«Was ist das?«fragte er keuchend.»Schwefelsäure?«
Statt zu antworten, griff Jones nach seinem eigenen Glas, leerte es in einem Zug und schenkte sich sofort nach. Morton wechselte das Thema.
«Dr. Jones«, begann er umständlich.»Dr. Browning und ich sind einen langen Weg hierher gekommen, um mit Ihnen zu reden. Sie sollten sich wenigstens anhören, was er Ihnen zu sagen hat.«
«Und ich«, antwortete Jones,»bin einen noch längeren Weg gekommen, um an diesem Rennen teilzunehmen. Und ich habe fast ein halbes Jahr Vorbereitung und Training hinter mir. Was bringt Sie auf die Idee, daß ich das alles aufgeben könnte? Nur, um an irgendeiner verrückten Unternehmung teilzunehmen?«
«Wie wäre es mit Worten wie Loyalität, Liebe zum Vaterland und Pflichtbewußtsein?«schlug Morton vor. Jones sah auf, und nun lachte er wirklich.»Sie scheinen mich zu verwechseln, Kapitän Morton«, sagte er.»Ich bin Professor der Archäologie, weder Mitglied der Marine noch Armee oder des Geheimdienstes.«
«Aber Sie sind amerikanischer Staatsbürger, oder?«entgegnete Morton.
«Bitte, Kapitän!«In Brownings Stimme schwang beinahe Panik. Er räusperte sich, griff nun doch nach dem Schnapsglas, schüttelte aber den Kopf, als Jones es füllen wollte und drehte es nur in den Händen. Als er weitersprach, spürte Morton genau, daß er sich jedes einzelne Wort sorgsam überlegte.
«Ich habe eine Menge über Sie gehört, Dr. Jones«, begann er.»Einiges davon erschien mir unglaublich, und ich will ehrlich zu Ihnen sein — eine ganze Menge davon gefiel mir nicht. Aber daß Sie unfair wären, gehört nicht zu den Dingen, die man Ihnen nachsagt.«
«Unfair?«
Browning kam nicht sofort dazu zu antworten, denn der Streit, dessen Lärm in den letzten Minuten immer mehr angeschwollen war, artete urplötzlich in eine Schlägerei aus, die von den Zuschauern mit johlendem Gebrüll kommentiert wurde. Morton konnte noch immer nichts erkennen, außer einer immer dichter werdenden Menschentraube, aber plötzlich kam ein Stuhl über die Köpfe der Zuschauer geflogen, begleitet von einem ganzen Chor schriller Pfiffe und Schreie. Indiana Jones drehte fast gelassen den Oberkörper zur Seite. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als der Stuhl direkt hinter ihm gegen die Wand krachte und zerbrach.
«Unfair?«fragte er noch einmal, so ruhig, als wäre überhaupt nichts geschehen.
«Es ist nicht besonders fair, zwei Männern, die um die halbe Welt gereist sind, um mit Ihnen zu reden, nicht einmal die Gelegenheit zu geben, dies zu tun.«
Es fiel Morton schwer, sich zu konzentrieren. Das Geschrei hinter ihnen wurde immer lauter; das Zentrum der Schlägerei schien sich ihrem Tisch zu nähern. Aber Jones nahm nicht einmal Notiz davon. Morton versuchte vergeblich, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob Jones wirklich so kaltblütig war oder nur so tat, um Browning und ihn zu verunsichern.
Jones lachte leise.»Und ich dachte, Sie wären um die halbe Welt gereist, um sich von einem Bären fressen zu lassen.«
«Danke«, knurrte Morton.»Genau das habe ich jetzt gebraucht.«
Jones lächelte weiter — aber sein Blick strafte dieses Lächeln Lüge.
«Bitte, meine Herren!«Brownings Stimme klang fast beschwörend. Er räusperte sich und rang sekundenlang nach Atem, ehe er sich wieder an Jones wandte:»Ich bin sicher, daß Sie uns begleiten werden, wenn Sie erst einmal gehört haben, was ich zu sagen habe.«
Hinter ihnen erscholl ein gellender Schrei. Die Mauer aus Menschen teilte sich, und plötzlich kam eine Gestalt durch die Luft geflogen. Morton spannte sich in Erwartung des Aufpralles, aber es kam nicht dazu. Ohne auch nur hinzusehen, hob der Eskimo den Arm und fing den Mann mitten im Flug ab. Einen Moment lang hielt er ihn fest — und dann nickte Dr. Jones fast unmerklich. Der Eskimo zuckte mit den Achseln, grinste und warf den Mann in die Richtung zurück, aus der er gekommen war.
«Begleiten wohin?«
«In eine Gegend, die Ihnen bestimmt gefällt«, antwortete Morton verwirrt.»Es ist dort gar nicht soviel anders als hier. Jedenfalls ist es genauso kalt, und es gibt keine Bären. «Jones lächelte leicht.»Zum Südpol?«
«Eher in die entgegengesetzte Richtung«, erwiderte Browning an Mortons Stelle.»Fahren Sie gern zur See?«
«Das kommt darauf an. «Jones hob die Schultern und schenkte sich ein drittes Glas der unverdünnten Schwefelsäure ein, die sich in dem Krug befinden mußte. Er besaß die Unverfrorenheit, es hinunterzustürzen, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Mortons Kehle war noch immer taub. Hinter ihnen ging die Schlägerei fröhlich weiter.
«Wohin soll die Reise denn gehen?«fragte Jones.
«Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen«, antwortete Browning.
Jones blinzelte.»Und vermutlich können Sie mir auch nicht sagen, worum es geht«, sagte er.
«Das ist richtig«, antwortete Browning.
Jones’ Lächeln wirkte jetzt ein wenig gequält.»Und ich nehme an, daß es sich um eine Sache von höchster Wichtigkeit handelt, wie? Das Wohl und Wehe des Landes steht auf dem Spiel und wahrscheinlich auch das Leben von Millionen Menschen. «Der Spott in seiner Stimme war verletzend, und genau das sollte er auch sein. Browning fuhr leicht zusammen und sah wirklich ein wenig betroffen aus. Aber er hatte sich schnell wieder in der Gewalt. Morton fragte sich erneut, wer dieser Dr. Browning wirklich war. Ihm hatte man den Wissenschaftler nur als Beauftragten der US-Regierung vorgestellt, ohne daß man sich auch nur die Mühe gemacht hätte, Morton zu erklären, in welcher wissenschaftlichen Disziplin er seinen Doktor hatte. Bisher hatte er ganz automatisch unterstellt, daß es sich um einen Naturwissenschaftler handeln müßte, aber vielleicht war diese Annahme nicht ganz richtig.
«Ich muß Sie enttäuschen, Dr. Jones«, antwortete Browning.»Es ist keins von beiden. Aber es handelt sich um etwas, das von höchstem wissenschaftlichen Interesse ist.«
«Das achte Weltwunder, wie?«
«Möglicherweise. «Browning lächelte. Er legte eine winzige, ganz genau berechnete Pause ein.»Auf jeden Fall sicherlich die interessanteste archäologische Entdeckung, die in den letzten hundert Jahren gemacht worden ist.«
In Indiana Jones’ Augen blitzte es auf. Er gab sich alle Mühe, sich sein Interesse nicht zu deutlich anmerken zu lassen. Aber Morton wußte, daß er den Köder geschluckt hatte. Der Wissenschaftler schien genau zu wissen, wie man mit Menschen umging. Ihm hatte er den Eindruck eines hilflosen, leicht vertrottelten Professors vermittelt, der kaum in der Lage zu sein schien, die gefährliche Reise hierher zum Yukon zu überstehen — aber vielleicht war auch das nur Theater gewesen.
«Um welche Entdeckung soll es sich dabei handeln?«fragte Jones, als Browning nicht weitersprach.
Browning deutete auf Morton.»Einzelheiten kann Ihnen Mr. Mor-ton hier erzählen. Er ist der Kapitän der POSEIDON, eines Forschungsschiffes, das im Auftrag der US-Regierung im letzten Jahr im Polargebiet unterwegs war.«
«Und was haben Sie entdeckt?«Indiana Jones gab sich Mühe, scherzhaft zu klingen, aber es fiel ihm immer schwerer, sein Interesse zu verhehlen.»Spuren des Yeti am Nordpol? Oder hat sich das Ungeheuer von Loch Ness verschwommen?«
«Wir können Ihnen jetzt nicht sagen, worum es sich im einzelnen handelt«, sagte Browning fast hastig.»Nur sovieclass="underline" Sie werden es ganz bestimmt nicht bereuen, uns zu begleiten. «Er zögerte einen winzigen Moment.»Und daß wir Sie brauchen.«
«Brauchen? Wozu?«
«Es handelt sich um eine wissenschaftliche Expedition, wie ich bereits sagte«, antwortete Browning.»Wir haben das Team fast zusammen, aber uns fehlt bisher noch ein Archäologe, und Sie sind der…«
«… der einzige, der verrückt genug wäre, an einer solchen Expedition teilzunehmen?«schlug Jones vor.
«… der fähigste Mann auf diesem Gebiet«, fuhr Browning unbeeindruckt fort.
«Das ist ein bißchen dünn, finden Sie nicht?«fragte Jones. Browning wollte antworten, aber Jones hob die Hand und sprach weiter.»Ich meine, Sie kommen hierher, machen eine Menge geheimnisvoller Andeutungen und erwarten im Ernst von mir, daß ich sofort alles stehen und liegen lasse — ohne überhaupt genau zu wissen, wohin? Oder weshalb?«