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«Es ist vor allem die Furcht, die zu verlieren, die du bisher hast«, erwiderte der Alte.

«Was … was für ein haarsträubender Unsinn«, murmelte Reuben verstört. Sein Blick flackerte. Er sah Indiana beinahe hilfesuchend an.»Ich verstehe einfach nicht, wovon er überhaupt redet.«

«Aber ich«, sagte Indiana leise.

Der Aymará wandte sich an ihn.»Ihr seid leicht zu durchschauen«, sagte er.»Ihr wißt soviel und doch wieder ganz wenig. Und am wenigsten über euch selbst. Wirklich, Dr. Jones, glauben Sie immer noch, daß Sie hergekommen sind, um Ihren Freund zu retten? Aber war es nicht mindestens ebensosehr das Abenteuer, das Sie gelockt hat? Und die Liebe zu einer Frau, von der Sie nicht einmal wahrhaben wollen, wie sehr Sie sie lieben? Oder wissen Sie es wirklich nicht?«

Indiana schwieg verwirrt.

Der Aymará wandte sich wieder an Reuben. Und diesmal waren seine Worte ernst. Er sprach nicht mehr wie zu einem Kind.»Und Sie, Mr. Reuben — Sie glauben, verhindern zu müssen, daß Ihre Feinde El Dorado finden. Sie haben Angst, Sie könnten dort etwas entdecken, was die Vormachtstellung Ihres Volkes gefährdet. Aber Sie werden scheitern. Sie täuschen sich. Der Mann, den Sie verfolgen, ist kein Verräter an seinem Volk. Er kam aus dem gleichen Grund hierher wie all die anderen vor ihm. Er suchte Gold. Und auch Sie werden der Verlockung des Goldes erliegen, wenn Sie es sehen. Und wenn nicht Sie, so die Männer, die Sie begleiten. Sie sehen also — ich kann Sie nicht gehen lassen.«

Reuben starrte den Aymará mit offenem Mund an.»Woher … wissen Sie das?«stammelte er.»Das … das ist völlig unmöglich. Sie können das nicht wissen.«

«Doch«, sagte Indiana leise.»Er kann es.«

Der alte Mann wandte sich zu ihm um und sah ihn auf sonderbare Weise an, und Indiana fügte beinahe flüsternd hinzu:»Er liest unsere Gedanken — nicht wahr?«

«Ja«, sagte der Häuptling.»Das tue ich.«

Der nächste Morgen Eine Stunde vor Sonnenaufgang

Sie hatten noch lange mit dem alten Häuptling geredet. Die Erkenntnis, daß der Aymará seine Gedanken so mühelos las wie er selbst ein aufgeschlagenes Buch, hatte Indiana bis ins Innerste erschüttert. Er wußte, daß der Alte die Wahrheit sagte. Er hatte vom ersten Moment an gewußt, wer sie waren und was sie wirklich hier suchten, ebenso wie er vom allerersten Moment an Corda und später Ramos durchschaut hatte. Indiana versuchte erst gar nicht, eine Erklärung dafür zu finden, warum der alte Mann diese unheimliche Macht besaß. Er hatte sie, und Indiana konnte sie so deutlich fühlen, daß er erst gar nicht auf den Gedanken kam, sie anzuzweifeln.

Auch Reuben war sichtlich erschüttert gewesen — aber im Gegensatz zu Indiana gab er seine eigenen Pläne nicht auf. Fast eine Stunde lang redete er weiter auf den Alten ein, versuchte ihn mit Vernunftsargumenten zu überzeugen, bettelte, flehte und drohte ihm schließlich ganz unverblümt. Natürlich nutzte nichts von alledem. Der Alte blieb bei seiner beharrlichen Weigerung, sie gehen zu lassen, und seiner Behauptung, daß das Gold von El Dorado sich selbst am besten zu schützen wüßte, ohne dies indes zu erklären. Als er schließlich ging, verabschiedete er sich mit den Worten, daß er am nächsten Morgen zurückkommen und ihre Entscheidung verlangen würde.

Als Indiana erwachte, quälten ihn sonderbare Gefühle. Er hatte leichte Kopfschmerzen, und zwischen seinen Schläfen saß ein dumpfer Druck, der ihm das Denken schwermachte. Im nachhinein kam ihm das, was er am vergangenen Abend erlebt hatte, fast wie ein Traum vor — und auch die Erinnerung an das Gespräch mit dem alten Häuptling war wie der Nachklang eines Traums; klar, aber nicht ganz real.

Benommen richtete er sich auf. Er war nicht der einzige, der an diesem Morgen Mühe zu haben schien, richtig wach zu werden. Außer Marcus, der wie ein ganzes Sägewerk schnarchte, und Henley, der nicht mehr fantasierte, aber in den tiefen, fast an eine Betäubung grenzenden Schlaf eines Kranken versunken war, waren alle anderen bereits wach und hatten sich aufgesetzt. Aber die Gesichter, in die er blickte, wirkten so benommen und verwirrt, wie er selbst sich fühlte. Die Bewegungen der Männer waren unsicher und fahrig, und als er sich umdrehte und in Reubens Gesicht blickte, las er in dessen Augen im ersten Moment nichts als Verwirrung, fast als hätte er Mühe, sich in Erinnerung zu rufen, wo er überhaupt war und warum.

Und es wurde nicht besser. Die Indios brachten ihnen zu essen und frisches Wasser, kurz darauf erschien der Aymará-Häuptling wieder, und die ganze Zeit über hielt das irreale Gefühl in Indiana an, das alles nicht wirklich zu erleben, sondern nur zu träumen.

Als die Sonne aufging, hörten sie dann die Schüsse.

Zuerst war Indiana nicht einmal sicher, ob er sich den Lärm nicht nur einbildete. Aber die Salven kamen rasch näher und nahmen nicht nur an Lautstärke, sondern auch an Heftigkeit zu — in das anfangs nur vereinzelt krachende Gewehrfeuer mischten sich bald das hämmernde Stakkato von automatischen Waffen, Schreie und dumpfe Explosionen und dann und wann ein furchtbares Zischen und Prasseln, von dem Indiana nur zu gut zu wissen glaubte, was es bedeutete.

Sie waren aufgeregt aufgesprungen und zum Höhlenausgang gestürmt, aber der davor postierte Indio verwehrte ihnen auch jetzt den Weg; stumm, aber beharrlich. Hinter ihm huschten die roten Lichtreflexe von Flammen über die Felsen, und die Schüsse und Schreie waren jetzt so nahe, als tobe direkt vor dem Höhleneingang eine Schlacht. Wahrscheinlich war es so.

«Verdammt, was ist da los?«fragte Reuben aufgeregt.»Ra-mos! Das müssen Ramos und seine Leute sein!«Er machte einen weiteren Schritt auf den Indio am Eingang zu, und der Aymará hob drohend seine Keule. Reuben blieb stehen. Aber Indiana konnte sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Sie waren zwar unbewaffnet, aber immerhin zu acht.

Hastig trat er vor Reuben, ging auf den Indio zu und begann mit den Händen zu gestikulieren.»Du mußt uns durchlassen!«sagte er.»Wir sind nicht eure Feinde! Ruf deinen Häuptling! Wir … wir können euch helfen!«

Der Indianer blickte ihn an und grinste dämlich. Offensichtlich hatte er kein Wort verstanden. Oder er wollte sie nicht verstehen.

Indianas Blick wanderte fast verzweifelt zum Ausgang. Das MP-Feuer hatte für einen Moment aufgehört, aber der Kampf war noch nicht vorbei — ganz im Gegenteil. Das Schreien und die Geräusche hastender Schritte kamen immer näher, und plötzlich hämmerte eine MP so dicht vor dem Höhleneingang los, daß selbst der Aymará erschrocken zusammenfuhr — ohne allerdings auch nur einen Deut von seinem Platz zu weichen.

Der Kampf tobte noch eine gute viertel Stunde, ehe sich die Schüsse und Schreie langsam wieder entfernten. Und auch dann verging noch eine geraume Weile, ehe der Wächter endlich zur Seite trat, um dem Häuptling Platz zu machen.

«Was ist passiert?«fragte Indiana aufgeregt.»Das war Ra-mos, nicht wahr?«

Der Aymará bedachte ihn mit einem Blick, der Indiana klarmachte, wie überflüssig diese Frage gewesen war, und in dem sich zugleich eine tiefe Resignation wie ein körperloser Schmerz spiegelten. Ohne auf die Frage zu antworten, wandte er sich wieder um und gab ihnen mit einer Handbewegung zu verstehen, sie sollten ihm folgen.

Es war hell geworden, aber noch nicht richtig Tag. Die nördliche Hälfte der Welt bestand aus grauem Nebel, der alles verschlang, was weiter als zwanzig oder dreißig Schritte entfernt war.

Aber was Indiana auf diesen zwanzig oder dreißig Schritten sah, war fast mehr, als er sehen wollte. Zwischen den Felsen lagen tote und verwundete Indianer. Hier und da brannte es noch, und in der Luft hing der Geruch von heißem Stein, verbranntem Benzin und verkohltem Fleisch. Manchmal drang ein leises Stöhnen aus dem Nebel. Die Aymará hatten einen furchtbaren Preis für den Versuch bezahlt, Ramos’ Söldnerheer aufzuhalten. Und Indiana mußte den Alten nicht fragen, ob es ihnen gelungen war.