Выбрать главу

«Er wird uns umbringen«, sagte Reuben ruhig. Er hockte neben Henley auf den Knien und preßte ein zusammengefaltetes Taschentuch auf die heftig blutende Wunde in dessen Oberschenkel.

«Ich bitte Sie, Mr. Reuben«, sagte Ramos. Er brachte das Kunststück fertig, ehrlich betrübt zu klingen.»Ich werde Ihnen die gleiche Chance einräumen, die Sie mir und meinen Männern einräumen wollten. Allerdings werden Sie verstehen, daß ich darauf verzichte, die Behörden von Ihrem Aufenthaltsort in Kenntnis zu setzen. Wahrscheinlich sind sie ohnehin schon auf dem Weg hierher. Sie werden die Unbequemlichkeit Ihres eigenen Gefängnisses also allerhöchstens für wenige Stunden in Kauf nehmen müssen.«

Sie waren den Stromschnellen bis auf eine halbe Meile nahe gekommen, ehe am Ufer endlich eine Stelle auftauchte, wo das Schiff anlegen konnte. Das Grollen des tobenden Wassers war so laut geworden, daß es nahezu jedes andere Geräusch übertönte, und das Schiff zitterte und bebte in der reißenden Strömung so heftig, daß Indiana fast Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben. Über dem Fluß hing eine gewaltige Gischtwolke, und was aus der Entfernung wie winzige Felsen ausgesehen hatte, entpuppte sich aus der Nähe als ein Gewirr zyklopischer Brok-ken und Steintrümmer, die den Fluß auf zwei oder drei Meilen in eine Todesfalle verwandelten. Obwohl die Dampfturbine und der Hilfsdiesel beide arbeiteten, hatten sie alle Mühe, das Schiff auf der Stelle zu halten.

Indiana war der letzte ihres Trupps, der von Bord ging — genauer gesagt der vorletzte, denn zwei Schritte hinter ihm folgte noch einer von Ramos’ Männern, der eine entsicherte Maschinenpistole auf seinen Rücken gerichtet hatte. Ramos hatte nicht mehr sehr viel gesagt, aber er hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß der Bursche die Waffe auch benutzen würde, wenn Indiana auch nur einen winzigen Fehler machte; ganz egal, ob er ihn brauchte oder nicht. Und Indiana glaubte ihm.

Aber ganz abgesehen davon — er fühlte sich ohnehin nicht in der Verfassung, irgend etwas zu tun. Der ungläubige Schrek-ken, der ihn gepackt hatte, als er sah, wie Marian Reubens Waffe an sich nahm, war keinen Deut schwächer geworden. Er fühlte sich immer noch wie vor den Kopf geschlagen, und selbst jetzt, nachdem viel Zeit vergangen war, fiel es ihm schwer, auch zu glauben, was geschehen war. Er begriff es einfach nicht. Es war nicht das erste Mal, daß er belogen und sogar benutzt worden war, und doch hatte ihn seine Menschenkenntnis noch niemals so im Stich gelassen wie jetzt. Und er weigerte sich einfach, es als Tatsache hinzunehmen. Nicht bei Marian.

Mit erhobenen Armen, unsicher auf der schwankenden Planke balancierend, die vom Bord des Schiffes zum Ufer hinabführte, näherte er sich Ramos und seiner Mörderbande, legte die letzten eineinhalb Meter mit einem gewagten Satz zurück und richtete sich sehr vorsichtig wieder auf, als gleich ein halbes Dutzend Gewehrläufe zugleich auf ihn zielte.

«Was tun Sie?«fragte Ramos scharf.

«Nichts«, antwortete Indiana hastig.»Ich bin … ausgerutscht.«

Ramos’ erloschene Augen starrten ihn an, als könnten sie ihn sehen, aber der Krüppel sagte nichts, sondern drehte sich mit einem Ruck wieder zu seinen Leuten um und machte eine herrische Geste.»Kümmert euch um das Schiff.«

Während zwei von Ramos’ Männern darangingen, das Boot mit Tauen zu befestigen, die Indianas Meinung nach allerdings viel zu dünn waren, um der reißenden Strömung standzuhalten, durchsuchten die anderen die von Bord mitgebrachten Ausrüstungsgegenstände. Obwohl Reubens Truppe kaum halb so groß war wie die des Killers, gab es notfalls genug Vorräte für einen wochenlangen Marsch durch den Busch, und die Gangster hatten alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war. Trotzdem fiel Indiana auf, daß sie sehr genau auswählten, was sie wirklich mitzunehmen gedachten und was dableiben sollte, und daß sie nur sehr wenige Vorräte an sich nahmen. Er vermutete, daß sie nicht mehr sehr weit von ihrem Ziel entfernt waren — oder daß es ein zweites Lager gab, in dem Ramos bereits sein eigenes Depot errichtet hatte.

Er bemerkte Marian am anderen Ende der kleinen Lichtung, an der sie angelegt hatten, und machte einen Schritt in ihre Richtung. Der Bursche, der ihn zu bewachen hatte, folgte ihm getreulich, hielt ihn aber nicht zurück, so daß Indiana weitergehen konnte. Marian blickte ihm mit einer Mischung aus Trauer und Trotz entgegen.

Eine ganze Weile blickte Indiana sie nur stumm an. Er wollte irgend etwas sagen, aber er konnte es nicht. Dies war nicht der Moment, um ihr Vorwürfe zu machen oder etwas so Albernes zu tun, wie an ihre alte Freundschaft zu appellieren. Was immer in Marian vorgegangen war, um sie so weit zu bringen, hatte lange gedauert, sehr lange. Und es war nicht mit ein paar Worten wieder rückgängig zu machen.

«Es tut mir leid«, sagte er schließlich nur.

«Mir auch, Indy«, antwortete Marian.»Hoffentlich wirst du mich verstehen, wenn alles vorbei ist.«

«Wer sagt dir, daß ich das nicht jetzt schon tue?«fragte Indiana.

Marian biß sich auf die Unterlippe. Sie hielt seinem Blick jetzt nicht mehr stand, sondern sah unstet hierhin und dorthin und begann, sich nervös auf der Stelle zu bewegen. Als Indiana hinter sich Ramos’ schleifende Schritte und einen Augenblick später seine Stimme hörte, stellte er fest, daß sie sichtlich aufatmete.

«Es ist Zeit, Dr. Jones«, sagte Ramos.»Sie werden später noch ausreichend Gelegenheit haben, sich mit Mrs. Corda zu unterhalten.«

Ramos’ Männer hatten Reubens Ausrüstung geplündert und die Reste achtlos am Ufer verstreut. Indiana bemerkte, daß sich eine große Anzahl von Waffen und Munition unter diesen Dingen befand, die sie nicht mitnehmen wollten. Der Anblick irritierte ihn ein wenig. Entweder dieses Verhalten zeugte von einem geradezu bodenlosen Leichtsinn — oder sie rechneten nicht damit, überhaupt verfolgt zu werden. Sein Blick wanderte zurück zum Ufer und dem Schiff, das in der Strömung zitterte und an den beiden Tauen zerrte. Aber als er besorgt eine entsprechende Bemerkung machen wollte, unterbrach ihn Ramos wütend und gab das endgültige Zeichen zum Aufbruch. Der Mann hinter Indiana nutzte die Gelegenheit, ihm einen derben Stoß mit dem Lauf der Maschinenpistole zu versetzen.

Eine gute halbe Stunde wanderten sie am Ufer des Flusses entlang, ohne in dieser Zeit mehr als eine Meile zurückzulegen. Vom Boot aus betrachtet hatte der Dschungel wie eine kompakte Mauer ausgesehen, und genau das war er auch: ein fast undurchdringliches Gestrüpp aus Bäumen, Unterholz, Farn und den faulen Resten umgestürzter Baumriesen, aus deren Wurzeln schon wieder neue Bäume sprossen. All das setzte den unablässig hackenden Macheten der Männer zähen Widerstand entgegen. Sie entfernten sich nie sehr weit vom Fluß, den Ra-mos zumindest im Moment noch als Wegweiser zu benutzen schien. Die meiste Zeit über konnte Indiana es blau und silbern durch das Gestrüpp zur Linken glitzern sehen, und nur einmal mußten sie einen Bogen durch den Dschungel schlagen, als der Mann an der Spitze eine Warnung rief, die Indiana zwar nicht verstand, die aber die anderen dazu brachte, hastig die Richtung zu wechseln.

Aber schließlich lichtete sich das Unterholz doch ein wenig, und nach einer weiteren schweißtreibenden halben Stunde lag vor ihnen plötzlich kein Urwald mehr, sondern ein vielleicht fünfzig Yards breiter steiniger Uferstreifen, der unmittelbar neben den ersten Felsen der Stromschnellen in eine fast lotrechte, wie glatt geschliffen wirkende Felswand überging. Indiana fragte sich unwillkürlich, wie Ramos bloß dieses Hindernis überwinden wollte, und er stellte diese Frage auch laut.

Ramos lachte nur.»Warten Sie es ab, Dr. Jones.«

Das Vorankommen wurde jetzt noch schwieriger. Hatten sie sich im Dschungel zwar langsam aber doch einigermaßen sicher bewegen können, so war das Gehen auf dem unebenen, mit scharfkantigen Felsen und Steintrümmern übersäten Boden nicht nur schwieriger, sondern manchmal direkt lebensgefährlich. Mehr als einmal stürzte einer von Ramos’ Männern oder löste eine kleine Steinlawine aus, und auch Indiana glitt auf dem unsicheren Boden mehrmals aus und fand erst im letzten Moment seine Balance wieder.