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Der Raum stand zu gut zwei Dritteln unter Wasser und war völlig verwüstet. Auf der Wasseroberfläche trieben Holz und Stoffetzen und aufgerissene Lebensmittelpakete mit verquollenem Inhalt. Aber das war nicht das Schlimmste.

Fußboden und Wände hatten die Plätze getauscht. Das Schiff trieb kieloben im Wasser.

Reuben mußte bemerkt haben, daß Indiana zu sich gekommen war, denn er watete durch die eiskalten Fluten auf ihn zu.»Sind Sie verletzt?«erkundigte er sich besorgt. Bevor Indiana auch nur antworten konnte, fügte er hinzu:»Sie wären um ein Haar ertrunken, Dr. Jones. Sie waren bewußtlos. Einer der Männer hat Sie aus dem Wasser gefischt und an die Wand gelehnt.«

Indiana hob die Hand an den schmerzenden Kopf und stöhnte.»Ich bin noch nicht sicher, ob ich ihm dankbar dafür sein soll«, murmelte er.

Reuben lächelte, aber sein Blick blieb ernst. Als Indiana ihn genauer ansah, erkannte er unter der mühsam aufrechterhaltenen Maske von Sicherheit eine Furcht, wie er sie bisher an dem FBI-Beamten noch nie entdeckt hatte.

«Was ist passiert?«fragte er alarmiert.

«Das weiß ich nicht«, antwortete Reuben.»Sie waren oben, ich nicht. Aber es sieht so aus, als wären wir gekentert.«

«Die Stromschnellen«, murmelte Indiana. Er hatte noch immer Mühe, sich zu erinnern. Der Schlag auf seinen Kopf war nicht so heftig gewesen, daß er das Gedächtnis verloren hätte, aber er fühlte sich benommen, und es fiel ihm schwer, seine Gedanken in die richtige Reihenfolge zu bringen.»Das Boot muß sich losgerissen haben«, murmelte er.»Ich habe Ramos gesagt, er soll es besser vertäuen lassen.«

«Losgerissen!?«Reuben lachte hart.»So kann man es auch nennen.«

Indiana sah auf.»Wie meinen Sie das?«

Ein grimmiger Ausdruck huschte über Reubens Gesicht.»Nachdem alle von Bord gegangen sind, ist er noch einmal zurückgekommen und hat eines der Taue gelöst«, sagte er.»Ich habe es zwar nicht gesehen, aber man konnte alle Schritte hier unten deutlich hören, und das waren seine.«

Indiana war nicht einmal besonders erstaunt. Aber er war zutiefst erschüttert. Er war im Laufe seines abenteuerlichen Lebens so manchem Verbrecher begegnet, und er hatte mehr Menschen sterben sehen (und auch einige selbst getötet) als fast alle anderen Menschen in ihrem ganzen Leben. Aber er war niemals einem Menschen begegnet, der so völlig ohne Gewissen handelte wie Ramos. Einen Moment lang fragte er sich, ob es vielleicht daran lag, daß er blind war. Vielleicht war das Leben für einen Menschen, dessen Welt nur aus Geräuschen, Gerüchen und dem bestand, was er ertasten konnte, nicht so kostbar und heilig wie für ihn und all die anderen, die sehen konnten.

Er verscheuchte den Gedanken. Wahrscheinlich war es eher so, daß Ramos verrückt war; verrückt und unberechenbar und gefährlich. Warum er das war, darüber konnte er sich den Kopf zerbrechen, wenn sie hier heraus waren. Falls sie jemals hier herauskamen.

Obwohl er sich die Antwort auf seine Frage denken konnte, wandte er sich wieder an Reuben.»Was ist mit der Tür?«

«Verklemmt«, antwortete der FBI-Beamte.»Irgend etwas muß von außen dagegengefallen sein, als sich das Schiff überschlagen hat. Wir haben versucht, sie aufzubrechen. Es geht nicht. Sie liegt unter Wasser.«

Indianas Blick suchte die Wand, in der sich die Tür befand. Der Lagerraum hatte sich ein gutes Stück unter dem Niveau des Ganges draußen befunden. Die kurze Eisenleiter, die zu seinem Boden herabgeführt hatte, hing jetzt von der Decke aus vier oder fünf Stufen weit nach unten, ehe sie im Wasser verschwand.

«Steigt es?«flüsterte er.

«Das Wasser?«Reuben zuckte mit den Schultern und machte gleichzeitig eine Bewegung, die ein wenig überzeugtes Kopfschütteln sein mochte.»Im Augenblick nicht. Das Schiff scheint auf Grund gelaufen zu sein. Wie es aussieht, haben wir Glück im Unglück gehabt — wenn die Strömung uns weitergerissen hätte, wären wir wahrscheinlich längst alle ertrunken.«

Indiana blickte ihn mit gemischten Gefühlen an. Er dachte an die furchtbare Kraft des Wassers, die er selbst erlebt hatte. Das Schiff war hoffnungslos zwischen den Felsen eingekeilt gewesen, und doch hatten der Strömung wenige Minuten gereicht, es loszureißen.

«Aber das alles wird uns sowieso nicht viel nützen«, fuhr Reuben düster fort.»Die Luft hier drinnen reicht vielleicht noch für eine Stunde — wenn wir Glück haben.«

Und wie um seine Kassandra-Rufe zu bestätigen, durchlief in diesem Moment ein sachtes Zittern den Rumpf des Bootes. Die Wasseroberfläche begann Wellen zu schlagen, und einige der Männer bewegten sich unruhig. Trotzdem legten sie eine erstaunliche Disziplin an den Tag, überlegte Indiana, wenn man bedachte, daß sie dem sicheren Tod ins Auge sahen. Soweit es in der spärlichen Beleuchtung möglich war, sah er sich die Männer aufmerksam an. Das hatte er bisher eigentlich noch nicht getan. Ihrem Aussehen und der Art nach zu schließen, wie Reuben und Henley mit ihnen umgingen, hatte er sie für Söldner gehalten, käufliche Abenteurer wie die, die in Ramos’ Diensten standen und die für Geld alles taten; Männer, die er zur Genüge kannte und mied, wo es ging.

Aber er war mit einem Male gar nicht mehr so sicher. Die Gesichter, in die er blickte, waren bärtig und übermüdet und zeigten Spuren der überstandenen Anstrengung. Er las Furcht in ihren Augen, aber da war auch noch etwas anderes.

«Das sind keine Söldner«, sagte er plötzlich.

Reuben blickte ihn an und schwieg.

«Das sind Soldaten, nicht wahr?«fuhr Indiana fort. Reuben sagte immer noch nichts, und es gelang Indiana auch nicht, genau den vorwurfsvollen Ton in seine Stimme zu legen, den er eigentlich vorgehabt hatte.»Sie sind mit einer kleinen Armee hierher gekommen, Reuben. In ein fremdes Land. Mit ein bißchen bösem Willen könnte man das als einen kriegerischen Akt bezeichnen. Deshalb hatten Sie es auch so eilig zu verschwinden, als sich die bolivianischen Behörden einschalteten. Und Sie haben mich mit in Ihren kleinen Privatkrieg hineingezogen.«

Reuben versuchte, eine zornige Geste zu machen, vergaß aber offensichtlich, daß er bis zur Brust im Wasser stand. Es platschte, Reuben blinzelte überrascht und hob dann zum zweiten Mal und diesmal langsamer die Hand, um sich das Wasser aus den Augen zu wischen.»Es ist kein Privatkrieg«, antwortete er betont.»Und ich schlage vor, daß wir uns darüber unterhalten, wenn wir hier herausgekommen sind — falls wir es überleben, heißt das.«

Indiana schluckte die wütende Antwort, die ihm auf der Zunge lag, hinunter. Statt dessen richtete er sich vorsichtig ganz auf, watete an Reuben vorbei und näherte sich der Treppe, die von der Decke herabhing. Er zitterte am ganzen Leib. Die Kälte war unerträglich, und das eisige Wasser tat sein Bestes, um auch noch das letzte bißchen Wärme aus seinem Körper herauszusaugen. Vielleicht hatten sie nicht nur die Wahl zwischen Ersticken und Ertrinken, sondern auch noch die Chance, zu erfrieren, ehe sie eine der beiden anderen Todesarten kennenlernen konnten.

Er erreichte die Treppe, versuchte einen Moment lang vergeblich, sich in Erinnerung zu rufen, wie dieser Lagerraum ausgesehen hatte, als er noch nicht zu zwei Dritteln unter Wasser und auf dem Kopf stand, atmete tief ein — und tauchte unter. Seine Hände tasteten ziellos umher. Er fühlte Widerstand, griff fester zu und zog sich an den metallenen Treppenstufen weiter unter Wasser und gleichzeitig auf die Wand zu. Sein Herz raste. Er hatte viel zu wenig Luft eingesogen, ehe er untergetaucht war, und spürte bereits Atemnot, ehe er die Tür auch nur erreicht hatte. Trotzdem widerstand er dem Drang, auf der Stelle wieder aufzutauchen, und tastete mit den gespreizten Fingern der rechten Hand über die Tür.

Sie bewegte sich zwei oder drei Zentimeter weit, ehe sie auf Widerstand traf. Indiana drückte heftiger, versuchte, sich mit der linken Hand an der Treppe festzuhalten, und preßte die andere mit aller Gewalt gegen die Tür. Das Metall zitterte, und er glaubte zu spüren, wie irgend etwas nachgab, aber bevor er sich mit aller Gewalt gegen die Tür werfen konnte, wurde die Atemnot unerträglich. Er tauchte auf, rang keuchend nach Luft und klammerte sich an dem erstbesten fest, was er zu fassen bekam — Reubens Schulter.