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«Sie haben keine Ahnung«, sagte er.»Außerdem werden sie es nicht wagen, in mein Haus einzudringen. Wozu gibt es Recht und Ordnung in diesem Land?«

Der Taxifahrer seufzte und enthielt sich jedes weiteren Kommentars, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.

Indiana bezahlte ihn, ging mit raschen Schritten um den Wagen herum und half Marian beim Aussteigen; auf eine so steife, gestelzte Art, daß der Taxifahrer alle Mühe hatte, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, als er ihm dabei zusah. Marian spielte perfekt dabei mit, aber das lag vermutlich einzig daran, daß sie noch immer wie betäubt zu sein schien. Ihr Blick war leer, und sie folgte ihm wie ein willenloses Kind, das gar nicht begriff, was mit ihm geschah. Indiana führte sie durch den verwilderten Vorgarten zu seinem Haus, bugsierte sie hinein und sah sich noch einmal nach allen Seiten um, ehe auch er durch die Tür trat. Aber die Straße war leer bis auf das Taxi, dessen Fahrer ihm noch einmal grüßend zunickte und dann mit quietschenden Reifen davonschoß.

Indiana schloß die Tür hinter sich, legte — ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten — die Kette vor und führte Marian ins Wohnzimmer. Der Raum sah aus, wie das Wohnzimmer eines Junggesellen nach einer halb durchzechten Nacht nun einmal aussieht: reichlich chaotisch. Auf dem Tisch standen eine zu Dreivierteln geleerte Flasche Whisky, zwei Gläser, ein ganzer Berg von Büchern, Pergamenten, Aktendeckeln, Fotografien und Zeichnungen. Das Durcheinander war Indiana plötzlich peinlich. Aber Marian war nicht in der Stimmung, auf so etwas zu achten.

Er bugsierte sie zur Couch und drückte sie mit sanfter Gewalt darauf nieder. Sie ließ sich auch das widerstandslos gefallen, aber sie hatte jetzt nicht mehr die Kraft, die Tränen zurückzuhalten. Sie weinte lautlos und heftig, und Indiana kam sich plötzlich verlegen und hilflos vor wie ein Schuljunge.

«Ist alles in Ordnung mit dir?«fragte er.

Marian antwortete nicht, aber Indiana begriff auch so, daß das wohl die mit Abstand dämlichste Frage war, die er in den letzten fünf Jahren gestellt hatte. Mit einem verlegenen Achselzucken trat er zurück, blickte noch einen Moment schweigend auf sie herab und floh dann in die Küche, um einen starken Kaffee für Marian und vor allem sich selbst zuzubereiten.

Er fühlte sich zutiefst verwirrt, hilflos und zugleich wütend auf sich selbst, weil er so wenig für Marian tun konnte. Aber in seinem Hinterkopf arbeitete es bereits, während er aus dem Durcheinander im Spülbecken zwei saubere Tassen und Unterteller herauszufischen versuchte und Kaffeepulver in die Kanne tat. Er fühlte sich ein bißchen schuldbewußt, daß er jetzt hier und nicht drüben im Wohnzimmer bei Marian war, um sie zu trösten. Gleichzeitig sagte ihm eine innere Stimme, daß es so richtig war. Er kannte Marian lange und gut genug, um zu wissen, daß sie jetzt allein sein wollte.

Als er nach zehn Minuten mit einem Tablett voll mit dampfenden Kaffeetassen und einem halben Paket Salzkräckern, das vom vergangenen Abend übriggeblieben war, in den Wohnraum, eine Mischung aus Wohnzimmer, Bibliothek und Arbeitszimmer, zurückkehrte, saß Marian aufrecht auf der Couch und hatte die Tränen vom Gesicht gewischt. Sie war noch immer blaß, und ihre Finger zitterten unmerklich, als sie nach der Kaffeetasse griff, aber sie wirkte trotzdem gefaßt.

Indiana setzte sich ihr gegenüber, gewann noch einige Sekunden damit, einen Schluck von dem kochendheißen Kaffee zu trinken, und fragte dann übergangslos:»Also — was war los?«

«Nichts«, antwortete Marian. Sie wich seinem Blick aus.

Er setzte die Tasse ab, hob die rechte Hand und betrachtete mit einem fast melancholischen Lächeln seinen angeschwollenen Knöchel.»Das sah mir aber gar nicht nach nichts aus.«

«Ich weiß nicht, wer die beiden waren«, behauptete Marian.»Wirklich. Ich weiß nicht, was sie von mir wollten.«

Indiana seufzte.»Aha, und was war das? ›Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich Ihnen nicht helfen kann‹«, zitierte er aus dem Gedächtnis.

Marian zog die Unterlippe zwischen die Zähne und begann darauf herumzukauen.»Ich … ich will dich da nicht hineinziehen, Indiana«, sagte sie leise.»Bitte.«

«Ich glaube, ich bin schon mittendrin«, erwiderte Indiana ruhig.»Ich glaube übrigens nicht, daß er dies Ding nur mit sich herumgeschleppt hat, weil er Angst hatte, sonst von einem plötzlichen Windstoß davongeweht zu werden.«

Gegen ihren Willen mußte Marian lächeln; aber nur ganz kurz, und der Ausdruck von Schmerz und Trauer in ihren Augen blieb.»Das ist schlimm genug«, sagte sie.»Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir geholfen hast. Aber jetzt muß ich gehen.«

Sie stand auf, aber Indiana griff über den Tisch nach ihrem Arm und drückte sie sanft, doch sehr energisch auf die Couch zurück.»Du wirst nirgendwo hingehen, bevor du mir nicht erzählt hast, was los ist«, sagte er.

Auf Marians Gesicht breitete sich ein fast gequälter Ausdruck aus.»Bitte, Indiana«, sagte sie.»Ich … ich weiß nicht, wer diese Männer waren, das ist die Wahrheit. Ich habe sie noch nie gesehen. Ich habe heute morgen mit einem von ihnen telefoniert, das ist alles. Aber ich glaube, daß sie gefährlich sind. Ich will nicht, daß du auch noch in Gefahr gerätst.«

«Auch noch?«hakte Indiana nach. Er machte eine Handbewegung, als Marian antworten wollte.»Wer ist denn sonst noch in Gefahr?«

Marian blickte ihn an und schwieg.

«Jetzt hör mir mal gut zu, Mädchen«, sagte Indiana ernst.»Wir kennen uns seit zehn Jahren, und wir sind seit zehn Jahren gute Freunde. Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, daß ich einen Freund nicht im Stich lasse. Also — was ist los? Es hat mit Stanley zu tun, nicht wahr?«

Marians sichtbares Zusammenzucken bewies ihm, daß er ins Schwarze getroffen hatte.

«Was hat er angestellt?«fragte Indiana.»Jemanden betrogen? Ein Grab zuviel ausgeräumt und dabei das Wertvollste in seiner Tasche verschwinden lassen?«

Diesmal fuhr Marian wie unter einem Schlag zusammen.

Ihre Augen wurden groß, und Indiana hatte alle Mühe, ein bitteres Auflachen zu unterdrücken.

«Ich weiß es seit Jahren«, sagte er.»Dein Mann ist nicht unbedingt das, was man eine Zierde unseres Berufsstandes nennen würde. Er hat eine Menge von dem, was er gefunden hat, für sich selbst abgezweigt.«

«Und du hast nie darüber gesprochen?«

Indiana schüttelte den Kopf.»Nein«, bestätigte er.»Mit niemandem, außer mit Stan selbst.«

«Mit ihm?!«

«Ich habe ihn gewarnt«, sagte Indiana.»Er hat natürlich alles abgestritten, aber ich hatte den Eindruck, daß er es sich trotzdem zu Herzen genommen hat. Wenigstens dachte ich das bis vor einer halben Stunde.«

Was er sagte, entsprach der Wahrheit. Er hatte Corda schon vor längerer Zeit gewarnt, es nicht zu übertreiben, aber er hatte es nicht getan, um ihn zu schützen. Der einzige Grund, warum er mit seinem Wissen nicht zum Dekan der Universität oder gleich zur Staatsanwaltschaft gegangen war, saß ihm gegenüber auf der Couch in seinem Wohnzimmer und hieß Marian. Es war nur die Rücksicht auf sie gewesen, deretwegen er Corda bisher geschont hatte.

«Ich weiß nicht, worum es geht«, sagte Marian nach einer Weile, und diesmal spürte er, daß sie die Wahrheit sprach.»Stan hat sich verändert, Indy.«

«Ich weiß. «Er nickte.»Er ist nicht mehr der Mann, den du geheiratet hast, nicht wahr? Aber ich glaube, das war er nie.«

«Das meine ich nicht«, antwortete Marian.»Es hat nichts mit uns zu tun. Ich weiß nicht, was es ist, aber seit er von seiner letzten Reise zurück ist, geht … irgend etwas mit ihm vor. Er spricht kaum noch mit mir und hat sich ständig in seinem Arbeitszimmer vergraben und die Tür abgeschlossen. Ich habe es seit drei Monaten nicht mehr betreten. Er ist wie besessen.«