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«Dort drüben!«

Browning berührte ihn am Arm und deutete mit der anderen Hand in den hintersten Winkel des Raumes. An einem runden Tisch saßen sieben oder acht Männer, von denen einer die übrigen um fast zwei Köpfe überragte. Der Riese wandte ihnen den Rücken zu, so daß sie sein Gesicht nicht erkennen konnten, aber Morton war sicher, daß es im Umkreis von zehntausend Meilen keinen zweiten Mann mit dieser Statur und pechschwarzen Haaren gab. Dann, nach einigen weiteren Sekunden, entdeckte er auch Dr. Jones. Er saß auf der anderen Seite des Tisches und hatte den braunen Filzhut so weit ins Gesicht geschoben, daß nur noch sein Kinn sichtbar war. In der Linken hielt er ein Blatt aus schmuddeligen Spielkarten. Mit der anderen kraulte er einen weißen Schlittenhund, der neben ihm saß und den Kopf in seinen Schoß gelegt hatte.

«Vielleicht sollten wir warten, bis sie ihre Pokerpartie beendet haben«, schlug er vor.

Browning lächelte.»Sie kennen Dr. Jones nicht, Morton«, sagte er.

«Das kann die ganze Nacht dauern oder auch zwei — das kommt immer darauf an, ob er gerade gewinnt oder verliert.«

Morton schwieg. Er hatte plötzlich gar keine Lust mehr, Dr. Jones überhaupt näher kennenzulernen.

«Was haben Sie?«fragte Browning spöttisch.»Angst? Und ich dachte, Sie wären mitgekommen, um mich zu beschützen.«

Morton setzte zu einer scharfen Antwort an, aber Browning hörte gar nicht mehr zu, sondern begann sich mit Händen und Ellbogen seinen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, und Morton mußte ihm folgen, ob er wollte oder nicht.

Als sie endlich den Tisch erreichten, an dem Jones und der Eskimo saßen, war er um etliche blaue Flecken und Prellungen und die Kenntnis von ungefähr hundert Flüchen in einem Dutzend verschiedener Sprachen reicher.

Zwei der Spieler sahen auf und musterten Browning und ihn kurz und prüfend, auch der Eskimo sah sie flüchtig an, konzentrierte sich dann aber wieder auf seine Spielkarten. Jones schien sie nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen.

«Dr. Jones?«

Jones reagierte nicht, sondern starrte weiter gebannt auf das Blatt in seiner Hand, während er mit der anderen den Nacken des Eskimohundes kraulte.

«Dr. Jones!!«

Morton hatte nicht leise gesprochen. Mit Ausnahme des Eskimos und Indiana Jones’ selbst blickten nun alle Spieler, teils verwundert, teils auch eindeutig zornig, zu ihm auf, aber niemand sagte etwas. Morton krauste wütend die Stirn und setzte dazu an, loszubrüllen, aber Browning berührte ihn rasch an der Hand und machte eine beruhigende Geste, und so schwieg er.

Es verging eine ganze Weile. Eine Minute, zwei, drei — schließlich legte einer der Spieler seine Karten auf den Tisch: ein paar Siebener und ein As. Zwei der anderen Mitspieler warfen ihr Blatt schulterzuckend vor sich hin, während sich der Eskimo, Dr. Jones und die beiden übrigen Pokerspieler nicht bewegten, sondern weiter auf ihre Karten starrten. Wieder vergingen Minuten, dann spielte ein anderer Mann aus — diesmal ein Full House. Auch der Eskimo und der letzte Pokerspieler stiegen aus dem Spiel aus.

Indiana Jones hob ganz langsam den Blick, hörte auf, den Hund zu kraulen, und schob mit der frei gewordenen Hand seinen Hut in den Nacken. Ein triumphierendes Grinsen überzog sein Gesicht und ließ es plötzlich wie das eines Zwölfjährigen aussehen, dem ein besonders raffinierter Streich gelungen ist. Mit umständlichen, fast andächtigen Bewegungen begann er seine Karten vor sich auf dem Tisch auszubreiten.

«Ein Flush!«sagte er.»Sieht so aus, als hätte ich gewonnen, Freunde. Der Pot gehört mir.«

Niemand widersprach. Und Mortons Augen wurden groß vor Erstaunen, als Indiana Jones sich vorbeugte und mit beiden Händen den Pot einstrich — der aus nichts weiter als ungefähr zwei- bis dreihundert Streichhölzern bestand!

«Dr. Jones, wir müßten Sie sprechen«, sagte Browning.

Er hatte sehr viel leiser gesprochen als Morton vor ihm. Trotzdem reagierte Indiana Jones. Sekundenlang sah er den Wissenschaftler durchdringend an, und der Blick, mit dem er ihn musterte, war nicht unbedingt freundlich. Eher abschätzend, und ganz versuchte Jones den Umstand nicht zu verhehlen, daß ihm diese Störung unangenehm war. Aber dann zuckte er mit den Schultern, seufzte und ließ sich im Stuhl zurücksinken.

«Warum nicht«, sagte er. An die anderen gewandt und mit leicht erhobener Stimme fügte er hinzu:»Was haltet ihr von einer kleinen Pause, Jungs? Ich habe sowieso genug gewonnen.«

Mit Ausnahme des Eskimos erhoben sich die Spieler einer nach dem anderen und tauchten im Menschengewühl des Saloons unter. Jones deutete mit einer Kopfbewegung auf zwei frei gewordene Stühle und fuhr damit fort, die gewonnenen Streichhölzer vor sich in vier gleich große Häufchen aufzutürmen.

«Dr. Jones, wir… müssen mit Ihnen sprechen«, begann Browning erneut, nachdem sie Platz genommen hatten.

Jones reagierte nicht. Dafür hob er die Hand und machte eine Geste in Richtung der Theke.

Mortons Ärger wuchs weiter, aber Browning warf ihm einen weiteren warnenden Blick zu und fuhr vorsichtig, mit fast schon übertrieben betonten Worten und einer entsprechenden Geste auf Morton fort.»Das ist Kapitän Morton, ich bin Dr. Browning vom — «

«Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Jones, ohne aufzublicken.

«Sie kennen mich?«

«Wer kennt Dr. Browning nicht?«entgegnete Jones. Er lächelte flüchtig.»Sind Sie wieder unterwegs, um Freiwillige für ein Himmelfahrtskommando zu suchen?«

Die Frage schien Browning sichtlich in Verlegenheit zu bringen, denn er brauchte eine ganze Weile, ehe er antwortete:»Nein, aber für ein Unternehmen, das…«

«…mich nicht interessiert«, fiel ihm Jones ins Wort. Leise, in fast freundlichem Ton, aber auch so entschlossen, daß Browning abermals schwieg; und diesmal fast eine Minute lang. Der Blick, mit dem er Morton dabei maß, war beinahe beschwörend. Irgendwo am anderen Ende des Lokals begannen zwei Männer zu streiten. Morton sah auf, konnte aber nichts als eine Mauer breiter, pelzverhüllter Rücken erkennen.

«Vielleicht hören Sie sich erst einmal an, was ich von Ihnen will«, meinte Browning schließlich.

Jones hatte seine Streichhölzer fertig sortiert, musterte die vier gleichgroßen, pedantisch ausgerichteten Stapel einige Sekunden aufmerksam und stieß sie dann mit dem Zeigefinger um.»Kein Interesse«, sagte er.

Ein dicker Kellner, der nach Schweiß und altem Schweinefett roch, trat an ihren Tisch, stellte einen Keramikkrug und vier Gläser, die genauso schmuddelig waren wie seine Finger, vor Jones ab und ging wieder. Jones goß zwei der Gläser voll, reichte eines an den Eskimo weiter und warf Browning einen fragenden Blick zu. Der Wissenschaftler schüttelte hastig den Kopf. Morton nickte, als Jones ihn ebenfalls ansah. Er war nicht durstig, und allein der Anblick des Glases drehte ihm fast den Magen um, aber er hatte gelernt, daß es manchmal Kleinigkeiten waren, die dabei halfen, das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen. Und es war wichtig, daß sie Jones dazu überredeten, sie zu begleiten.

Fünf Sekunden später bedauerte er seinen Entschluß bitter, denn was immer in dem Krug gewesen war, er konnte jeden einzelnen Tropfen fühlen, der seine Kehle hinunterrann und eine brennende Spur in seine Speiseröhre ätzte. Vergeblich versuchte er, ein Husten zu unterdrücken, würgte den Rest, den er im Mund hatte, heldenmütig hinunter und legte hastig die flache Hand auf das Glas, als Jones ihm nachschenken wollte. Das schadenfrohe Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers entging ihm keineswegs.