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«Dort!«

Dr. Rosenfeld trat mit einem hastigen Schritt neben ihn und deutete nach rechts.»Sehen Sie doch!«

Indianas Blick folgte der Bewegung — und dann riß er erstaunt die Augen auf: Van Hesling hatte sich nicht in die Tiefe gestürzt, wie Dr. Rosenfeld offensichtlich angenommen hatte. Er war sogar noch höchst lebendig — aber Jones war nicht sicher, wie lange dieser Zustand noch anhalten würde…

Wie bei den meisten großen Gebäuden in diesem Teil der Stadt gab es auch unter den Fenstern des Hilton-Hotels einen breiten, steinernen Sims, der sich um das ganze Haus zog, und das auf jeder Etage. Als Indiana van Heslings zerschmetterten Körper nicht unten auf der Straße entdeckt hatte, hatte er insgeheim schon damit gerechnet, den verrückten Wissenschaftler irgendwo auf diesem Sims zu sehen. Womit er nicht gerechnet hatte, war, ihn knapp zwanzig Schritte neben sich aufrecht stehen zu sehen, das Gesicht und die Hände zum Himmel erhoben, ein fast glückliches Strahlen auf den Zügen und den rechten Fuß auf den Fahnenmast gesetzt, der aus der Fassade des Hilton ragte.

«O mein Gott!«

Indiana Jones fuhr erschrocken zusammen und hob gleichzeitig warnend die Hand, ohne sich herumzudrehen oder den Verrückten auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Dr. Rosenfeld rief noch einmaclass="underline" »O mein Gott!«und dann versuchte sie, ihn vom Fenster wegzuzerren.

«Lassen Sie das!«sagte Indiana grob und versetzte ihr einen Stoß, der etwas heftiger ausfiel, als es eigentlich beabsichtigt war, denn aus Dr. Rosenfelds entsetztem Ruf wurde ein wütender Laut, und er hörte, wie sie zurückstolperte und von irgend jemandem aufgefangen wurde.

«Was fällt Ihnen ein!«Dr. Rosenfeld versuchte abermals, ihn vom Fenster wegzuzerren, aber diesmal mußte Indiana sich nicht einmal die Mühe machen, ihre Hand abzustreifen — jemand (vermutlich Mor-ton) ergriff die junge Neurologin mit sanfter Gewalt und zog sie fort, so daß Indiana sich wenigstens nur noch mit einem Verrückten herumzuplagen hatte.

Was ihm im Moment übrigens völlig reichte.

Van Hesling hatte die Hände noch weiter erhoben und stand jetzt in einer grotesken Gebetshaltung da: beide Handflächen ausgestreckt und zum Himmel gewandt, wohin auch sein Blick gerichtet war.

Indiana sah für einen Moment in die gleiche Richtung und erkannte, was den Wahnsinnigen offensichtlich so faszinierte: Der Regen hatte nachgelassen, während sie mit Browning gesprochen hatten, und am Himmel über New York spannte sich jetzt ein gewaltiger, in satten Farben strahlender Regenbogen.

«Bifröst!«stammelte van Hesling.»Bifröst!«Immer wieder dieses eine Wort.

«Jetzt hat er völlig seinen Verstand verloren«, sagte eine Stimme hinter ihm, die er als die Brownings identifizierte.

«Vielleicht auch nicht«, knurrte Indiana. Vorsichtig setzte er einen Fuß auf den Sims vor dem Fenster, suchte mit beiden Händen nach sicherem Halt am Rahmen und stieg ganz hinaus.

Natürlich entging van Hesling die Bewegung nicht; er wandte kurz den Blick und sah Indiana an, aber das glückliche Lächeln auf seinem Gesicht blieb.»Bifröst«, sagte er noch einmal.

Indiana Jones machte einen Schritt und blieb wieder stehen. Mit der rechten Hand suchte er festen Halt an der rauhen Sandsteinfassade des Hotels, den linken Arm hatte er wie ein Hochseilartist ausgestreckt, um sein Gleichgewicht zu halten. Er war nervös. Der Sims war im Grunde breit genug, um bequem darauf zu gehen, aber auf seiner linken Seite befand sich fünfundzwanzig Stockwerke weit nichts; ein verdammt langer Sturz — vom Aufprall gar nicht zu reden. Und vor ihm stand ein Verrückter, der sich offensichtlich einbildete, die sagenhafte Regenbogenbrücke ins Land der nordischen Götter gefunden zu haben. Denn genau in diesem Moment hob van Hesling wieder den Blick, starrte den Regenbogen aus glücklichen Augen an — und setzte auch den zweiten Fuß auf die Fahnenstange.

Indiana erstarrte.

Was er sah, das war schlichtweg unmöglich! Van Hesling stand völlig frei da, beide Füße auf der kaum unterarmstarken Fahnenstange, die noch dazu in einem Winkel von gut dreißig Grad in den Himmel ragte, und er machte sich nicht einmal die Mühe, etwa die Arme auszustrecken, um sein Gleichgewicht zu halten. Trotzdem wankte er nicht.

«Bleiben Sie, wo Sie sind!«rief Indiana und fügte hinzu:»Bitte!«

Er hatte selbst kaum damit gerechnet, aber van Hesling reagierte tatsächlich auf seine Stimme. So selbstverständlich, als befände er sich auf ebenem Boden, drehte er nicht nur den Kopf, sondern den gesamten Oberkörper zu ihm herum, lächelte ein breites, kindliches, glückliches Lächeln und deutete mit der rechten Hand zum Himmel hinauf.»Sehen Sie doch!«sagte er.»Das ist Bifröst. Ich kann endlich nach Hause gehen «

Und damit machte er einen weiteren Schritt auf die Fahnenstange hinaus.

Und Indiana Jones rannte los.

Er setzte alles auf eine Karte. Van Hesling hatte offensichtlich das sprichwörtliche Glück der Kinder und Narren auf seiner Seite, aber er hatte auch gewisse Naturgesetze gegen sich. Eines davon nannte sich Gravitation und war vor guten dreihundert Jahren von einem gewissen Engländer namens Newton entdeckt worden, und es beharrte darauf, daß ein zwei Meter großer, stoppelbärtiger Mann, der mit nackten Füßen auf einer polierten Fahnenstange fünfundzwanzig Stockwerke über dem Erdboden stand, nicht allzu lange dort stehen konnte.

Van Hesling hob nun auch wieder die andere Hand zum Himmel, und diese neuerliche Bewegung war zuvieclass="underline" Wie in einer Zeitlupenaufnahme sah Indiana, daß van Heslings rechter Fuß von seinem ohnehin unsicheren Halt abglitt und sich sein Körper zur Seite neigte, und im gleichen Sekundenbruchteil bewegte sich Indianas eigene Hand fast instinktiv und löste die Peitsche von seinem Gürtel.

Alles schien gleichzeitig zu geschehen, mit phantastischer Schnelligkeit, und doch so, als wäre die Zeit stehengeblieben: Van Hesling verlor endgültig das Gleichgewicht und begann sich wie in einer grotesken Verbeugung zur Seite zu neigen, während seine ausgestreckten Hände noch immer den Regenbogen zu ergreifen versuchten; und Indiana schwang die Peitsche in einem langen, kraftvollen Hieb, so daß die Lederschnur mit einem pfeifenden Geräusch nur eine Handbreit an van Heslings ausgestreckten Armen vorübersauste und sich ihr Ende um die Fahnenstange wickelte.

Er sprang — den Bruchteil einer Sekunde bevor van Hesling endgültig in die Tiefe stürzte.

Sich mit der linken Hand und aller Kraft an der Peitsche festhaltend, schwang er in einem langgestreckten Bogen von der Fassade des Hilton fort, streckte den freien rechten Arm aus — und fing den stürzenden Körper des Wissenschaftlers auf!

Der Ruck schien ihm den Arm aus der Schulter zu reißen. Er schrie vor Schmerz, Schreck und Panik, als er in diesem Moment erst richtig begriff, was er gerade getan hatte (oder zu tun versuchte), und spürte, wie sich das geflochtene Band der Peitsche unter dem doppelten Gewicht zu dehnen begann wie ein überbeanspruchtes Gummi. Noch zwei, drei Sekunden, und die Peitsche würde entweder reißen oder sich von der Fahnenstange lösen!

Es wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit, und diesmal gewann er ihn wirklich nur ganz knapp und allenfalls nach Punkten. Van Hesling und er bewegten sich wie das Gewicht eines übergroßen Pendels am Ende der Peitschenschnur, rasten für einen kurzen, aber entsetzlichen Moment scheinbar geradewegs ins Nichts hinaus und näherten sich dann wieder der Fassade, immer schneller und schneller werdend. Und Indiana schoß der Gedanke durch den Kopf, daß das Hil-ton aus ziemlich massivem Stein erbaut war. Und daß sie sich, wenn sie mit dieser Geschwindigkeit dagegenprallten, um den zweiten, noch heftigeren Aufprall etliche Sekunden später und etliche Dutzend Meter tiefer wahrscheinlich keine Sorgen mehr zu machen brauchten…