«Aber haben Sie das denn nicht schon?«sagte Ramos beinahe freundlich.
Reuben wollte abermals auffahren, doch Indiana brachte ihn mit einer besänftigenden Geste zum Schweigen.»Warten Sie«, sagte er.»Möglicherweise brauchen wir diesen …«Er blickte Ramos verächtlich an.»Herrn gar nicht.«
Sowohl Reuben als auch Henley sahen ihn mit neu erwachender Aufmerksamkeit an, und auch Ramos wirkte plötzlich ein ganz kleines bißchen nervös. Indiana lächelte, obwohl Ra-mos es gar nicht sehen konnte.»Fünfzig Meilen, sagten Sie?«
Ramos reagierte nicht, aber Indiana wandte sich mit einer auffordernden Geste an Henley, der lässig gegen das Ruder gelehnt dastand und abwechselnd ihn und seinen Kollegen ansah.»Ich glaube, ich weiß jetzt alles«, sagte er.»Haben Sie eine Karte von diesem Gebiet?«
Henley nickte und wandte sich wortlos um, um aus dem Durcheinander auf dem Pult vor ihm die verlangte Karte herauszufischen, während Reuben ungeduldig von einem Fuß auf den anderen zu treten begann.
«Ich glaube, ich weiß jetzt, woran mich der Tanz der Indianer erinnert hat«, beantwortete Indiana die unausgesprochene Frage des FBI-Agenten.»Ich bin noch nicht ganz sicher, aber …«Nervös drehte er sich wieder zu Henley herum und wartete, bis dieser ihm das zerknitterte Etwas gereicht hatte, das wohl den Vorstellungen des Bootsbesitzers von einer Karte entsprechen mochte. Im schwachen Licht der Kabinenbeleuchtung waren nicht sehr viele Details zu erkennen, als Indiana sie hastig auf dem kleinen Tisch an der Rückseite der Steuerkabine ausbreitete und mit dem Handrücken glattstrich. Aber er sah schnell, wonach er suchte.
«Hier!«Indiana deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf drei grob kreisförmige Markierungen am oberen Rand der Karte, die ein ungleichmäßiges Dreieck bildeten.
Reuben beugte sich neugierig über seine Schulter, blickte einen Moment stirnrunzelnd auf die Karte hinab und sah ihn dann völlig verwirrt an.»Und?«
«Erinnern Sie sich nicht?«fragte Indiana.»Denken Sie an die Aymará. Drei Feuer, zwischen denen der Häuptling gestanden hat.«
«Und?«wiederholte Reuben.
«Das hier — «Indiana tippte triumphierend mit Zeige- und Mittelfinger auf die Karte,»sind erloschene Vulkane. Ich war nicht sicher, aber jetzt erinnere ich mich wieder.«
Reubens Gesicht hellte sich auf.»Und Sie glauben, das, was wir suchen — «
«— liegt genau dazwischen«, führte Indiana den Satz zu Ende.»Dort, wo der Häuptling gestanden hat.«
Er behielt Ramos bei diesen Worten genau im Auge und sah, daß der Gangster erschrocken zusammengefahren war.
«Aber das ist unmöglich«, protestierte Henley.»Wenn es so wäre, hätte man es längst gefunden. Dieses Gebiet — «
«— ist so gut wie unerforscht«, fiel ihm Indiana ins Wort.
«Lassen Sie sich nicht von dieser Karte täuschen. Man hat ein paar Luftaufnahmen gemacht und die Informationen verwertet, die man gerade bekommen konnte. Realistisch ist eher die Annahme, daß diese Karte so glaubwürdig ist wie Ramos’ letzte Einkommensteuererklärung. Es würde mich nicht wundern, wenn herauskäme, daß noch kein Weißer einen Fuß in dieses Gebiet gesetzt hat.«
Reuben beugte sich abermals vor und blickte aus zusammengekniffenen Augen auf die Stelle am oberen Rand der Karte, auf die Indiana gedeutet hatte. Zwischen den drei angedeuteten Kreisen waren nur die grünen Striche zu sehen, mit denen der Kartenzeichner Dschungel angedeutet hatte,»Fünfzig Meilen …«murmelte er.
«Wenn die Karte stimmt, sind es eher achtzig oder auch hundert«, wandte Henley ein.»Und der Fluß macht eine Biegung. Mit dem Boot werden wir nicht sehr nahe herankommen.«
«Und zu Fuß auch nicht«, mischte sich Ramos ein. Er hatte seinen Schrecken überwunden und seine alte Überheblichkeit zurückgewonnen. Auf seinem entstellten Gesicht erschien sogar wieder die Andeutung eines Lächelns.»Wissen Sie, Mr. Henley — in einem Punkt hat Dr. Jones recht. Diese Karte ist nicht besonders genau. Es gibt zwischen dem Fluß und diesen Vulkanen ein paar Dinge, die gar nicht eingezeichnet sind. Was mich wieder zu unserer Abmachung zurückbringt.«
Reuben durchbohrte ihn mit Blicken, schwieg aber.
«Und da wäre zu guter Letzt noch Mr. Brody«, fügte Ramos lächelnd hinzu.»Ich nehme doch an, daß Sie immer noch daran interessiert sind, ihn lebend und unverletzt zurückzubekommen?«
«Genauso wie Sie daran denken, wie Sie lebend und unverletzt aus diesem Land herauskommen können«, sagte Indiana. Die Drohung in seinen Worten war nicht zu überhören, aber Ramos lächelte nur noch breiter.
«Ich sehe, wir sind dabei, eine gemeinsame Basis zu entwikkeln«, sagte er.»Ich schlage vor, Sie lassen mich und meine Leute frei, und dafür verrate ich Ihnen den Aufenthaltsort von Mr. Brody.«
«Ha!«sagte Reuben.
Und dabei blieb es für die nächsten Stunden, bis die Sonne aufging.
Indiana hatte versucht, noch ein wenig Schlaf zu finden, aber es war bei dem Versuch geblieben. Auf dem Schiff herrschte nicht nur eine drückende Enge, sondern auch eine gespannte, gereizte Atmosphäre, die an einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch erinnerte. Weder Ramos’ Männer noch er selbst hatten auch nur den Versuch unternommen, auszubrechen oder ihnen auch nur Schwierigkeiten zu bereiten — aber gerade das war es, was Indiana nervös machte. Ramos gehörte nicht zu den Männern, die aufgaben, selbst wenn sie sich in einer vermeintlich aussichtslosen Situation befanden.
Als die Sonne aufging, war Indiana schon wieder an Deck und blickte aus brennenden, rotgeränderten Augen nach Norden. Der Fluß wälzte sich träge in seinem Bett dahin, und der Dschungel war so dicht geworden, daß er eine undurchdringliche Mauer zu beiden Seiten des Flusses zu bilden schien. Hen-ley, der noch immer am Ruder stand, hielt das Boot genau in der Flußmitte, so daß kaum die Gefahr bestand, daß sie abermals überfallen wurden. Obwohl auf der Landkarte wenig mehr als ein dünner blauer Strich, war selbst dieser Nebenfluß doch in Wahrheit ein breiter Strom, der sich in zahllosen Windungen und Kehren durch das Land schlängelte. Und trotz ihrer vermeintlichen Sicherheit wurde Indiana immer nervöser.
Er hörte Schritte hinter sich, drehte sich um, blickte in Reubens Gesicht und erkannte, daß es dem FBI-Mann nicht anders ging. Auch er sah müde aus, und auch hinter dessen rein körperlicher Erschöpfung verbarg sich eine zweite, tiefere Nervosität, die zu überspielen er nicht ganz imstande war.
«Ich habe das Gefühl, in eine Falle zu laufen«, begann Reuben übergangslos.
«So?«Indiana lächelte müde.»Ich nicht.«
Reuben seufzte.»Ihren Optimismus möchte ich haben.«
«Wieso Optimismus? Bei mir ist es nicht nur ein Gefühl, in eine Falle zu tappen, ich weiß es«, antwortete Indiana.
Reubens Antwort bestand nur aus einem Stirnrunzeln und einem tiefen, erschöpften Seufzen, während er sich schwer auf die Reling stützte und ins Wasser sah. Eine ganze Weile schwiegen sie beide, dann fragte Reuben unvermittelt:»Woher haben Sie es gewußt?«
Indiana blickte ihn fragend an.
«Das mit den drei Vulkanen«, erklärte Reuben.»Ist Südamerika Ihr Spezialgebiet?«
Indiana schüttelte den Kopf.»Im Gegenteil. Es war …«Er zögerte unmerklich, lächelte knapp und gestand:»Eigentlich war es ein purer Zufall. Ich habe in Stans Haus ein paar Bücher durchgeblättert. Dabei ist mir eine bestimmte Landkarte aufgefallen. Und als ich gestern abend den Häuptling beobachtet habe, fiel es mir wieder ein. Das ist alles.«
Reuben lächelte müde.»Sie wären erstaunt, Jones, wenn Sie wüßten, wie oft große Dinge durch solche Kleinigkeiten entschieden werden«, sagte er. Er lachte leise und nicht sehr humorvoll.»Wenn ich ehrlich sein soll, dann tut der Zufall die Hälfte unserer Arbeit. Mindestens.«
Indiana wollte mit irgendeiner Belanglosigkeit antworten, aber plötzlich legte er den Kopf schräg und lauschte. Gleichzeitig blickte er gespannt nach vorn.