortete nicht, denn aus dem Dorf kamen jetzt immer mehr Aymará herbeigerannt, und nicht wenige von ihnen waren wieder bewaffnet und hatten den gleichen, grimmigen Ausdruck auf den Gesichtern, mit dem sie sie am Abend am Fluß empfangen hatten.

Reuben wandte sich zu den Indios um und machte eine besänftigende Geste. Aber die nutzte nicht sehr viel. Die Indianer kamen weiter näher, und das drohende Murren verstärkte sich eher noch. Aber fast im gleichen Augenblick trat auch der alte Häuptling aus der Dunkelheit heraus, und die Krieger wichen wieder ein Stück weiter zurück, um ihm Platz zu machen.

Reuben sprudelte ein paar hastige Worte im Dialekt der Ay-mará hervor, auf die der Indio in der gleichen Sprache antwortete. Dann stockte er, blickte Indiana, Henley und Marian der Reihe nach und sehr nachdenklich an und wechselte übergangslos in ein zwar schleppendes, aber beinahe akzentfreies Englisch über.»Sprechen wir Ihre Sprache, Mr. Reuben. So können Ihre Freunde hören, was wir sagen. Warum haben Sie geschossen?«

«Das war nur ein Warnschuß«, sagte Reuben. Er wirkte nervös, und ein weiterer Blick in die finsteren Gesichter der Ay-mará bestätigte Indiana, daß er auch allen Grund dazu hatte. Das Eis, auf dem sie sich bewegten, war so dünn, daß man glauben konnte, es schon knistern zu hören. Obwohl sie den Indios nach Kräften geholfen hatten, war deren Mißtrauen längst nicht besänftigt. Vielleicht würde es das nie wieder werden.

«Ein Warnschuß? Wieso?«

Reuben deutete auf Henleys blutüberströmte linke Gesichtshälfte.»Jemand hat meinen Kollegen niedergeschlagen. Und Miss Corda hier auch. Jemand, der versucht hat, uns zu belauschen, und dabei von Henley überrascht wurde. «Er zögerte einen winzigen Moment, dann fragte er geradeheraus:»War es einer Ihrer Krieger?«

Der Alte sah Reuben eine Sekunde lang fast verächtlich an.»Wenn wir deinen Tod wollten, weißer Mann«, sagte er,»dann hättest du unser Dorf niemals betreten.«

«So war das nicht gemeint«, verteidigte sich Reuben nervös.»Aber es ist — «

«Ich bin sicher, daß es keiner deiner Krieger war«, mischte sich Indiana ein.»Aber vielleicht haben deine Leute etwas gesehen. Jemanden, der nicht hierhergehört.«

In die Verachtung im Blick des alten Mannes mischte sich etwas anderes, das Indiana im ersten Moment nicht deuten konnte. Dann wandte er sich mit einer Frage in seiner Muttersprache an einen der Krieger, die hinter Reuben standen, und der Aymará antwortete mit einem Kopf schütteln und einer heftigen Geste.»Niemand hat etwas gesehen«, sagte der Häuptling.»Ich habe Befehl gegeben, euch wie Gäste zu behandeln. Wir belauschen unsere Gäste nicht.«

Mit einer heftigen Bewegung wandte er sich um und wollte gehen, aber Indiana rief ihn noch einmal zurück.»Häuptling!«

Der Aymará blieb stehen. Er drehte sich nicht um, aber er wandte den Kopf und maß Indiana mit einem so eisigen Blick, daß es diesem im ersten Moment unmöglich war, weiterzusprechen. Schließlich überwandt er sich, trat einen Schritt auf den alten Mann zu und blieb wieder stehen, als einer der Krieger neben ihm eine drohende Bewegung machte.»Bitte, hör mir zu«, begann Indiana.»Du mußt uns vertrauen. Wir sind nicht deine Feinde. Aber die Männer, die das hier getan haben«— er machte eine weit ausholende Handbewegung —,»sind es. Und der, den wir gerade verfolgt haben, gehört wahrscheinlich zu ihnen. «Die Reaktion auf dem Gesicht des Häuptlings bewies Indiana, daß dessen Überlegungen in die gleiche Richtung gegangen waren. Erstaunlicherweise registrierte er weder Furcht noch Erschrecken, obwohl schon der erste Zusammenprall zwischen den Aymará und Ramos’ Männern fast zur Vernichtung des Stammes geführt hatte.»Ich glaube es zwar selbst nicht«, fuhr Indiana fort,»aber sie werden möglicherweise wiederkommen. Was immer sie dort im Dschungel suchen, sie haben es wahrscheinlich nicht gefunden.«

«Der Wald ist groß«, antwortete der Häuptling.»Und er weiß seine Geheimnisse gut zu verbergen.«

«Du weißt also, wonach sie suchen«, hakte Reuben nach.

Der Häuptling antwortete nicht direkt. Er sah Reuben nicht einmal an. Sein Blick blieb weiter unverwandt auf Indiana gerichtet.»Es gibt Dinge, die Menschen nicht wissen sollten«, antwortete er.»Und es gibt Dinge, die Menschen wissen und besser für alle Zeiten für sich behalten.«

«Ramos wird wiederkommen«, sagte Indiana ernst.»Er wird deinen ganzen Stamm auslöschen, wenn du ihm nicht sagst, was er wissen will.«

«Wenn es der Wille der Götter ist, so wird es geschehen«, bestätigte der Aymará gelassen. Er hob die Hand, als Indiana etwas sagen wollte.»Es ist sinnlos, daß du weitersprichst, weißer Mann. Wir alle würden eher sterben, als die Geheimnisse unseres Volkes preiszugeben.«