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Indiana rührte sich nicht. Seine Gedanken rasten. Sein Blick wanderte zwischen den Stromschnellen und dem Schiff, das sich ihnen immer rascher näherte, hin und her. Die Strömung war hier so stark, daß das Schiff wahrscheinlich nicht einmal mehr zu retten wäre, wenn seine Maschinen laufen würden und seine Mannschaft nicht im Laderaum eingesperrt wäre. Aber er konnte nicht einfach zusehen, wie mehr als ein halbes Dutzend Menschen hilflos ertrank!

Ramos wartete weitere zehn Sekunden lang vergeblich darauf, daß Indiana weiterkletterte, dann trat er zurück und machte eine befehlende Geste mit der linken Hand. Zwei seiner Männer richteten ihre Gewehre auf Indiana, während ein dritter die Waffe über die Schulter schwang und dann mit beiden Händen nach dem Seil griff, um mit raschen Bewegungen zu ihm hinaufzusteigen.

Das Boot war mittlerweile noch weiter näher gekommen. Indiana schätzte, daß allerhöchstem noch eine Minute Zeit blieb, bis es auf die ersten Riffe treffen und unweigerlich daran zerschellen mußte.

Entschlossen packte er das Seil wieder mit beiden Händen, stemmte die Füße gegen die Felswand — und stieß sich mit aller Kraft davon ab!

Der Mann unter ihm schrie überrascht auf und klammerte sich mit Armen und Beinen an das Seil. Indiana warf sich herum, wodurch das Tau wild zu pendeln begann.

«Jones!«schrie Ramos.»Was tun Sie?«

Indiana verschwendete keine Energie darauf, diese sinnlose Frage zu beantworten, sondern stieß sich abermals von der Wand ab und sah schnell nach unten. Obwohl das Seil jetzt wie ein Pendel an der Wand auf- und abschwang, kletterte der Bursche unter ihm verbissen weiter und war jetzt allerhöchstens noch einen oder eineinhalb Meter von ihm entfernt. Jemand schoß auf ihn. Die Kugel schlug meterweit unter ihm gegen den Felsen und gefährdete eher den anderen. Ramos sorgte auch sofort mit einem gebrüllten Befehl dafür, daß das Feuer wieder eingestellt wurde. Indiana stieß sich abermals von der Wand ab. Das Seil pendelte immer stärker und begann hörbar zu knirschen. Seine rechte Schulter streifte immer wieder den Felsen und tat höllisch weh, aber Indiana nahm keine Rücksicht darauf, sondern versuchte im Gegenteil, die Pendelbewegung des Seiles noch zu verstärken.

Etwas berührte seinen Fuß. Indiana sah nach unten und bemerkte entsetzt, daß Ramos’ Killer ihn beinahe erreicht hatte. Trotz seiner lebensgefährlichen Lage war der andere weitergeklettert und grinste hämisch, während er sich nur noch mit einer Hand am Seil festklammerte und mit der anderen nach seinem Fuß angelte. Indiana fluchte, holte mit dem anderen Fuß aus und plazierte den Absatz seines rechten Stiefels zielsicher in diesem Grinsen, das sich unverzüglich in eine schmerzerfüllte Grimasse verwandelte. Aber der Kerl schien nicht nur über die Muskeln und den Intelligenzquotienten eines Orang-Utan zu verfügen, sondern auch über dessen Nervensystem, denn er ließ immer noch nicht los, sondern klammerte sich nur noch um so verbissener an Indianas Fuß fest.

Dessen Blick suchte das Boot. Es war bis auf achtzig oder hundert Yards herangekommen, wurde immer schneller und schoß, dem Sog der Strömung folgend, auf eine Lücke zwischen den Felsen zu, vielleicht fünfzehn, zwanzig Meter vom Ufer entfernt. Das Wasser war an dieser Stelle so glatt, daß Indiana sich die Strömung, die dort herrschte, lieber erst gar nicht vorzustellen versuchte.

Das Seil schwang wieder zurück, und für einen Moment kam der Fluß außer Sicht. Fünf oder sechs Meter unter sich sah er Ramos’ Männer kopflos durcheinander rennen. Ramos gestikulierte wie wild und schien nun doch die Orientierung verloren zu haben, denn er brüllte in eine Richtung, in der niemand war, während Marian starr vor Schrecken zu ihm hinaufsah.

Das Seil hatte den höchsten Punkt seiner Pendelbewegung erreicht und schwang zurück. Indiana half abermals mit den Füßen nach, um seine Geschwindigkeit noch zu erhöhen. Wieder schrammte seine Schulter an der Wand entlang, und diesmal hinterließ sie eine blutige Spur auf dem Stein. Schneller und schneller werdend raste Indiana auf Ramos’ Bande zu, warf sich noch einmal herum und trat nach der Hand, die sich um seinen linken Knöchel klammerte. Er traf. Ein gellender Schrei erscholl, und plötzlich war der furchtbare Druck auf sein Bein verschwunden, und der Bursche flog wie ein lebendes Geschoß mitten unter Ramos’ Männer und riß drei oder vier von ihnen gleichzeitig von den Füßen. Das Seil bewegte sich weiter, schwang wieder in die Höhe — und dann war unter ihm kein Fels mehr, sondern weißes, schaumgekröntes Wasser.

Indiana ließ los.

Eine Sekunde lang hatte er das Gefühl, schwerelos in der Luft zu hängen, dann begann er zu stürzen. Brodelndes Wasser und rasiermesserscharfe Felskanten schienen ihm entgegenzuspringen, doch plötzlich sah er etwas Graues, Auf- und Abhüpfendes unter sich.

Der Aufprall auf dem eisernen Deck des Schiffes war weniger hart, als er erwartet hatte. Indiana wurde von den Füßen gerissen und überschlug sich drei- oder viermal, aber er kam allein durch den Schwung seiner Bewegung wieder auf die Beine. Blitzschnell fuhr er herum, machte einen Schritt und stürzte nun doch, als sich das Boot unter ihm aufbäumte wie ein durchgehendes Pferd. Irgend etwas traf mit einem fürchterlichen Knirschen den Rumpf unter der Wasseroberfläche. Indiana kämpfte sich auf Hände und Knie hoch und kroch auf das Ruderhaus zu. Durch die tobende Gischt konnte er Ramos’ Männer erkennen, die ans Ufer gestürmt waren und wild mit den Armen fuchtelten und schrien. Einige zielten mit ihren Gewehren auf ihn, aber niemand schoß. Oder vielleicht doch — aber das Brüllen des Wassers war hier so gewaltig, daß es jeden anderen Laut verschlang.

Wieder traf irgend etwas mit unvorstellbarer Wucht den eisernen Rumpf des Schiffes, und Indiana wurde erneut herumgeschleudert. Hilflos schlitterte er über das Deck, prallte schmerzhaft gegen eine Wand und suchte instinktiv irgendwo nach Halt.

Er hatte Glück im Unglück — die Tür, gegen die er geprallt war, war die des Ruderhauses, und trotz des wild auf- und abspringenden Decks unter seinen Füßen gelang es ihm, in die Höhe zu kommen und sie aufzureißen.

Er torkelte durch den Raum, prallte schwer gegen das Ruder und klammerte sich instinktiv daran fest. Das hölzerne Rad warf sich in seinen Händen hin und her wie ein wildes Tier, das sich gegen seinen Griff zur Wehr setzte, und vor den Scheiben der Ruderkabine war nichts als kochende Gischt, in der es manchmal rauh und tödlich aufblitzte. Das Schiff kippte zur Seite, richtete sich wieder auf und schlug zum dritten Mal gegen ein Hindernis. Diesmal konnte Indiana hören, wie Metall splitterte und nachgab.

Mit verzweifelter Kraft versuchte er, das Ruder geradezuhalten. Er konnte kaum etwas sehen. Das Schiff wurde immer noch schneller, obwohl es jetzt unablässig gegen Riffe und Felsen krachte. Vor ihm schien etwas wie eine Lücke zwischen zwei großen Riffen zu sein, aber er war sich nicht sicher — und er wußte erst recht nicht, was sich unter der schäumenden Wasseroberfläche verbarg.

Sein Blick irrte über die Kontrollen des Bootes, und schließlich fand er den Anlasser der Dieselmaschine. Mit verzweifelter Kraft drückte er ihn nieder und hörte, wie tief im Rumpf des Bootes der Motor anzuspringen versuchte. Es gelang nicht. Und selbst wenn — der kleine Hilfsdiesel war viel zu schwach, um das Schiff gegen diese Strömung zu halten.

Indiana gab seine vergeblichen Bemühungen auf, den Motor zu starten, und verwandte statt dessen seine Kraft und Konzentration darauf, den stumpfen Bug des Schiffes auf die Lücke zwischen den Felsen vor sich auszurichten. Die rasende Strömung warf das Boot hin und her, schleuderte es in die Höhe und drückte den Bug fast einen Meter weit unter Wasser. Irgend etwas traf die rechte Seite des Ruderhauses und ließ sämtliche Scheiben zerbersten. Eiskaltes Wasser und ein Hagel scharfkantiger Glassplitter überschütteten Indiana. Er ignorierte das alles und konzentrierte sich ganz auf die Lücke zwischen den Felsen, die rasend schnell näher kam. Das Boot driftete nach rechts, schwenkte zurück und legte sich wieder gefährlich auf die Seite, ehe es sich schwerfällig und beinahe widerwillig wieder aufrichtete. Die Felsen kamen näher, schienen dem Schiff plötzlich entgegenzuspringen, und Indiana registrierte voller Entsetzen, daß die Lücke nicht halb so breit war, wie es bisher den Anschein gehabt hatte, und sich auch unter Wasser eine Barriere aus tödlichen Riffen dahinzog.