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«Ramos«, sagte Indiana.»Ich glaube, dort oben sind Ramos und seine Männer.«

Beim Klang dieses Namens schien für Augenblicke etwas in Reubens Blick wieder zu erwachen. Das Flackern erlosch jedoch, bevor es zu einer Flamme werden konnte, und erneut breitete sich die bisherige Gleichgültigkeit auf seinen Zügen aus.

«Kommen Sie, Dr. Jones«, sagte der Aymará-Häuptling, der ebenfalls stehengeblieben war.»Der Weg, der vor uns liegt, ist noch weit.«

Aber Indiana reagierte diesmal nicht, sondern blickte weiter zu der Stelle in dem grauen Nichts empor, an der er die Bewegung erspäht hatte.»Da sind Ramos und seine Söldner.«

Ein Schatten huschte über das Gesicht des Häuptlings.»Ich weiß.«

«Und ihr laßt sie einfach so hindurch?«

«Wir konnten sie nicht aufhalten«, antwortete der Aymará.

«Sie haben es selbst gesehen — wir sind ihnen nicht gewachsen. Vielleicht hätten wir sie schließlich doch aufhalten können, aber es hätte das Leben vieler meiner Brüder gekostet, und dieser Preis wäre zu hoch gewesen. Sie sind gekommen, weil sie Gold suchten. Sie werden Gold finden. Aber der Weg ins Tal der Götter führt nur in eine Richtung.«

«Ich verstehe«, murmelte Indiana.»Ihr laßt sie hinein — aber nicht wieder hinaus.«

Er las die Antwort auf seine Frage in den Augen des alten Mannes, wenn dieser auch kein Wort sagte, und ein Gefühl tiefer Trauer überkam ihn. Trotz allem waren Ramos und seine Begleiter Menschen, Verbrecher vielleicht, Mörder und Diebe, aber immer noch Menschen, und es widerstrebte ihm einfach, ein Dutzend Männer in den sicheren Tod gehen zu lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen; ganz gleich, was sie getan hatten.

Und plötzlich begriff er, daß es nicht nur Ramos und seine Söldner waren, die sich auf dem Weg zum Gipfel des Berges befanden.

Marian.

Marian war bei ihnen.

Der Gedanke tat ihm weh, unendlich weh. Indiana vermochte nicht einmal zu sagen, was schlimmer war — Angst, nein, das sichere Wissen, daß sie zusammen mit Ramos und den anderen dort oben sterben würde, oder der Schmerz über den Verrat, den sie begangen hatte. Wahrscheinlich beides.

In den Augen des alten Aymará erschien ein Ausdruck tiefen, ehrlich empfundenen Mitleids.»Sie irren sich, Dr. Jones«, sagte er.»Sie hat Sie nicht verraten. Sie ist von allen die einzige, die nicht dorthin geht, weil sie Gold sucht. Sie mußte tun, was sie getan hat, aber sie hat Sie nicht verraten. Keine Sekunde lang.«

Indiana starrte den Alten an, und plötzlich war es, als würde der Schleier, der bisher über seinen Gedanken gelegen hatte, mit einem Ruck entzweigerissen. Es war wie ein blitzartiges, fast körperlich schmerzendes Erwachen. Zum ersten Mal an diesem Tag war er wieder völlig Herr seiner Gedanken und seines Willens.

«Ich muß sie zurückholen!«sagte er entschlossen.

«Das geht nicht«, sagte der Aymará ruhig.»Ich kann es nicht zulassen.«

«Dann müßt ihr mich schon umbringen«, erwiderte Indiana trotzig. Er machte eine Kopfbewegung zum Gipfel des Vulkankraters hinauf.»Dort oben erwartet sie der sichere Tod. Ich werde nicht zusehen, wie sie in ihr Verderben rennt.«

«Es ist zu spät«, sagte der alte Mann.»Ihr Vorsprung ist schon zu groß. Selbst wenn ich es zulassen würde — Sie könnten sie niemals einholen, ehe sie den Gipfel erreichen.«

«Ich muß es wenigstens versuchen!«protestierte Indiana.

Der alte Mann blickte ihn traurig an.»Ich lasse Sie gehen, Dr. Jones. Weder ich noch einer meiner Krieger wird versuchen, Sie aufzuhalten. Aber auch Sie werden den Tod finden. Der Fluch von El Dorado macht keinen Unterschied zwischen Gut und Böse. Niemand kehrte je zurück.«

«Unsinn!«widersprach Indiana heftig.»Corda hat den Rückweg gefunden, und zumindest einer der Conquistadoren muß es auch geschafft haben, denn sonst wäre die Legende von El Dorado wohl kaum entstanden, nicht wahr?«

Der Alte antwortete nicht darauf. Aber er unternahm auch keinen Versuch, Indiana aufzuhalten, als sich dieser nach einigen weiteren Augenblicken mit einem Ruck umdrehte und in die Richtung zurückzugehen begann, aus der sie gekommen waren.

Je höher er kam, desto dichter war der Nebel geworden, bis er sich schließlich durch eine graue Unendlichkeit bewegte, in der er selten weiter als zwei oder drei Schritte sehen konnte und in der er sich schon nach wenigen Augenblicken hoffnungslos verirrt hätte, wäre er nicht einfach der Steigung des Berges gefolgt.

Indiana konnte später nicht sagen, wie lange er gebraucht hatte, um den Kraterrand zu erreichen. Das Fehlen der Sonne machte es unmöglich, die Tageszeit zu bestimmen — aber er schätzte, daß sich der Tag bereits wieder seinem Ende zuneigte und ihm allerhöchstens noch zwei oder drei Stunden Helligkeit blieben. Aber vielleicht war das ja genug.

Er hatte Ramos’ Spur wiedergefunden, und das war nicht einmal Zufall. Indiana war stundenlang durch das Gewirr aus Felsen und jäh aufklaffenden Spalten und Schluchten geirrt, bis er schließlich auf einen gewundenen, an der Flanke des Vulkans steil in die Höhe führenden Pfad gestoßen war. Wahrscheinlich gab es nur diesen einen Weg zum Kraterrand hinauf. Er war zum Teil auf natürlichem Wege, zum Teil aber auch eindeutig von Menschenhand erschaffen worden — Indiana kam mehrmals an gewaltigen Felsen vorüber, die offensichtlich gewaltsam gespalten oder aus dem Weg geräumt worden waren, und mehrmals stieß er auf in den Stein gemeißelte Stufen. Wahrscheinlich hatten die Vorfahren der Aymará diesen Pfad geschaffen, um das Gold abzutransportieren, das ihrem Volk beinahe den Untergang gebracht hätte.

Und es war nicht zu übersehen, daß kurz vor ihm andere Menschen hier entlanggegangen waren. Ramos’ Männer waren nicht sehr achtsam gewesen — Indiana stieß auf Zigarettenkippen, Stoffetzen, vergessene oder verlorene Stücke ihrer Ausrüstung … Offensichtlich rechneten die Goldgräber nicht mehr damit, noch verfolgt zu werden. Oder es war ihnen vollkommen gleich — was aus ihrer Sicht auch naheliegend schien. Schließlich mußten sie Indiana und die anderen für tot halten, und wie hoffnungslos unterlegen ihnen die Indios mit ihren primitiven Waffen waren, das hatte das Gemetzel im Dorf auf furchtbare Weise demonstriert.

Kurz bevor er den Kraterrand erreichte, legte Indiana eine letzte Rast ein, und als er weiterging, sah er den Schatten.

Er war nicht einmal ganz sicher, ob die Bewegung wirklich da war oder ob er sie sich nur einbildete. Ob vor ihm wirklich etwas war oder ob er nur das Wogen eines Nebelfetzens gesehen hatte. Trotzdem machte sein Herz einen erschrockenen Sprung, und er erstarrte für Sekunden mitten im Schritt und wagte nicht einmal zu atmen. Sein Blick bohrte sich in die graue Wand aus gestaltloser Watte vor ihm. Er lauschte angespannt, aber er sah nichts außer treibenden, feuchten Schwaden und hörte nichts außer dem Hämmern seines eigenen Herzens.

Und trotzdem war er mit einem Mal völlig sicher, sich nicht getäuscht zu haben. Vor ihm war etwas, und es war keiner von Ramos’ Männern, der vielleicht zurückgeblieben war, um den Rücken der kleinen Söldnertruppe zu decken.

Vielleicht, dachte er, verließ sich der Häuptling der Aymará doch nicht ganz so sehr auf den Fluch von El Dorado, wie er sie alle hatte glauben machen wollen. Er blieb noch einen Moment stehen und lauschte, dann gab er sich einen Ruck und ging weiter, so schnell es ihm möglich war.

Er sah den Schatten noch zwei weitere Male, ehe er den Gipfel erreichte, und einmal hörte er ein Stück über sich das Kollern eines Steines und dann einen dumpfen Laut, den er nicht richtig einzuordnen vermochte, der aber fast eindeutig aus einer menschlichen Kehle kam.

Doch endlich hörte der Boden unter seinen Füßen auf, in immer steilerem Winkel anzusteigen. Der Nebel war noch dichter geworden, so daß er jetzt nur noch gut zwei Meter weit sehen konnte, aber vor ihm lag jetzt ebenes, von Lavabrocken und Geröll bedecktes Gelände, und Indiana konnte die Tiefe dahinter regelrecht fühlen.