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Reuben sah auf, wenn auch nur deshalb, weil ihm Indianas plötzliche Aufmerksamkeit aufgefallen war.»Was haben Sie?«fragte er. Plötzlich klang er überhaupt nicht mehr müde, und er sah auch nicht mehr so aus, sondern wirkte im Gegenteil aufs Höchste gespannt. Indiana zuckte mit den Schultern.»Ich weiß nicht«, murmelte er.»Da … da ist irgend etwas.«

Aus den Augenwinkeln sah er, daß Reuben sich automatisch straffte und nach der Waffe an seinem Gürtel griff, die Bewegung dann aber nicht einmal ganz zu Ende führte, denn in diesem Moment hörte er es auch, und er begriff, daß die Gefahr, die vor ihnen lag, nicht mit einer Waffe zu beseitigen war.

Durch die Geräusche des allmählich erwachenden Dschungels und das monotone Tuckern des Dieselmotors drang ein dumpfes, grollendes Donnern; noch sehr weit entfernt, aber schon deutlich genug, um die beiden Männer wissen zu lassen, was da war: ein Wasserfall oder eine Stromschnelle.

Indiana runzelte die Stirn.»Das muß eines von den Hindernissen sein, von denen Ramos gesprochen hat«, sagte er.

«Auf der Karte war aber nichts eingezeichnet«, sagte Reuben in beinahe vorwurfsvollem Ton.

«Ich habe Ihnen doch schon gesagt, was ich von dieser Karte halte«, antwortete Indiana.

Reuben blickte noch einen Moment lang konzentriert nach vorn, dann zuckte er mit den Achseln.»Es spielt keine Rolle«, sagte er.»Wir müssen ohnehin an Land. Ob nun ein paar Meilen früher oder später, das macht keinen Unterschied.«

Sie gingen zurück ins Ruderhaus. Reuben erklärte Henley mit wenigen Worten, was sie entdeckt hatten, und bat ihn, das Schiff näher ans Ufer zu bringen und zugleich Ausschau nach einem möglichen Anlegeplatz zu halten, während Indiana sich entschuldigte und unter Deck ging, um Marian zu wecken.

Sie war nicht da. Reuben hatte ihr die Kapitänskajüte zugewiesen — den einzigen abschließbaren Raum an Bord —, aber die Tür stand offen, und die schmale Koje war unberührt. Offensichtlich hatte Marian in dieser Nacht so wenig Schlaf gefunden wie sie auch. Aber Indiana fragte sich irritiert, wo sie sein mochte. Das Schiff war weiß Gott nicht groß genug, um darauf Spazierengehen zu können, ohne gesehen zu werden. Mit Ausnahme dieser und der Kabine, die sich Reuben und Indiana geteilt hatten, gab es im Grunde nur noch den Maschinenraum — und den Lagerraum, in dem Ramos’ Männer eingesperrt waren!

Verwirrt verließ er die Kabine wieder und ging in sein eigenes Quartier zurück, um seine wenigen Habseligkeiten zusammenzusuchen. Nur einige Minuten später trat er wieder an Deck hinaus.

Das Grollen der Stromschnellen war mittlerweile so laut geworden, daß es beinahe das Geräusch des Motors übertönte. Wo bisher die grüne Mauer des Dschungels den Fluß begrenzt hatte, erhob sich jetzt eine glitzernde Woge aus Schaum und Gischt, in der scharfkantiger, nasser Stein glänzte. Die Strömung hatte zugenommen, aber das Schiff näherte sich bereits dem Ufer. Reuben und Henley waren nicht mehr allein. Wie am Abend zuvor war Ramos wieder ins Steuerhaus gebracht worden, bewacht von einem der Söldner.

Indiana streifte ihn mit einem flüchtigen Blick, dann wandte er sich an Reuben.»Wo ist Marian?«

«Mrs. Corda?«Der FBI-Beamte zuckte mit den Schultern.»Ist sie denn nicht in ihrer Kabine?«

«Dann würde ich kaum fragen«, antwortete Indiana gereizt.

Reuben sah ihn irritiert an, zuckte aber nur noch einmal mit den Achseln und konzentrierte sich im übrigen weiter auf das allmählich näher kommende Ufer. Indiana bemerkte mit einem leisen Gefühl von Sorge, daß der Dschungel an dieser Stelle ganz besonders dicht zu sein schien. Aber dann beruhigte er sich damit, daß sie noch Meilen von den Stromschnellen entfernt waren. Und das Schiff, so klein und alt es war, hatte starke Maschinen.

«Was machen wir jetzt bloß mit ihm und seinen Leuten?«fragte er mit einer Kopfbewegung auf Ramos.

Reuben deutete auf das Funkgerät.»Wir lassen sie hier. Es wäre reichlich unpraktisch, ein Dutzend Gefangene mit durch den Dschungel zu schleppen, oder etwa nicht? Ich werde einen Funkspruch an die bolivianische Polizei aufgeben, sobald wir an Land gegangen sind, damit die sie abholen. Wahrscheinlich sind sie sowieso schon hinter uns her. «Er legte eine kurze, genau berechnete Pause ein und fuhr fort, wobei er sich direkt an Ramos wandte:»Was mit Ihnen geschieht, Ramos, liegt ganz bei Ihnen selbst. Es macht mir nichts aus, Sie zusammen mit Ihrer Mörderbande unten im Laderaum einzusperren. Was die Bolivianer mit Ihnen tun werden, können Sie sich vorstellen. Das andere wäre, Sie begleiten uns — zu unseren Bedingungen.«

Ramos antwortete nicht. Reuben schien auch nicht ernsthaft damit gerechnet zu haben, denn er drehte sich mit einem beiläufigen Achselzucken um und konzentrierte sich wieder auf das Ufer.

Indianas Blick wanderte unentschlossen zwischen seinem und Ramos’ Gesicht hin und her. Er wußte, daß Reuben getan hatte, was in seiner Macht stand — aber das änderte nichts daran, daß Marcus’ Schicksal so gut wie besiegelt war, wenn sie Ramos hier zurückließen. Er fühlte sich hilflos wie nie zuvor im Leben. Er mußte irgend etwas tun.

Eine Bewegung im hinteren Teil des Schiffes weckte plötzlich seine Aufmerksamkeit. Er drehte sich um und erkannte Marian, die gebückt aus der Tür am Achteraufbau trat und sich einen Moment lang suchend umsah und dann das Ruderhaus ansteuerte.»Wo warst du?«fragte Indiana, als sie die Tür öffnete und eintrat.

«Unten«, antwortete sie.»Ich habe den Männern einen Kaffee gekocht — sie hatten ihn nötig. Die Nacht war — «

Sie brach ab. Ihr Gesicht verdüsterte sich, als ihr Blick auf Ramos fiel, und Indiana sah, wie sie am ganzen Leib zu zittern begann. In ihren Augen flatterte etwas.

Wie beiläufig trat er zwischen sie und Ramos und erklärte:»Wir werden bald an Land gehen, und wenn du irgendwelche Sachen in der Kabine hast, solltest du sie holen.«

«An Land?«Marian war nur kurz irritiert:»O ja, die Stromschnellen.«

Reuben sah verwirrt auf, und auch Indiana musterte Marian einen Moment lang verblüfft.»Woher weißt du davon?«

«Sie sind doch kaum zu überhören«, lächelte Marian.»Außerdem hat Stan einmal etwas davon erwähnt. «Sie trat einen Schritt auf Indiana zu, aber ihr Blick blieb unverwandt auf Ramos geheftet.

«Nicht, Marian«, sagte Indiana sanft. Er hob den Arm und berührte sie leicht an der Schulter.»Ich weiß, was du empfindest. Aber er ist es nicht wert.«

Marians Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich. Indiana konnte fast sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Dann wandte sie sich mit einem Ruck um und trat neben Reuben ans Fenster. Ihr Gesicht war starr und unbewegt, aber ihre Hände ballten sich unentwegt zu Fäusten und öffneten sich wieder.

Einen Moment lang musterte Reuben sie besorgt, aber er sagte nichts, sondern hob nur die Augenbrauen, schüttelte fast unmerklich den Kopf und drehte sich dann erneut zu Ramos herum.

«Ihre Bedenkzeit ist vorbei, Ramos«, sagte er.»Also, zum unwiderruflich letzten Maclass="underline" Möchten Sie mit Ihren Männern hier auf das Eintreffen der Bolivianer warten, oder ziehen Sie es vor, mit uns zusammenzuarbeiten?«

«Vielleicht gibt es ja noch eine dritte Möglichkeit«, sagte Ramos ruhig.

Reuben legte den Kopf schräg und sah ihn mißtrauisch an, und im selben Moment drehte sich Marian vom Fenster weg, zog mit einer raschen Bewegung die Pistole aus Reubens Halfter und wich mit zwei ebenso raschen Schritten von ihm zurück, als er nach der Waffe greifen wollte. Reuben erstarrte, als Marian den Hahn zurückzog und die Mündung der Pistole auf seinen Kopf richtete.

«Marian!«Auch Indiana machte einen Schritt und blieb abrupt stehen, als Marian drohend mit dem Revolver fuchtelte.

«Geh zur Seite!«verlangte Marian.

Indiana rührte sich nicht.

«Geh zurück!«verlangte sie noch einmal. Und diesmal war in ihrer Stimme eine Schärfe, die Indiana klarmachte, daß sie es ernst meinte. Für die Dauer eines Herzschlags sah er sie noch beschwörend an, wich aber dann gehorsam und mit halb erhobenen Händen weiter zurück — ohne ihr allerdings die Schußlinie auf Ramos freizugeben.»Tu das nicht«, sagte er.»Er ist es nicht wert, Marian. Und wir brauchen ihn.«