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Dafür bewegte sich Ramos mit geradezu unheimlicher Sicherheit. Indiana hatte es längst aufgegeben, sich darüber zu wundern, wieso sich ein blinder Mann in einem Land wie diesem überhaupt zurechtfand; geschweige denn, wie er ohne Hilfe in diesem Felsengewirr überhaupt auf den Beinen blieb. Man sagte zwar, daß Blinde über ein fantastisches Gehör verfügen und sich allein anhand von Geräuschen zu orientieren vermögen, aber wenn das stimmte, dann mußte Ramos über die Ohren einer Fledermaus verfügen.

Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis sie den Fuß der Felswand erreicht hatten. Nicht nur Indiana war mit seinen Kräften völlig am Ende. Auch Ramos’ Männer schleppten sich mehr dahin, als daß sie gingen, und Marian war zweimal gestürzt und das letzte Mal nur noch mühsam wieder auf die Beine gekommen. Indiana hatte ihr helfen wollen, aber sein Bewacher hatte das verhindert. Der einzige, der keinerlei Spuren von Erschöpfung zeigte, war Ramos selbst. Aber er erhob auch keinen Einspruch, als sich die Männer am Fuße der Felswand niedersinken ließen, um eine Pause einzulegen.

Auch Indiana ließ sich erschöpft gegen die Wand fallen und schloß für einen Moment die Augen. Die Hitze war hier draußen außerhalb des Dschungels unerträglich geworden. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, daß er das Gefühl hatte, Flüssigkeit zu atmen, und sein Herz hämmerte in seiner Brust, als wolle es jeden Moment zerspringen. Er begann allmählich zu begreifen, was Ramos gemeint hatte, als er sagte, fünfzig Meilen in diesem Land wären mehr als fünfhundert in dem, aus dem Reuben stammte.

Nach einer Weile hob er wieder die Lider und sah sich mühsam um. Er fragte sich, wie es überhaupt weitergehen sollte. Zur Rechten, so undurchdringlich und abweisend wie zuvor, erstreckte sich das Schwarz-Grün des Dschungels. Auf der anderen Seite tobten die von einer gewaltigen Gischtwolke gekrönten Stromschnellen. Der Felsen — ein nahezu würfelförmiger, sicherlich fünfzig oder sechzig Yards hoher massiver Block — reichte bis unmittelbar an den Fluß heran. Sein Fuß versank im weißen Schaum des kochenden Wassers.

Ein Schatten legte sich über ihn, und als er aufsah, blickte er in Ramos’ entstelltes Gesicht. Es erfüllte Indiana mit einem absurden Gefühl von Genugtuung, auch auf seiner Stirn Schweißperlen zu sehen.

«Was wollen Sie?«fragte er unfreundlich. Er mußte fast schreien, um das Tosen der Stromschnellen zu übertönen.

Ramos sah ihn nicht direkt an, sondern blickte auf eine Stelle ungefähr dreißig Zentimeter neben seinem Gesicht, als er antwortete. Indiana begriff, daß der Lärm des Flusses seinen fast unheimlichen Orientierungssinn störte. Er merkte sich diese Beobachtung für später. Vielleicht würde sie noch einmal wichtig werden.»Mit Ihnen reden, Jones.«

«Was gibt es da noch zu bereden?«erwiderte Indiana knapp.

«Bitte, Dr. Jones«, sagte Ramos.»Wir wissen beide, was wir voneinander zu halten haben, und wir wissen beide, in welcher Situation wir sind. Wir haben nicht genügend Zeit, um sie mit Wortspielereien zu verschwenden.«

«Dann kommen Sie doch endlich zur Sache«, knurrte Indiana.

Er stand auf. Ramos’ blinde Augen folgten der Bewegung, aber erst nach einigen Sekunden und nicht sehr präzise.»Das nächste Stück des Weges wird sehr anstrengend, Dr. Jones«, sagte er.»Sehr anstrengend und sehr gefährlich. Sie werden möglicherweise auf die Idee kommen zu fliehen. Deshalb möchte ich, daß Sie folgendes wissen: Ich habe meinen Männern befohlen, nicht nur Sie, sondern auch Mrs. Corda zu erschießen, sollten Sie einen Fluchtversuch unternehmen. Und was dann mit Mr. Brody geschehen wird, können Sie sich ja wohl denken.«

Indiana starrte ihn zornig an und schwieg.

«Ich sehe, Sie haben verstanden«, sagte Ramos nach einer Weile.»Und nun kommen Sie. «Er machte eine auffordernde Bewegung. Als Indianas Blick der Geste folgte, sah er, daß sich Ramos’ Männer an einem Punkt vor der Felswand, vielleicht fünf oder zehn Yards neben dem Fluß, versammelt hatten. Im gleißenden Licht der Sonne eigentlich nur durch seinen Schatten zu erkennen, hing ein geflochtenes Seil am Felsen herab. Als Indiana näher kam und genauer hinsah, erkannte er Steighaken, die in regelmäßigen Abständen in den Stein getrieben worden waren. Ein überraschter Laut kam über seine Lippen.

Ramos lächelte dünn.»Professor Corda war so freundlich, diesen Weg für uns vorzubereiten«, sagte er.

Indiana musterte das Seil und die Steighaken verwirrt.»Hat er auch seinen Lastwagen dort hinaufgezogen?«fragte er spöttisch.

«Natürlich nicht. Er steht gar nicht weit entfernt von hier im Wald. Haben Sie ihn denn nicht gesehen?«Ramos lachte humorlos.»Ich dachte, nur ich wäre hier blind.«

Indiana ersparte sich eine Antwort darauf.

Nacheinander begannen die Männer, an der Wand empor-zuklettern. Sie taten es in großem Abstand, so daß sich immer nur zwei Mann gleichzeitig am Seil befanden. Offensichtlich trauten sie dessen Tragfähigkeit nicht allzuweit. Indiana zögerte, als die Reihe an ihn kam. Er war gut in Form und ein geübter Kletterer, aber der Anblick dieser dreifach haushohen, spiegelglatten Felswand ließ ihn trotzdem schaudern.

«Worauf warten Sie, Jones?«schnappte Ramos.

Indiana deutete mit einer Kopfbewegung auf Marian.»Das schafft sie niemals.«

«Oh, ich denke schon«, antwortete Ramos.»Sie muß es einfach.«

«Lassen Sie uns zusammen hinaufsteigen«, bat Indiana.»Ich helfe ihr.«

Ramos lachte.»Für wie dumm halten Sie mich eigentlich, Dr. Jones? Aber wenn es Sie beruhigt — ich werde meinen besten Mann mit ihr hinaufsteigen lassen. Nachdem Sie oben angekommen sind. Und nun — bitte. Unsere Zeit ist knapp.«

Indiana starrte Ramos böse an, beeilte sich aber, nach dem Seil zu greifen, bevor der Mann an seinem Rücken Ramos’ Worten mit einem weiteren Gewehrstoß Nachdruck verschaffen konnte.

Die ersten Meter waren leichter, als er geglaubt hatte. Das Seil war rauh und lag gut in der Hand, und auf den regelmäßig eingeschlagenen Steighaken fanden seine Füße sicheren Halt. Rasch, aber nicht hastig kletterte er fünf, sechs Meter weit in die Höhe und hielt inne, um sich umzusehen.

Der Wald und der Fluß machten auch von oben betrachtet keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Er befand sich noch nicht ganz auf Höhe der Baumwipfel, konnte aber bereits erkennen, daß sich der Dschungel zu beiden Seiten des Flusses so weit erstreckte, wie der Blick reichte, und der Fluß selbst –

Indiana erstarrte. Auf dem Fluß bewegte sich etwas. Ein kleines, plumpes Boot aus rostigem Eisen, das offensichtlich steuerlos in der Strömung trieb und sich der tödlichen Felsbarriere mit wachsender Geschwindigkeit näherte!

«Worauf warten Sie, Jones?«schrie Ramos von unten.»Klettern Sie weiter!«

Indiana löste die linke Hand vom Seil und deutete heftig gestikulierend den Fluß hinab.»Das Boot!«schrie er zurück.»Es hat sich losgerissen! Es treibt auf die Stromschnellen zu!«

Die Männer unter ihm drehten sich um. Nur Ramos’ Gesicht blieb weiter auf ihn gerichtet.»Klettern Sie weiter, Dr. Jones!«befahl er.

«Aber sie werden auf die Riffe prallen!«schrie Indiana zurück.»Das Boot ist führerlos! Sie werden alle sterben!«

«Was für ein schreckliches Unglück«, grinste Ramos spöttisch.

Indiana starrte ihn voller Zorn an.»Das haben Sie getan!«schrie er.»Sie wollen, daß sie ertrinken!«

«Sie können sie sowieso nicht mehr retten«, erwiderte Ramos kalt.»Also klettern Sie weiter, Dr. Jones. Bevor ich Sie an den Füßen dort hinaufziehen lasse.«